Kapitel 52

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Kielan

Mein Bruder schlendert mit gesenktem Kopf über den Rasen des Campus. Sein beiger Pullover ist so deutlich mit roten Flecken besät, dass ich dies schon aus weiter Entfernung erkennen kann. Er ist geknickt und wirkt erschöpft. Untypisch für meinen Bruder. Er verhält sich meist eher wie ein Eichhörnchen auf Koks. Unermüdlich. Je näher er kommt, desto klarer wird das Ausmaß seiner Beschmutzung oder seiner Verletzungen, dies lässt sich leider noch nicht vollständig erfassen. Langsam hebt er den Blick und schaut mich an - oder er versucht es zumindest. Denn eins seiner Augen ist komplett zugeschwollen. Dick und bereits jetzt schon blau. Getrocknetes Blut klebt unter seiner Nase, an der Stirn und seinem Haaransatz.
»Herrgott, was ist mit dir passiert?«, frage ich und gehe ihm über den Rasen entgegen.

»Mattheo King ist passiert«, nuschelt mein Bruder. Je näher ich komme desto erschreckender wird das Bild. Blut erschreckt mich in der Regel nicht mehr. Verletzungen erschrecken mich nicht mehr. Aber das Blut an meinem Bruder, welches durch die Hand meines Vaters verursacht wurde, erschüttert mich so tief, dass sich in meiner Magengegend ein unmenschlicher Schmerz und ein Feuerball an Wut entzürnt. Wütend greife ich nach seinem Arm, taste ihn ab und hebe schließlich mit dem Finger unter dem Kinn seinen gesenkten Kopf an. »Ich möchte genau wissen, was hier passiert ist. Aber lass uns erst in mein Zimmer gehen, du brauchst neue Klamotten«

Mein Bruder stimmt nickend zu und folgt mir in das Verbindungshaus. Wir kämpfen uns den Weg durch die feiernde Meute. Alle sind viel zu betrunken, um nur im Ansatz zu merken, dass sich hier jemand verletzt und blutend den Weg durch die Menge bahnt. Oben angekommen verriegle ich die Tür hinter uns. Mein Bruder stapft die letzten Stufen hoch und beginnt direkt damit sich auszuziehen. Blaue großflächige Flecken ziehen sich über seinen Rücken und die Rippen. Was haben Sie ihm nur angetan? Ich brauche die ganze Story, im Detail. Ich merke wie sehr mein Kiefer zu schmerzen beginnt - möglicherweise schon seitdem ich Nick draußen entdeckt habe. Zur Entspannung lasse ich meinen Kiefer kreisen und versuche mich zu beruhigen.

»Also was ist passiert?«, bohre ich fordernd nach während ich in meinem Schrank nach frischen Sachen wühle. Ich reiche Nick ein frisches Ramones T-Shirt, welches er direkt überstreift und sich anschließend auf mein Bett fallen lässt.

»Als du raus bist musst ich Dad genau erzählen was mit dem Denali Clan und Jeff vor sich gegangen ist. Er ist dabei so wütend geworden, dass er sein ganzes Büro inklusive seinem Mahagoni Schreibtisch zerschlagen hat.«

Wow. Diese Art von Ausbrüche sind mir neu. Mein Dad ist die Kontrolle selbst, scheint als hätte Nick eine Grenze übertreten, die wir bisher noch nicht kannten.

»Tja und da er seine Arbeit ja nicht selber macht, hat er mich förmlich vorgewarnt, dass ich nun dafür eine Abreibung ein zu stecken hätte. Der alte Russe ist mit mir aufs Fabrikgelände gefahren, hat mich die selbe Treppe hinuntergestoßen und den Rest siehst du ja«, führt Nick zu Ende aus.

Wütend raufe ich mir die Haare. »Ich kann verstehen, dass er wütend ist ja. Aber dich die gleiche Treppe hinunter zu stoßen? Was zur Hölle ist falsch mit diesem Mann?«

Nick zuckt mit den Schulter und verzieht direkt das Gesicht. »Shit, ich bin echt im Arsch. Hast du vielleicht ein Handtuch mit Wasser? Ich muss mich sauber machen.«

»Klar, du kannst auch duschen, wenn du magst. Und natürlich pennst du heute hier«

»Danke, Mann.« Nickt rutscht auf dem Bett herum und legt sich langsam stöhnend auf den Rücken. »Ach und ich muss ab sofort die Straße übernehmen. Ab morgen«, gibt er gequält preis. »Das ist ein verdammter Witz, oder?« Nick schüttelt nur den Kopf. Eigentlich übernehmen bei uns die absoluten Neueinsteiger, die untere Basis, diese Arbeiten. Die Straße ist gefährlich. Dort muss jeder mit den Bullen oder neuen Kunden rechnen, die manchmal weder Geld noch Lust haben zu bezahlen. Schlägereien, Schießereien oder Messerstechereien sind dabei vorprogrammiert. Wir als die Söhne des Oberhaupts genießen eigentlich Vorteile. Die Art von Vorteilen, als dass wir niemals so weit vom Kern entfernt arbeiten müssten. Denn das bedeutet weniger Schutz, weniger Wissen und weniger Macht. Was das für mich oder auch für Nicks Zukunft bedeutet weiß ich nicht. Aber ich habe ein Gefühl, dass mir sagt, dass dies nicht gerade hilfreich sein wird.



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