Kapitel 9

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Alexanders Kiefer waren fest aufeinandergepresst und seine Hände in den Taschen seines Mantels wie üblich zu Fäusten geballt. Eine angespannte Haltung schien in letzter Zeit sein Dauerzustand zu sein, mit flachem Atem und gehetztem Blick. Unruhig schossen seine Augen von einem Passanten zum nächsten, vermuteten in jedem Schatten von Häuserecken heimliche Beobachter. Obwohl die Sonne von hellgrauen Wolken bedeckt wurde, war es helllichter Tag, und die Straße war voll genug, dass Alexander und Moore zwischen den restlichen Menschen untergehen müssten. Väter und Mütter hielten ihre Kinder bei den Händen, sammelten sich an der Eingangstür der Eisdiele linkerhand und ließen ihr fröhliches Gerede über den Bürgersteig schweben. Vereinzelte Fußgänger strömten mit Papiertaschen von Rewe aus der kleinen Filiale am anderen Ende des Zebrastreifens und Pärchen schlenderten gemütlich händchenhaltend über das hellbraune Pflaster des Gehweges.

Alexanders Blick wanderte über die Häuserreihe rechts von ihm, und aus dem Augenwinkel sah er etwas Grünes aufblitzen. Ein hellblaues Gebäude inmitten von farbenfrohen Fassaden stach durch seine Dachterrasse hervor, wo sogar auf die Entfernung Buchsbäume und Efeu zu erkennen waren. Auf dem flachen Dach hätte sich problemlos ein Scharfschütze platzieren können, ohne entdeckt zu werden.
„Warum setzen wir uns gleich noch einmal unnötig diesem Risiko aus?", zischte er aus dem Mundwinkel Moore zu, die sich bisher erstaunlich still verhalten hatte. Ihre Anwesenheit hatte sich ihm nur durch den konstanten Druck an seinem rechten Arm verraten, den sie sanft umklammert hatte. Zugegebenermaßen war seine Aufmerksamkeit auch mit möglichen Gefahren beschäftigt gewesen und nicht ein einziges Mal zur CIA-Agentin an seiner Seite gewandert – wie ironisch, da sie vermutlich die tödlichste Person im Umkreis von mehreren Meilen war.

„Es ist erst ein Risiko, seitdem du deine Paranoia heraushängen lässt und wie irre nach Bedrohungen Ausschau hältst. Wenn du lang genug suchst, wirst du auch etwas finden, Alec." Ihre Stimme war leise, aber unbekümmert, und stand im Gegensatz zu ihren Worten. Obwohl es anfangs nicht den Anschein gemacht hatte, schien sie ihre Klangfarbe perfekt kontrollieren zu können.
„Das hilft mir nicht gerade", murmelte Alexander zurück, leicht die Augenbrauen zusammenziehend. Es gefiel ihm nicht, dass seine Worte leicht gepresst klangen, weniger kontrolliert als die seiner Personenschützerin. Er hatte nicht einmal Zeit, seine Atemtechnik durchzuführen, da zog Moore ihn auch schon nach rechts unter das gelb gestreifte Sonnensegel eines Cafés. Die Frontseite war in einem kitschigen Pastellrosa gestrichen, und links von der gläsernen Eingangstür präsentierten sich Brezeln und Kuchen in einem weitläufigen Schaufenster.
Ein Glöckchen klirrte leise, als Moore die Tür öffnete und Alexander ihr galant den Vortrat anbot, um ihr dann nach einem raschen Blick über die Schulter durch den schmalen Eingang zu folgen.

Eine hölzerne Theke trennte sie Linkerhand von den Backwaren, die neben dem Schaufenster auch die Regale an der langgestreckten Wand zierten. Zwei ältere Damen in Schürzen und mit mehligen Unterarmen eilten geschäftig hin und her, die beiden Neuankömmlinge glücklicherweise ignorierend. Alexander musste sich beeilen, Moore hinterherzukommen, die mit ihrem selbstbewussten Schritt bereits das Ende des Ganges erreicht hatte, der in einem großen Raum auslief. Zahlreiche gemütliche Tische unterschiedlicher Größen waren dort angerichtet worden, die Wände in einem freundlichen Gelb gestrichen und mit Bildern von bunten Kuchen akzentuiert. Moore steuerte einen Zweiertisch an der rechten Seite an, recht nah an einer weiteren Tür mit der Aufschrift WC, der einen guten Ausblick in Richtung Straße bot. Zumindest der Stuhl, auf dem sie sich elegant niederließ, für Alexander nur den Platz mit dem Rücken zur Gefahr übriglassend.

Mit aalglatter Miene schob er sich auf den gepolsterten Holzstuhl, seine Hände an die Kante der massiven Tischplatte legend – jederzeit bereit, aufzuspringen. „In Anbetracht der Tatsache, dass du Drucksituationen mehr gewohnt bist, sollten wir Plätze tauschen." Sein Fokus hatte sich jetzt vollständig auf die Personenschützerin gelegt, aus Mangel an Alternativen. Sie hielt seinen Blickkontakt, ein leichtes Lächeln auf den Lippen, und Alexander wäre es lieber gewesen, sie würde über seiner Schulter nach Feinden Ausschau halten. Er war geladen, seitdem er sich in der Nacht nach dem Vorfall mit der italienischen Mafia beruhigt hatte, die Ereignisse verarbeiten konnte. In dem Moment, in dem er realisiert hatte, wie locker Moore den dunkelhäutigen Bodyguard getötet hatte und wie nötig das gewesen war, hatte sich die Angst in seinen Gedanken festgesetzt. Zum ersten Mal in seinem Leben war er sich unsicher, ob seine Worte die Situation tatsächlich hätten lösen können. Und er hatte zurückgedacht zum Skatepark, wo die CIA seine Gegner besiegt haben musste, während er noch bewusstlos gewesen war. Unfähig, zu sprechen.

„Wir wissen beide, dass ich genau aus diesem Grund die bessere Wahl für den Beobachtungsposten bin", entgegnete Moore ihm jetzt, und obwohl ihre Miene entspannt blieb, konnte er das leichte Augenverdrehen aus ihren Worten förmlich heraushören. „Aber dann müsstest du mir ja vertrauen... wie abwegig."
Alexander schnaubte leise, für einen Moment hin- und hergerissen zwischen dem Drang, sich wortlos umzudrehen und seinem Stolz, den es zu verteidigen gab. Er wäre nicht er selbst gewesen, wenn er sich nicht für den Kampf mit Worten entschieden hätte.
„Würdest du jemandem vertrauen, über den du nichts weißt und der dich in Sekundenschnelle überwältigen könnte?"
Er wählte seine Sätze bewusst plump, stellte sich wehrloser dar, als er war. Es war immer von Vorteil, ein Überraschungsmoment im Ärmel zu haben.

„Ich vertraue niemandem, Alec." Moore lehnte sich scheinbar entspannt zurück, aber ihr Lächeln war schmallippiger geworden. Solang aber das vertraute Funkeln noch in ihren Augen stand, würde Alexander sich keine Sorgen machen, zumindest nicht in der Hinsicht. „Und du wärest dumm, wenn du mir vertrauen würdest. Das bist du nicht."
Der Journalist zog eine Augenbraue hoch, aber ihm war klar, dass Moore ihm kein Kompliment machen würde. Das war eine schlichte Feststellung, und sie wussten beide, dass es wahr war.

„Ich würde gern der Person vertrauen, die meint, mein Leben in den Händen zu halten." Er würde dieses Thema sicher nicht auf sich beruhen lassen, immerhin zeigte Moores reservierte Haltung, dass sie hier noch mehr zu verbergen hatte als ohnehin schon.
„Das letzte Mal, dass mir jemand vertraut hat, ist er umgekommen." Ihr Ton war trotz ihres betont festen Blickes und angespannten Kiefers ruhig, fast, als würde sie vom Wetter reden. Alexander verzog genau wie sie keine Miene, vom Gespräch so fasziniert, dass er die Gefahr der Öffentlichkeit für einen Moment vergaß.

„So? Du meinst, wie der Bodyguard vorgestern?" Er beobachtete genau, ob sie zusammenzuckte, aber Moore fing seinen Blick auf und verdrehte leicht die Augen. Sie wusste genau, dass sie ihm mit einem Zeichen der Schwäche einen Gefallen getan hätte. „Sei nicht naiv, Alec. Jemand, der es nicht verdient hatte. Einer der Guten."
Alexander kippte seinen Kopf leicht auf die Seite, und seine Stimme war nicht anmaßend, sondern ehrlich interessiert: „Und warum geben sie mir eine Personenschützerin, die schon einen Klienten hat sterben lassen?"

Moores Blick wurde verächtlich, und der Journalist spürte förmlich, wie sie ihre mentale Zugbrücke hochzog. „Keinem meiner Klienten ist jemals auch nur ein Haar gekrümmt worden. Und die Glatzköpfe unter ihnen sind ebenfalls heil geblieben." Ihre Mundwinkel zuckten, aber ihre Augen behielten das klare Braun bei, das ihrer Mimik eine gewisse Kühle verlieh. „Nein, Alec, ich bedaure nur den Tod Unschuldiger."
„Ich bin kein Unschuldiger." Alexander schaffte es, denselben neutralen Ton beizubehalten, den sie selbst vorgegeben hatte, seine Haltung war mit auf den Armlehnen abgelegten Handflächen weder offen noch ablehnend. „Wer sagt mir, dass du meinen Tod bedauern würdest?"
„Mein Arbeitsvertrag", schnaubte Moore knapp und klaubte die dunkelbraune Speisekarte von der blütenreinen Tischdecke, verdeutlichend zum Gesprächsende die erste Seite aufschlagend.

Alexander war noch nie jemand gewesen, der sich das letzte Wort nehmen ließ. „Sonst nichts?", hakte er erneut nach, diesmal mit einer milde amüsierten Klangfarbe. Sein Ego war groß genug, dass er sich von Moore nicht kleinreden ließ. Die Agentin reagierte ganz, wie er es erwartet hatte – sie sah nicht einmal auf, und ihre Augen wanderten über die Speisekarte, ohne innezuhalten. „Sonst nichts."

Der Journalist schmunzelte und warf selbst einen Blick auf die Kuchenauswahl, das triumphierende Wissen im Hinterkopf, dass das Auge die Worte nur dann aufnahm, wenn es innehielt.
„Erklärst du mir jetzt wenigstens, warum wir hier sind?", sprang er wieder zum alten Thema zurück, mit zuckenden Mundwinkeln, als er Moores Durchatmen bemerkte. „Abgesehen davon, dass sie hier wirklich guten Käsekuchen haben?" Die Personenschützerin sah auf, und auf Alexanders Lippen breitete sich ein ehrliches Lächeln aus, als er das Funkeln in ihren Augen erkannte.

„Moore..."
„Tarnung", war ihre schlichte Antwort, bevor sie sich ein paar Zentimeter in seine Richtung beugte, mit kaum versteckter Neugier im Blick. „Warum nennst du mich noch immer Moore? Ich dachte, das hätten wir hinter uns gelassen, nachdem ich dich vor mordlustigen Italienern gerettet habe."
Alexander lehnte sich in seinem Stuhl zurück, versuchte, durch seine Körperhaltung die Oberhand im Gespräch zu gewinnen. „Tamara passt nicht zu dir", entgegnete er galant und gab seiner Stimme einen festen Klang, „Außerdem hast du mich nicht gerettet. Ich komme allein zurecht."
Er musste sich an diese Überzeugung klammern, an seine Arroganz, die das Einzige war, was ihn von der Furcht, die in jedem Schatten lauerte, schützte.

„Natürlich." Moore lächelte sanft und neigte ihren Kopf wieder der Speisekarte zu, wobei ihr eine blonde Strähne über die Schulter nach vorn fiel. Sie hatte ihn durchschaut.
Selbstverständlich hatte sie das.

Seine stärkste WaffeWhere stories live. Discover now