37. Kapitel

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"Bitte sag mir, dass du nichts damit zu tun hattest", sagte Professor Morgan leise.
Ich schüttelte langsam den Kopf.
"Das kann ich leider nicht."
Sie warf mir einen enttäuschten Blick zu.
"Wieso habt ihr das getan?"
"Fragen Sie das doch die Nyx!", entgegnete ich trotzig. "Die haben schließlich angefangen!"
Sie schnaubte verächtlich.
"Das ist mir egal. Ihr seid für eure Fehler selbst verantwortlich!"
"Und wenn es kein Fehler war?", fragte ich. "Hätten wir es uns einfach gefallen lassen sollen?"
"Natürlich nicht", erwiderte Professor Morgan.
"Ich sage ja auch nicht, dass ihr hättet nichts tun sollen. Aber ihr hättet subtiler vorgehen müssen."
Überraschte sah ich sie an. Mit dieser Antwort hatte ich nun wirklich nicht gerechnet.
"Jetzt schau mich nicht so an! Ich war auch mal Schülerin an der Akademie und ich weiß, wie es hier läuft.
Und damals waren die Konflikte zwischen den Nyx und den anderen drei Fraktionen noch wesentlich schlimmer", erzählte sie.
"Zu meiner Schulzeit gab es eine Gruppe Nyx, die uns anderen das Leben zur Hölle machte. Aber wir haben sie nicht geschlagen, indem wir ihren Flügel verwüstet haben!"
Ihre Stimme wurde etwas lauter.
"Wenn ihr Schüler eure Konflikte untereinander klärt, ist das eure Sache. Doch wenn ihr Schuleigentum beschädigt, müssen wir als Lehrer eingreifen. Dazu sollte es also nicht noch einmal kommen - hast du mich verstanden?!"
Ich nickte etwas kleinlaut.
So wie sie es sagte, klang unsere Aktion wirklich dämlich.
"Und wie haben Sie es damals geschafft, mit denen fertig zu werden?", fragte ich nach.
Sie schmunzelte.
"Das verrate ich dir, wenn ich sicher bin, dass du keinen weiteren Unsinn baust"
Als ich Eve nach mir rufen hörte, nickte ich Professor Morgan kurz zu und verließ dann den Klassenraum, um zu den anderen zu gehen.
"Und? Was hat sie gesagt?", fragte Argon besorgt.
"Sie hat mir deutlich gemacht, dass unsere Aktion idiotisch war", gab ich zurück.
"Wieso das?", fragte Kilian stirnrunzelnd. "Du warst doch auch dafür, dass wir es ihnen heimzahlen."
Ich schüttelte den Kopf. "Aber doch nicht so. Wir hätten uns einen besseren Plan überlegen müssen und nicht einfach mit stumpfer Gewalt zurückschlagen müssen. Dann sind wir ja genau wie sie!"
Lucas nickte nachdenklich. "Da ist was dran. Ihr habt euch bestimmt Ärger von Jones eingebrockt und die Nyx werden dadurch nur noch härter zurückschlagen"
Leider hatte er mit seiner Vermutung bezüglich Jones Recht.
Dieser ließ uns am folgenden Abend den gesamten Flügel der Nyx wieder herrichten, woraufhin Professor Morgan die Nyx beauftragte, die Beschmierungen von den Wänden unseres Flügels abzuwaschen.
Ich warf ihr beim Abendessen ein dankbares Lächeln zu, sie erwiderte es jedoch nicht, sondern blickte mich nur streng an.
Wer mir jetzt ebenfalls böse Blicke zuwarf, war Shadow.
Allerdings versuchte ich ihn, so gut es eben ging, zu ignorieren.
Die Nyx waren die ganze restliche Woche über auffallend friedlich, was den meisten von ihnen überhaupt nicht ähnlich sah.
Aber wahrscheinlich war das einfach ihre Taktik, um danach so richtig loszulegen. Womöglich hatten sie sogar schon einen Plan.
Auch bei den meisten Artemis ging es um kein anderes Thema mehr, als um die Frage, was wir gegen die Nyx unternehmen konnten.
Daher war es eine angenehme Abwechslung, als ich am nächsten Sonntag gemeinsam mit Professor Morgan in die Innenstadt fuhr, um dort einen entspannten Nachmittag zu verbringen und mir von ihr zeigen zu lassen, was die Unterwelt sonst noch zu bieten hatte.
Überraschenderweise fuhr Professor Morgan einen schwarzen, auf Hochglanz polierten Sportwagen.
Die Türen des Zweisitzers öffneten sich durch eine Automatik nach oben und gaben beim Schließen ein leises Zischen von sich, die Sitze waren mit Leder ausgekleidet und am Rückspiegel baumelte ein goldener Anhänger.
Statt eines Radios gab es in dem Auto einen Bildschirm, auf dem die Musik, die anschließend aus den Boxen ertönte, ausgewählt werden konnte.
Doch erst als wir losfuhren - was allerdings nicht ganz der richtige Begriff für das war, was wir nun taten - wurde es richtig abgefahren!
Das Auto hob buchstäblich ab und schwebte einige Meter über dem Boden, während es uns Richtung Innenstadt kutschierte.
Als wir vor einer großen Shoppingmall zum Stehen kamen, tippte Professor Morgan etwas in den Bildschirm ein, woraufhin dort das Wort 'Parken' erschien und sich die Türen öffneten. Perplex beobachtete ich, wie Professor Morgan einfach ausstieg und mich dann abwartend ansah. "Kommst du?"
"Aber das Auto...?"
Sie schmunzelte. "Das parkt von selbst."
Ich lachte überrascht auf. An diesen ganzen Hightech-Kram würde ich mich wohl noch gewöhnen müssen...
Während ich Professor Morgan in die Mall folgte, fiel mir ein Mann mit braunen Locken und einem selbstsicheren Grinsen ins Auge.
"Hey, Landon!", begrüßte ich Kilians Vater, der sofort auf uns zugesteuert kam.
"Hallo Aline", erwiderte er strahlend und wandte sich dann an Professor Morgan. "Lange nicht mehr gesehen, Minerva. Wie geht es dir?"
Sie lächelte.
"Ganz gut, etwas gestresst"
"Also wie immer", entgegnete er.
"Und du hast wie immer nicht wirklich etwas zu tun?", erwiderte sie mit einem süffisanten Grinsen. "Außer natürlich dir hier die neuesten Autos anzuschauen"
"Na, das sagt die Richtige", protestierte Landon. "Ich fahre immerhin noch einen Oldtimer"
Irritiert dachte ich an sein Auto zurück, das für mich keineswegs wie ein Oldtimer wirkte.
"Tja, du weißt ich habe eine Schwäche für Technologien, die gerade neu auf dem Markt sind", gab Professor Morgan zu. "Aber immerhin laufe ich noch nicht mit AR-Kontaktlinsen herum!"
Die beiden lachten.
"Ich werde mir jetzt tatsächlich ein paar Autos ansehen", erklärte Landon, als er sich zum Gehen wandte. "Allerdings nur, um eine neue Limousine für die Firestone's zu finden"
"Na, Arbeit geht natürlich vor", merkte Professor Morgan etwas spöttisch an. "Bis demnächst, Landon"
Ich folgte ihr durch die Mall, die sich von innen als noch viel größer entpuppt, als ich von außen vermutet hatte.
Wir kamen an einem 9D-Kino, diversen Virtual Reality und Augmented Reality Shops vorbei sowie an Klamottenläden, einem Laden mit technischen Haushaltsgeräten, einem Ticketverkauf für die 'Hyperloop', was wahrscheinlich etwas ähnliches wie eine moderne U-Bahn sein musste, und einem Geschäft, das bunt-leuchtende Smoothies anbot.
Professor Morgan steuerte auf einen kleinen, unscheinbaren Shop zu, der sich direkt neben einem Tattoo Artist befand, der 'magische Tattoos' anpries.
Statt einer Tür gab es hier nur einen Vorhang aus langen, in einem mattem Schwarz schimmernden Perlenketten. Hinter dem Vorhang erwartete uns eine Ansammlung von altem, billig aussehendem Schmuck, Tontöpfen und anderen eher ramponierten Antiquitäten.
"Seid ihr hier für eine Wahrsagung?", krächzte eine ältere Dame hinter einem weiteren Perlenvorhang.
"Nein, ich brauche deine Hilfe bei etwas... Vertraulichem", erklärte Professor Morgan ernst.
Die ältere Dame kam eilig hinter dem Vorgang hervor und beäugte mich misstrauisch. Sie trug eine goldgelbe Tunika, die einen schönen Kontrast zu ihrer dunklen Haut bildete. Ihre Haare waren bereits grau meliert und ihr Gesicht von tiefen Furchen gezeichnet.
"Wen hast du mir da mitgebracht, Minerva?", fragte sie skeptisch.
Professor Morgan hielt einen Moment inne, ehe sie antwortete. "Das ist meine Tochter Aline."
"Deine Tochter?", fragte die ältere Dame überrascht, während sie mir weiterhin unverblümt ins Gesicht starrte.
"Schön dich kennenzulernen, Aline", sagte sie dann und nahm meine Hand in ihre beiden Hände. "Schön dich kennenzulernen."
Ich lächelte etwas unbeholfen.
"Ähm, ja gleichfalls, Mrs..."
"Nenn mich einfach Tamani", murmelte sie lächelnd.
"Weißt du, ich kenne deine Mutter schon seit Ewigkeiten und..."
"Dafür haben wir jetzt keine Zeit", unterbrach Professor Morgan sie ungeduldig.
"Die Nymphen sind zurück. Und du musst mir wieder eines deiner Gifte herstellen"
Tamani sah sie aus großen Augen beunruhigt an.
"Sie sind zurück? Das kann nichts Gutes bedeuten..."
"In der Tat", erwiderte Professor Morgan und legte einen Beutel mit alten Goldmünzen auf den Tisch. "Also? Kannst du mir helfen?"
Die ältere Dame beäugte die Münzen, nickte dann langsam. "Ich werde dir ein Gift anfertigen. Allerdings musst du mir versprechen, dass du es nur im äußersten Notfall zum Einsatz kommen lässt. Nur wenn die Nymphen zu einer Bedrohung werden!"
"Die Nymphen sind bereits eine Bedrohung", entgegnete Professor Morgan. "Auf Wiedersehen, Tamani."
Sie bugsierte mich aus dem kleinen Laden heraus, sodass ich nur noch ein flüchtiges "Wiedersehen" murmeln konnte, ehe wir wieder in der Mall standen.

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