Eine unangenehme Begegnung

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Die Stille lastete über uns wie der Tod höchstpersönlich. Ich wagte nicht aufzusehen und stierte auf die blanke Platte meines Tellers. Es half nichts, dass Lindir verschwunden war und mich zurückgelassen hatte.

>> Wo wart Ihr Arien? Ich ließ nach euch suchen. << Lord Elrond räusperte sich leise. >> Genießt Ihr den Aufenthalt in Imladris? <<

Langsam sah ich auf und zwang mir ein Lächeln auf. >> Man sagte mir, ich dürfte mich frei bewegen. <<

Elrond nickte bestätigend. >> Wohl war. Ich war lediglich neugierig, ob Ihr die Schätze des Tals entdeckt habt. <<

>> Schätze? << Ich zog eine Braue hoch. Er meinte doch kein Gold oder Silber.

Elrond neigte den Kopf und deutete auf die weiten Flächen in der fernen Landschaft. Ich folgte seinem Blick zu dem plätschernden Wasser. >> Imladris steckt voller Geheimnisse. Die Seen vermögen Abbilder zu erzeugen und die Wasserfälle Lieder zu singen. Ich selbst habe nach all den Jahren in diesem Tal kaum die Hälfte ihrer Geheimnisse entdeckt. <<

Meine Aufmerksamkeit schweifte zu Legolas. Er nickte mir aufmunternd zu und ließ mich fragend die Augenbrauen hochziehen. Was wollte er? Mit einer knappen Kopfbewegung nickte er auf den Platz neben sich und zu dem König des Grünwaldes. Ich warf ihm einen kurzen Blick zu und bemerkte hohe Wangenknochen und eine gerade Nase. Niemals würde ich wagen zu starren, wenn mir nach einem verstohlenen Blick bereits die Wangen wie heißes Eisen brannten. Unbehaglich rutschte ich auf meinem Stuhl umher.

Nach einer Weile sprang ich auf und verkündete: >> Guten Tag. << Damit wendete ich mich ab und beeilte mich in die Schatten zu gelangen. 

Heiße Blicke folgten mir und brannten umso mehr auf meinem Rücken, als ich Lindir unter dem Bogengang am Arm packte und um die Ecke zog. 

Ich funkelte ihn aus bösen Augen an. >> Was soll das? <<, zischte ich. >> Lässt du mich einfach so alleine! <<

Lindir löste sich aus meinem Griff und rückte sorgsam sein Gewand zurecht. >> Verzeiht, aber mir ist es nicht gestattet, dich an den hohen Tisch zu begleiten. << Seine Augen zeugten von Bedauern. Ich knirsche mit den Zähnen. >> Vielleicht kann ich es wieder gut machen? << Ich erwiderte nichts, weshalb er fortfuhr, >> Einen Gefallen. Ich schulde dir einen Gefallen. <<

Ich zog die Augen zusammen und durchschritt mit ihm die Gänge. >> Was für einen Gefallen? Kannst du mich wieder nach Hause bringen? <<

Er sah nicht zu mir, sondern faltete die Hände vor dem Bauch und sah geradeaus. >> Ich vermag dich nicht in dein Zuhause zu führen. Selbst dann nicht, wenn ich es wollte. Mächte, die weit über den Fertigkeiten der Elben liegen, ermöglichten es, dich nach Mittelerde zu bringen. Nicht wir waren es, die dieses Kunstwerk vollbrachten. Es waren die Valar, die, die die Menschen als Götter bezeichnen. <<

Ich runzelte die Stirn. Meine Füße traten von hartem Stein auf weiches Gras. Wir schritten allmählich auf die weiten Seen inmitten von Grün zu. >> Ihr besitzt Götter? Solche, die Dinge beschwören können? << Das wäre nicht nur sonderbar, sondern unglaublich. Und gefährlich.

Lindirs Mundwinkel zuckte in die Höhe. >> Durchaus. Allerdings schlafen die Valar. Doch sie sind nicht die Einzigen, die außergewöhnliche Dinge vollbringen können. Die Elben vermögen mit ihrem Geschick und ihrer Kunstfertigkeit die prächtigsten Dinge zu erschaffen, während die Zwerge mit ihrem Gesang ganze Berge versetzen können, dabei bestimmen die Menschen mit herzensstarkem Willen ihr eigenes Schicksal. Dann gibt es noch die Zauberer, die Istar, die wahre Magie beschwören und ein Meisterwerk der Valar sind. Doch sie sind so selten, dass sie kaum ein einzelnes Volk bilden. Natürlich beherbergt Mittelerde  auch Riesen, Trolle und Giganten. Allerdings gehören sie zu den Völkern, die die Minderheit bilden. <<

Das klang alles zu sonderbar, um wahr zu sein. Aber ich wollte, dass es wahr war. Seine Erzählung versetzte mich in Aufregung und ließ mein Herz vor Spannung höher schlagen. Ich hing an seinen Lippen und verlangte: >> Erzähle mir mehr von euch, mehr von diesem Ort und ihren Völkern. <<

Doch Lindir schüttelte den Kopf. Er sah gen Himmel und ließ die strahlende Sonne auf sein ebenes Gesicht scheinen. >> Nicht heute, aber ein anderes Mal. Ich werde von meinem Herren erwartet und werde dich nun verlassen müssen. << Er sah zu mir und nickte zu den nicht weit entfernten Stallungen. >> Ziere dich nicht und leiste deinem neuem Freund Gesellschaft. Tilion muss dir vertrauen, wenn du mit ihm in das Waldlandreich reiten willst. <<

Nur wenige Augenblicke später fand ich mich im Stall und vor Tilions Box wieder. Er war wahrlich ein wunderschönes Pferd mit einem langen Rücken und einem hohen Haupt. Sein weißer Stern in der Mitte seiner Stirn schimmerte durch seinen rabenschwarzen Schopf.

Ich streckte die Hand nach ihm aus und ließ ihn an meinen Fingern schnuppen. Er blähte die Nüstern, ehe er sich schnaubend schüttelte und sich wieder seinem Heu widmete. Dabei zuckten seine Ohren in alle Richtungen, während sein Schweif einige verirrte Fliegen davonjagte. Ein leises Lächeln schlich sich auf meine Lippen.

Ein lautes Krachen erregte meine Aufmerksamkeit. Ich hielt mich an der Box fest und lehnte mich nach hinten, um in die anderen Boxen zu sehen. Und tatsächlich. Nicht weit von Tilions Box stand ein etwas merkwürdiges Tier. Ich runzelte die Stirn, strich ein letztes Mal über das seidige Fell meines Weggefährten und schritt direkt auf das Tier in seiner Box zu.

In sicherem Abstand blieb ich vor dem Tor stehen und verschränkte die Arme. Es war kein Pferd, was dort stand. Es war ein großer Hirsch. Oder war es doch ein Elch? Ich konnte es kaum sagen. Es hallte lange Beine und einen riesigen Schädel mit einem prächtigen Geweih. Es zierte seinen Kopf wie eine stolze Krone. Noch beachtlicher waren die großen Hufe unter einem massigen Körper aus langem Fell. 

Entschlossen dem Tier nicht zu Nahe zu kommen, wich ich zurück und wendete mich ab. Es war zu merkwürdig, um liebenswürdig zu sein. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass es ein Reittier sein sollte. Ob es der Herr von Imladris ritt? Oder der König des Grünwaldes? Ich konnte es ihnen zutrauen. Das Tier wirkte zu prächtig, zu einzigartig, um einen gewöhnlichen Elben zu tragen. 

Einen Schritt zu Tilions Box gehend, stieß ich mit Jemandem zusammen. 

>> Ufff <<, machte ich und wich erschrocken zurück. Mir entwich die Luft aus den Lungen, als ich meine Stirn rieb und benommen gegen die blendenden Sonnenstrahlen ankämpfte. Als ich den König des Grünwalds erkannte, blieb ich wie angewurzelt stehen. 

Sein kalter Blick bohrte sich in meine Augen.  >> Plant Ihr eine klägliche Flucht? << Thranduils Mundwinkel verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. >> Menschen aus der Welt der Sterblichen sind naiver als ich angenommen hatte. <<

Ich verengte die Augen zu Schlitzen. Meine Hände schlossen sich automatisch zu Fäusten. >> Und Elben aus dem Grünwald sind hochtragender als die Welt jemals ertragen kann. <<

Thranduils Mundwinkel zuckten gefährlich. Ich schluckte, wagte meine Worte nicht zurückzunehmen. Es würde mich schwach dastehen lassen. Gerade vor ihm durfte ich mir meine Unsicherheit nicht anmerken lassen. Er würde nur seinen Profit daraus ziehen. So sagte mir jedenfalls sein kaltes Lächeln. >> Dann kann ich mich glücklich schätzen, dass meine zukünftige Gemahlin neben Leichtgläubigkeit eine dreiste Leichtsinnigkeit besitzt, die sie eines Tages den Kopf kosten wird. <<

Mein Herz raste. >> Ist das eine Drohung? <<

Thranduils Miene fiel, wurde so ernst wie die eines Totengräbers. Langsam schritt er näher und baute sich vor mir auf. Ich musste den Kopf in den Nacken legen, um zu ihm aufzusehen. Er lehnte sich zu mir, kam so nahe, dass sein Atem über meinen ungeschützten Hals strich. Der Duft von Moos und Laub kroch in meine Nase. Ich schluckte schwer, versuchte mir mein Herzrasen nicht anmerken zu lassen. 

Die Stimme des Königs war ruhig - viel zu ruhig. >> Vielleicht. <<


Thranduil FF || DIE BESTIMMUNG - Mond und SterneWhere stories live. Discover now