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Elena

Jemand hat mir mal gesagt, dass Urlaube das Beste sind, was man haben kann. Urlaube und Sex. Aber verdammt, gerade kommen mir die Vorbereitung wie die Hölle persönlich vor. Nicht nur das Lynn bereits seit einer Stunde zu spät ist, nein, mein Koffer sieht sich nicht genötigt, zugehen. Ich habe versucht, so strategisch wie möglich zu packen, aber die Reißverschlüsse treffen sich nicht mal annähernd. Hoffnungslos stemme ich mich auf den schwarzen Schalenkoffer. Zwischen den Seiten hängt mein BH-Träger hervor, den ich rasch an seinen Platz schiebe und mich auf das Gepäckstück fallen lasse. »Verdammter Scheiß!«, fluche ich genervt, bin kurz vorm Verzweifeln. Dabei habe ich genau für zwei Wochen gepackt. Ich war mir sicher, dass alles hineinpasst. Am Ende meiner Nerven klettere ich wieder vom Koffer hinunter auf mein Bett, öffne ihn schwer. Etwas auszupacken, hat nicht zu meinem Plan gehört, wo ich eh schon spät bin. Wo steckt Lynn?
Wenn man vom Teufel spricht, klingelt er an der Haustür. Ich zweifle nicht daran, dass Sie es ist, die da im Hausflur steht. Eilig husche ich aus meinem Schlafzimmer in den Flur, reiße die Tür ruppig auf. Lynn fällt mir sofort kreischend in die Arme, bevor ich fähig bin, zu reagieren.
»Ich freue mich so!«, zappelt sie in meinen Armen, springt auf und ab. Lachend stoße ich die Tür hinter ihr zu, löse mich von ihr. Ich kann sie nun das erste Mal komplett betrachten. Bei ihr ist sichtlich das Urlaubsfieber ausgebrochen. Unter dem schwarzen Sonnenhut versteckt sie ihren blonden Haaren, trägt einen Jumpsuit mit Palmenblättern. »Wow, willst du etwa nach Ibiza? Du erinnerst dich schon daran, dass es nach Russland geht, oder?«, frage ich. Stöhnend zieht sie sich die Sonnenbrille von der Nase und verdreht die Augen mit Absicht. »Na und? Da gibt es auch gutes Wetter. Und Strände haben die bestimmt auch. Außerdem muss ich mir einen gut-aussehenden Russen klären, für die Instagram Bilder.« Sie zwinkert mir vielsagend zu, lässt ihre sündhaft teure Sonnenbrille in der Tasche verschwinden.
»Verstehe schon. Aber wenn wir den Flug verpassen, war es das«, erinnere ich sie und deute symbolisch auf mein Handgelenk, als hätte ich eine Uhr um. Meine beste Freundin reißt die blauen Augen auf, schluckt diskret.
»Upsi, die Zeit... Ja die hatte ich völlig vergessen«, gibt sie verlegen zu und beißt sich auf die Unterlippe. Ich seufze, nicke auf mein Schlafzimmer.
»Mein Koffer geht nicht zu«, gestehe ich.
»Das bekommen wir schon hin«, versichert Lynn mir guter Dinge, zieht mich an der rechten Hand mit sich. Mit der anderen greift sie sich ihr Gepäck, rollt es hinter sich her. Sie wuchtet den Koffer neben meinen auf die gemachten Laken, öffnet ihn zügig und beginnt zu grübeln. »Wie lange haben wir noch?«, erkundigt sie sich. Ich werfe einen Blick auf den Bildschirm meines Handys, strecke es ihr entgegen. »Das neue Taxi kommt in sieben Minuten, bis dahin müssen wir unten sein«, antworte ich. Die Blondine klatscht gutgelaunt in die Hände. »Dann lass uns loslegen. Pack die oberen Sachen in meinen Koffer«, scheucht sie mich auf. Dankend tue ich, was sie sagt, packe mit ihr zusammen neu. Lynn ist die beste, weiß immer, was zu tun ist.

Ihr habe ich viel zu verdanken, ich kann es kaum abwarten, mit ihr zu verreisen. Das letzte Mal, das wir zusammen im Urlaub waren, ist eine gefühlte Ewigkeit her. Da waren wir sechzehn gewesen, mit ihren Eltern zusammen in Schottland. Noch heute lachen wir gemeinsam über die Reise. Es ist schweinekalt gewesen, mitten im Sommer. Die Hälfte der Zeit hatte es schrecklich geregnet und gestürmt, mussten ganze zwei Tage ohne Strom auskommen, da die Leitungen von einem umgestürzten Baum zerborsten waren. Damals hatten wir uns mit einer Tassensuppe vor den Kamin gesetzt, über ihre pinke Powerbank unsere Handys geladen und ihren Schwarm auf Instagram gestalkt, bis wir vor der warmen Feuerstelle eingeschlafen waren.

Ganze zwei Minuten später, lässt der Koffer, sich endlich schließen. Erleichtert küsse ich meine beste Freundin auf die Wange, ziehe das Gepäckstück vom Bett auf den Boden. »Danke, jetzt komm!«, spreche ich eilig, ziehe sie an der Hand aus dem Zimmer, meinen Koffer schiebe ich vor mir. »Wir haben noch zwei Minuten«, seufzt Lynn hinter mir. Ich schlüpfe in meine schwarzen Sneaker, werfe mir meine Jacke über und befreie meine Haare aus ihr. »Ja...«, stimme ich ihr zu, stelle meine Handtasche auf meinen Koffer, biege den Henkel über den Griff, »...und du brauchst mindestens drei Minuten nach unten.«
»Nur seit der dumme Aufzug kaputt ist!«, beschwert sie sich hinter mir. Heimlich schmunzle ich über ihre Worte, öffne die Haustür und schiebe mein Gepäck voran in den Flur. »Kommt davon, ich habe dich gewarnt. Der Kleiderschrank war zu schwer für den Aufzug«, sage ich. Lynn schmeißt meine Apartmenttür lautstark hinter sich zu, hebt ihren Koffer an und steigt die ersten Treppen hinab. »Kann ich ja nicht wissen«, murmelt sie gespielt beleidigt, wirft ihre Haare elegant über die Schultern. Lachend verschließe ich meine Wohnung, sage ihr gedanklich Lebewohl. Zumindest für die kommenden zwei Wochen. Hoffentlich wird es eine schöne Zeit werden. Dies ist mein erster Urlaub seit einer Ewigkeit, dazu auch noch mit Lynn. Ich freue mich auf die Zeit mit ihr, denn in letzter Zeit, haben wir uns alles andere als häufig gesehen. Die meiste Zeit in den letzten Monaten, die wir miteinander verbrachten, war über Skype. Ihr Job als Flugbegleiterin einer privaten Firma ließ sie viel rumkommen. Seit sie vor einem Jahr in Moskau war und in dem Schaufenster einer Reiseagentur die Bilder von Sankt Petersburg gesehen hatte, wollte sie unbedingt dorthin. Ich freue mich für sie mit, ich weiß das sie eine lange Zeit darauf hin gefiebert hat.

Gerade als wir aus der Haustür auf den noch feuchten Bordstein treten, der vom Regen heute Nacht nicht getrocknet ist, parkt das typische schwarze Taxi Londons vor uns. Ein älterer Mann sitzt hinter dem Steuer, lässt die Scheibe hinunter und blickt uns an. »Miss Reynolds?«, fragt er uns. Ich hebe die Hand, nicke. »Ja sie sind hier richtig«, lächle ich. Erleichtert steigt er aus und nimmt uns die Koffer ab. »Gut. Ich nehme mal an sie möchten nach Heathrow?«, erkundigt er sich, öffnet den Kofferraum mit einem Handgriff. »Ja genau«, bestätige ich. »Dann steigen sie mal ein, es ist viel los heute«, murmelt er und deutet auf die Rücksitze. Lynn rutscht auf die linke Seite, ich nehme hinter dem Fahrer auf der rechten Seite Platz und schnalle mich an. Meine Tasche stelle ich auf meinen Oberschenkeln ab, überprüfe sicherheitshalber, ob ich alles habe. Handy, Portemonnaie, Reisepass, Ticket und ein paar unverzichtbare Dinge. Zum Glück ist alles da. Erleichtert sinke ich in den Sitz, als der Fahrer Gas gibt und sich in den regen Stadtverkehr eingliedert.

Am Flughafen bezahle ich den Mann, gebe ihm ein gutes Trinkgeld, danke ihm das er uns trotz der miesen Verkehrslage rechtzeitig zum Flughafen gebracht hat. Er hilft uns, das Gepäck auszuladen, verabschiedet sich und wünscht uns einen fabelhaften Urlaub.
»Okay komm Elena, wir müssen uns beeilen«, drängelt Lynn mich, als das Taxi zwischen den anderen verschwunden ist. Wie vorhin, befestige ich meine Handtasche auf meinem Koffer, halte mein Ticket fest in der Hand und stürme mit Lynn in das Terminal. »Wieso bist du eigentlich zu spät gewesen?«, erkundige ich mich neugierig beim Rennen. Wir drücken uns an anderen Menschen vorbei, durchbrechen unabsichtlich Menschenmengen.

»Lange Geschichte!«, ruft meine beste Freundin. Ich ahne, um was es geht. »Du hast dein Handy nicht gefunden, oder?«, rate ich. Lynn verliert öfters Sachen, am liebsten die wichtigsten. Erst vor einem Jahr hat sie mir mein Ladekabel wiedergegeben, das sie fünf Jahre zuvor bei sich verloren hatte. Das war das erste und letzte Mal, das ich ihr meins geborgt hatte.
»Nein mein Ticket«, lacht sie nervös, wedelt damit herum. Zeit, etwas zu erwidern, haben wir nicht. »Hier nach rechts!«, lasse ich sie wissen, wir biegen augenblicklich zum richtigen Gate ab, machen den Sicherheitscheck im Schnelldurchlauf, geben unsere Koffer ab und rennen direkt weiter. Das Boarding hat bereits begonnen. Ein Glück, das ich das Schlamassel, kommen gesehen habe, und uns online eingecheckt habe, vor zwei Stunden. Hätten wir das auch noch erledigen müssen, wäre der Flieger weggewesen.
Geschafft knallt Lynn vor mir das Ticket auf den Schalter und schnauft. »Sind wir zu spät?«, will sie mit großen Augen wissen. Luftholend bleibe ich neben ihr stehen, reiche der Frau ebenfalls mein Flugticket. Auf ihren Lippen prangt ein großes Lächeln, als sie den Kopf schüttelt.
»Nein keine Sorge. Wir haben noch zehn Minuten«, versichert sie uns.
Erleichtert senken sich unsere Schultern gleichzeitig ab, Lynn nimmt grinsend wieder ihren Pass und das Ticket entgegen. »Danke vielmals«, bedankt sie sich, marschiert auf den Tunnel zu. »Danke«, murmle auch ich, nehme mir meine Sachen und folge ihr. Schnell hole ich zu Lynn auf, die auf und ab springt wie ein aufgeregtes Kind, wenn es zu viele Süßigkeiten gegessen hat. Gott, hat sie heute Morgen etwas in ihrem Kaffee gehabt? Sie ist schrecklich hyperaktiv. »Freu dich doch mal Elena, wir fliegen in den Urlaub!«, kreischt sie, legt einen Arm um meine Schultern. Lächelnd streiche ihr mir eine Haarsträhne hinter die Ohren. »Das tue ich doch!«, versichere ich ihr gutgelaunt, bringe meine beste Freundin zum auf quietschen.

Zwei Flugbegleiterinnen begrüßen uns an der Tür, geleiten uns zu unseren Plätzen. Erste Klasse, wow. »Lynn, wann wolltest du mir sagen, dass die Plätze allein so viel wie der gesamte Urlaub gekostet haben?«, frage ich meine beste Freundin skeptisch, sinke in den äußerst bequemen Sitz der ersten Klasse. Lynn, die neben mir am Fenster sitzt, zwinkert schelmisch. »Sagen wir mal so; meinem Arbeitgeber gehört diese Fluggesellschaft ebenfalls. Und ich kenne den Piloten, der heute fliegt.« Mehr gibt sie nicht preis. Mehr möchte ich nicht wissen. Gott bewahre mich vor schlüpfrigen Details, wie sie es im Cockpit eines Privatjets getrieben haben.
Kaum merklich schüttele ich mich, als sie ein Bild vom Rollfeld, durch die schmalen Fenster, knipst. Wie durch die Lautsprecher verlangt, schnalle ich mich an, schiebe meine Tasche in den großzügigen Fußraum und überschlage meine Beine, lehne mich gelassen zurück.
»Was möchtest du als erstes machen, wenn wir angekommen sind?«, frage ich sie. Der Flieger nimmt an Geschwindigkeit auf, rast über die Startbahn. Ich spüre, wie mein Körper in den Sitz gepresst wird. Mein Herz beginnt rapide zu schlagen, Adrenalin breitet sich in meiner Blutbahn aus. Ein berauschendes Gefühl stellt sich ein, als der Flieger zwischen die weißen Wolken gleitet. Es ist schon lange her, dass ich geflogen bin. Lynn legt ihr iPhone in ihrem Schoß, dreht den Kopf zu mir.
»Sightseeing natürlich«, lautet ihre zufriedene Antwort.

Saints and SinnersWhere stories live. Discover now