35. Kapitel

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Es war am Freitag beim Elementartraining, als Shadow erneut das Gespräch mit mir suchte.
Argon war gerade in eine Diskussion mit Professor Morgan verwickelt und warf mir nur einen beunruhigten Blick zu, als er sah, dass Shadow auf mich zusteuerte.
"Hey Aline", sagte dieser in der für ihn typischen, bescheuerten Lässigkeit.
"Lass mich in Ruhe", brummte ich genervt.
"Ich will doch nur mit dir reden. Ist das zu viel verlangt?", fragte er mit einem schiefen Grinsen.
"Kein Interesse", gab ich bloß zurück.
"Halt dich einfach von mir fern, Shadow"
Ich spuckte seinen Namen aus wie etwas Widerwärtiges.
Er sah mich durchdringend an, ohne dass ich sehen konnte, was in ihm vorging. Dann drehte er sich um und lief zu den beiden älteren Nyx mit Wasserkräften.
Glücklicherweise sollten wir heute nur einzeln trainieren, sodass ich mich nicht weiter mit Shadow herumschlagen musste.
Allerdings behielt mich Professor Morgan die ganze Zeit misstrauisch im Blick, so als erwarte sie, ich würde gleich wieder etwas Dummes, Unüberlegtes tun.
Nach dem Training ließ ich mir noch etwas Zeit, um die Letzte zu sein und mit ihr reden zu können.
"Wie wäre es, wenn wir heute weitertrainieren?"
Professor Morgan hob skeptisch die Brauen.
"Nach deiner Aktion?"
Ich seufzte.
"Ich habe doch gesagt, dass es blöd von mir war. Aber dass ich es bereue - tut mir leid - aber das kann ich Ihnen nicht sagen!", beharrte ich.
"Und es tut mir leid, was ich vor ein paar Tagen zu Ihnen gesagt habe. Dass ich Sie nicht brauche und so..."
Sie nickte.
"Okay. Aber keine kindischen Streiche und keine Anschuldigungen mehr, verstanden?!"
"Verstanden", erwiderte ich schmunzelnd.
"Also? Was können sie mir noch beibringen, was mir gegen die Nymphen hilft?"
"Das muss bis nach dem Essen warten", erklärte sie und lief somit Richtung Speisesaal.
Beim Essen herrschte eine ziemlich angespannte Stimmung durch das, was Shadow in Geschichte gesagt hatte. Seitdem hatte es einige Anfeindungen zwischen den Fraktionen gegeben und mehrere Artemis waren sogar in eine Schlägerei mit den Nyx verwickelt gewesen.
Ich konnte es ihnen nicht wirklich verübeln. Schließlich hatten die meisten seit ihrer Kindheit von ihren Familien zu hören bekommen, dass die Nyx und die anderen Fraktionen einfach nicht zusammengehören.
Und wenn ich an Idioten wie Damien oder Shadow dachte, konnte ich es auch ein wenig verstehen, dass die meisten Artemis nicht gerade gut auf Nyx zu sprechen waren.
Ich verließ die Akademie mit einem unguten Gefühl und als ich nach dem Training mit Professor Morgan zurückkehrte, ahnte ich schon, dass irgendetwas passiert war.
Keiner der Artemis hielt sich im Speisesaal, in den Gängen oder im Gemeinschaftsraum neben der Bibliothek auf, wo die meisten meiner Fraktion so gut wie immer anzutreffen waren.
Bereits als ich die Tür zum Flügel der Artemis erreichte, hörte ich lautes Stimmengewirr.
Alle klangen aufgebracht, wütend und ziemlich schockiert.
Als ich anschließenden unseren Flügel betrat, erkannte ich auch warum.
Die Wände waren überall mit schwarzer Farbe besprüht, die schwebenden Fackeln waren gelöscht worden und dampften nur noch vor sich hin.
Ich blickte mich entsetzt um und entdeckte das Wort 'Heuchler', das in schwarzer Schrift an der Wand prangte.
Mir war sofort klar, dass das die Nyx gewesen waren, doch im Gegensatz zu Argon war ich viel zu geschockt, um etwas dazu zu sagen.
"Wir wissen alle, wer das war", erhob er nach kurzer Zeit die Stimme und stellte sich auf einen Mauervorsprung, sodass ihn alle sehen konnten.
"Und gerade weil sie erwarten, dass wir nichts tun werden, weil sie nun mal immer die Rebellierenden sind und wir die braven Schüler, die nach den Regeln spielen, müssen wir zurückschlagen!"
Zustimmende Rufe der anderen.
"Wir zeigen es ihnen!", rief einer der älteren Artemis, der anscheinend meistens das Sagen hatte. "Jetzt gleich!"
Doch fast alle Blicke ruhten auf Argon und warteten darauf, was er vorschlug.
"Wartet!", sagte ich laut, woraufhin sich einige der anderen zu mir umdrehten.
"Wir sollten nicht einfach überstürzt handeln. Gerade wir Artemis sollten doch unserem Ruf trotzen. Wir müssen den Nyx zeigen, dass wir genauso undurchschaubar sein können wie sie!"
Wieder wandten sich alle an Argon.
Dieser zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen, nickte aber dann.
"Aline hat Recht. Wir zeigen denen, dass sie uns nicht einschätzen können. Dass wir gerissener sind als sie. Wenn wir jetzt sofort etwas unternehmen, rechnen sie damit. Wenn wir aber einen Plan haben, können wir sie überraschen."
Ich warf ihm ein dankbares Lächeln zu. Vielleicht war ein Gegenangriff ja nicht nötig. Denn wahrscheinlich sollten wir es nicht so weit kommen lassen...
Innerlich rang ich jedoch mit mir.
Einerseits hatte ich Professor Morgan gerade versprochen, keine Dummheiten mehr anzustellen und ich war mir nicht sicher, ob es eine gute Idee war, die Nyx herauszufordern.
Andererseits waren sie hiermit zu weit gegangen und meine Wut auf Shadow wurde von Sekunde zu Sekunde größer, sodass ich einfach nicht mehr klar denken konnte.
Als ich Eve in unser Zimmer folgte, musste ich feststellen, dass auch dort die Wände mit schwarzer Farbe bedeckt waren.
Meine Aufmerksamkeit wurde jedoch sofort auf einen Zettel gelenkt, der zusammengefaltet auf meinem Bett lag und an dem etwas schwarze Sprüh-Farbe klebte.
Eilig faltete ich ihn auseinander.
Bring deine Leute lieber unter Kontrolle. Sonst wird das ein Nachspiel haben.
Überraschenderweise hatte er ausgerechnet mit 'Morpheus', statt mit 'Shadow' unterschrieben.
Ich schnaubte wütend.
Und was für ein Nachspiel das haben würde...!

Wir hatten es tatsächlich geschafft, alle Nyx aus ihrem Flügel zu locken, indem wir einem von ihnen gesteckt hatten, dass die Artemis sich gerade draußen auf dem Gelände der Akademie auf einen Angriff vorbereiteten.
Und da sie Solidarität als eine ihrer wichtigsten Grundzüge ansahen, hatten wirklich alle ihren Flügel verlassen.
Gerade als die letzten Nyx den nebligen Gang hinunter liefen, gab Argon den anderen ein Zeichen. Je näher wir dem Zentrum des Flügels kamen, desto dichter wurde der Nebel und desto mehr riesige Glühwürmchen schwirrten um uns herum.
Wir erreichten einen gigantischen Wasserfall, dessen Wasser pechschwarz war und keinen Hinweis darauf lieferte, was dahinter war.
"Wir müssen da durch", erklärte einer der Älteren.
Argon war der erste, der durch den Wasserfall hindurch trat, Kilian folgte ihm.
Ich streckte zuerst eine Hand aus und stellte überraschend fest, dass das Wasser einfach von meiner Haut abperlte und sich überhaupt nicht nass oder kalt anfühlte. Dann trat auch ich durch den Wasserfall hindurch, hinaus auf die andere Seite, wo bereits ein paar andere warteten und sich umsahen.
Staunend blickte auch ich mich um.
Es drang zwar kein Tageslicht in den Flügel der Nyx, aber alles war in ein angenehmes, gelbes Licht getaucht.
In der Mitte der kleinen Halle, an deren Seiten Gänge abzweigen, die höchstwahrscheinlich zu den Zimmern führten, befand sich eine Wasser-Skulptur aus schwarzem Marmor.
Bei näherem Hinsehen erkannte ich, dass sie das Symbol der Nyx, eine Rose, darstellte.
Ich riss mich von dem Anblick los und konzentrierte mich wieder auf unsere Mission. Wir hatten schließlich nur etwa zehn Minuten, bevor die Nyx merkten, dass es eine Falle war.
Also machte ich mich daran, Shadows Zimmer ausfindig zu machen. Das Ganze stellte sich allerdings als schwieriger heraus, als ich angenommen hatte.
Nur wenige der Nyx hatten persönliche Gegenstände wie Familienfotos in ihrem Zimmer und so wusste ich nicht wirklich, woran ich festmachen sollte, welches Shadows war.
Erst als ich es erreichte, konnte ich mit völliger Sicherheit sagen, dass es sein Zimmer war.
Über dem Bett hing eine alte Schallplatte von Queen und daneben ein Banner mit der Aufschrift 'Die Dunkelheit ist echt, das Licht aber scheint bloß so' und darunter 'Nachts ist man das, was man eigentlich sein soll; nicht das, was man geworden ist'.
Auf dem Tisch neben Shadows Bett stapelten sich mehrere Bücher. Das oberste schien eine Art biografischer Roman über einen früheren Revolutionär der Unterwelt zu sein.
Shadows schwarze Lederjacke, hing über dem Sessel in der Ecke des Raums und mir fiel auf, dass Shadow ordentlicher war, als ich gedachte hatte, denn abgesehen von dem Bücherstapel waren all seine Sachen sorgsam in den Schränken verstaut.
Als ich Argons Rufe hörte, die mir bewusst machten, dass ich mich beeilen musste, holte ich schnell den Zettel heraus, auf den ich eine Botschaft an Shadow gekritzelt hatte und legte ihn auf sein Bett. Dann lief ich eilig zurück zur Halle mit der Marmor-Rose.
Was mich dort erwartete, ließ mich scharf die Luft einziehen.
Das Wasser der Skulptur hatte jemand mithilfe eines dort angebrachten Farbbeutels dunkelrot gefärbt, sodass es nun aussah, als würde die Rose bluten.
Überall herrschte Chaos, Gegenstände waren beschädigt oder angekokelt worden und ich bekam das schreckliche Gefühl, dass die anderen viel zu weit gegangen waren.
Während ich durch die Gänge geirrt war, hatten sie es vollkommen übertrieben - und wenn die Nyx zurückkommen würden, würden wir ein wirkliches Problem mit ihnen haben.
"Verdammt, Argon!", brüllte ich über den Lärm der anderen hinweg.
"Wie konntest du das zulassen?!"
Ich deutete aufgebracht auf Tumult um mich herum.
Argon antwortete mir jedoch nicht, sondern wandte sich nur an ein paar der älteren Artemis. Diese sorgten für Ruhe und verkündeten dann gemeinsam mit Argon, dass wir uns jetzt zurückziehen mussten.
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen.
Ich war eine der ersten, die den Wasserfall durchquerte und zügig den Gang hinunter lief. Als ich die Treppe erreicht hatte, blieb ich stehen und wartete auf Argon.
Da er das Schlusslicht bildete, schaffte er es gerade so noch rechtzeitig bis zu mir, bevor wir die Nyx zurückkommen hörten.
"Beeil dich!", flüsterte ich ihm in strengem Ton zu. Als wir unseren eigenen Flügel erreicht hatten, stellte ich ihn zur Rede.
"Wieso verdammt noch mal hast du nicht eingegriffen?!"
Argon seufzte.
"Das verstehst du nicht, Aline. Du bist nicht in der Unterwelt aufgewachsen. Du kennst die Nyx nicht."
Fassungslos schüttelte ich den Kopf.
"Ich kann nicht glauben, dass du so denkst", sagte ich enttäuscht. "Und ich kann nicht glauben, dass ich dich sogar noch dabei unterstützt habe!"

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