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Viele Jahre waren vergangen seit dem Tag, an dem der Elbenkönig seine Frau verloren hatte. Die tiefen Wunden, die dieser Verlust in ihm hinterlassen hatte, waren nie verheilt. Der Schmerz, den Thranduil an diesem Tag gespürt hatte, war so heftig gewesen, dass er nie darüber hinweggekommen war.  Und so tat er das Einzige, was ihm half, diesen Schmerz zu überwinden: Vergessen.

Er dachte nicht mehr an jenen Tag, verbannte jeden Gedanken daran aus seinem Kopf. Jegliche Gefühle und Emotionen sperrte er hinter die kalte, emotionslose Maske, die er seitdem aufrechterhielt. Nichts vermochte sie zu durchdringen, sie war wie ein Schutzwall, der sein Inneres verbarg.

Nie wieder wollte er solch einen Schmerz spüren, nie wieder jemandem seine Gefühle preisgeben. Und mit den Jahren verschloss er jegliche Gedanken und Emotionen daran tief in seinem Inneren. Jeder Tag war trist und grau und jegliche Lebenslust war aus dem Elben verschwunden. Nach außen hin gab er sich kalt und erhaben, doch in ihm herrschte eine Leere, die ihm den Schlaf raubte und ihn keine Ruhe finden ließ...

 Wie an jedem Morgen saß der Elb auf seinem prachtvollen Thron, der ihm einen erhabenen Blick auf den großen Thronsaal erlaubte. Vor ihm stand ein königliches Frühstück, nur das Beste an Feldfrüchten und Backwaren und es duftete verführerisch. Doch Thranduil schenkte dem prachtvoll angerichteten Tablett nicht einen einzigen Blick. Er hatte keinen Appetit, so wie fast immer und in seinen Knochen lag eine bleierne Müdigkeit und Erschöpfung, die ihm jegliche Kraft raubte.

Nachdenklich ließ er seinen Blick durch den Thronsaal schweifen, wo sich schon viele Elben versammelt hatten und gemeinsam aßen. Gedankenverloren spielte der Elbenkönig mit einem der wertvollen Ringe, die seine Finger schmückten, während er seinen Gedanken nachging. Seinem Volk ging es gut, sie litten weder an Hunger noch an Krieg. Sie hatten nichts zu befürchten. Auch etwas, was sie ihm zu verdanken hatten.

Er blickte auf, als ein Diener neben ihm auftauchte. Mit einem leichten Fingerschnippen signalisierte Thranduil ihm, das Frühstück wieder mitzunehmen. Dieser nickte eilig und verschwand mit dem Tablett wieder. Langsam lehnte sich der Elb zurück, während er beobachtete, wie der Diener durch eine kleine Seitentür verschwand. Er hatte die Angst in seinen Augen nicht übersehen, genauso wenig wie sein eingeschüchtertes Verhalten. Er fürchtete sich vor ihm, so wie jeder in diesen Hallen. Die Kälte und der Jähzorn Thranduils waren weithin bekannt und gefürchtet, niemand hielt sich länger in seiner Nähe auf als unbedingt nötig.

Nicht, dass das den Elbenkönig störte. Er gab ihnen auch keinen Grund dazu, ihn zu mögen. Warum auch? Ein König musste nicht geliebt werden, solange in seinem Reich Frieden und Wohlstand gesichert waren. Gefühle waren nutzlos, wenn es darum ging, zu regieren. Schließlich war es seinem harten Gericht den Gefangenen gegenüber zu verdanken, dass hier Sicherheit und Ordnung herrschten. Wozu sich mit anderen Völkern beschäftigen oder die Zeit mit Gefangenen vergeuden?

Solange er diese Elbenreich beherrschte, ging es allen gut. Und alle achteten ihn. Oder fürchteten ihn... Ihm war es gleich.

Die Gestalt seines Sohnes, der durch die große Flügeltür den Thronsaal betrat, riss den Elbenkönig aus seinen Gedanken und er blickte auf. Sein Sohn war zu einem starken Elben herangewachsen, seine Fähigkeiten waren denen eines Elbenprinzen würdig. Der junge Elb trat an den Thron heran und blickte zu ihm auf.

"Alla, nín iôn.", grüßte Thranduil ihn. (Sei gegrüßt, mein Sohn.) Sein Gesicht verriet keine Gefühlregung, seine Augen blieben kalt und leer, einzig ein leichtes Kopfnicken ließ er ihm zuteilwerden. Einen kurzen Moment meinte der Elbenkönig Enttäuschung in den Augen seines Sohnes aufblitzen zu sehen, dann senkte dieser den Kopf. "Alla, ada." (Sei gegrüßt, Vater.) Seine Stimme klang ebenso regungslos wie Thranduils und er mied dessen Blick. Stattdessen drehte er sich um und ging zu den anderen Elben, um ebenfalls etwas zu essen.

Der Körper des jungen Elben war angespannt, als er sich an einen der Tische setzte, den anderen Elben, die ihn freundlich begrüßten, schenkte er nur ein leichtes Nicken. Vieles war passiert, seit seine Mutter gestorben war, aber nichts tat ihm so weh, wie zu sehen, wie sein Vater sich verändert hatte. Und nicht nur er. Über dem ganzen Reich lag eine Dunkelheit und Trübseligkeit wie ein Schatten, selbst die Luft im Schloss schien erdrückend zu sein. 

Es schmerzte ihm zu sehen, wie kalt sein Vater geworden war und wie er sich verändert hatte. Er wusste, dass er seine Emotionen in keinster Weise zeigte, nicht seitdem seine Mutter gestorben war, und die Barmherzigkeit war schon lange aus diesen Hallen verschwunden.

Entschieden vertrieb er die düsteren Gedanken, die sich schon wieder in seinen Kopf drängen wollten und lauschte den Gesprächen der anderen Elben. Schon bald ließ er sich das Essen schmecken, während er sich mit ihnen unterhielt. Als er fertig war und den Thronsaal verlassen hatte, ohne seinem Vater nochmal einen Blick zu schenken, lenkte er seine Schritte in Richtung Stall. Er beschloss, einen Ausritt in den Wald zu machen und seine Laune stieg bei dieser Aussicht sofort. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen kam er in den Stall, wo sein treuer Hengst Aranel ihn mit einem ungeduldigen Wiehern begrüßte.

Sein Name bedeutete so viel wie "der Schöne" und genau das war er auch. Eine wahre Schönheit. Sein Fell war von einem strahlenden Weiß und sein Körper war kräftig und ausdauernd. Eine tiefe Freundschaft verband die beiden und Legolas strich dem Hengst sanft über den Hals, ehe er ihn sattelte. Entschlossen nahm er seinen Bogen und seinen Köcher und führte Aranel aus dem Stall.

Das Wetter war wunderbar, die Sonne schien warm hinter den weißen Wolken hervor, die den Himmel bedeckten und ein leichter Wind wehte durch die langen blonden Haare des Elben. Als dieser schließlich das Haupttor erreichte, stieg er auf den Hengst, der ungeduldig tänzelte. "Ruhig...", lachte der Elb, während er von der übermütigen Stimmung seines Hengstes angesteckt wurde und seine Augen freudig funkelten.

Die Wachen öffneten das Tor, sodass er hinausreiten konnte und sofort fiel Aranel einen schnellen Galopp, während der Prinz ihn in Richtung Wald lenkte. Er liebte es, den Wind in seinen Haaren zu spüren und den fröhlichen Liedern der Vögel zu lauschen, die die warme Luft erfüllten. Die Ruhe, die sie umgab, wirkte befreiend und ein glückliches Leuchten erstrahlte in den Augen des Elben.

Schon bald war der Wald in Sicht und der junge Elb zügelte Aranel ein wenig. Plötzlich stieß der Hengst ein lautes Wiehern aus und seine Nüstern weiteten sich nervös, während er tänzelnd anhielt. Seine Ohren waren aufmerksam auf den Wald vor ihnen gerichtet, scheinbar hörte er etwas, was Legolas nicht hörte. Irgendetwas war da, vielleicht etwas Gefährliches, denn Spinnen und Orks versuchten immer wieder, in das Reich einzudringen.

Automatisch griff sich Legolas seinen Bogen und nahm einen Pfeil aus dem Köcher auf seinem Rücken. Mit einer geschmeidigen Bewegung stieg er von seinem Hengst ab und strich diesem beruhigend über den Hals. Er wusste, der Hengst würde hier warten, bis er zurückkam. Mit einer schnellen Bewegung spannte er einen Pfeil in den Bogen und ging vorsichtig in die Richtung, in die Aranel sah. Sein Körper war angespannt und jederzeit dazu bereit, sich zu verteidigen, während er vorsichtig weiter in den Wald hinein ging, den Bogen gespannt vor sich gerichtet. Seine Augen suchten die Gegend ab und seine feinen Elbenohren lauschten aufmerksam, um jedes kleinste Geräusch aufzufangen. Was hatte der Hengst gehört?



Ein Herz aus EisWhere stories live. Discover now