Kapitel 4

58 16 32
                                    

Der fremde Mann, der vor Alexander an einem schweren hölzernen Schreibtisch saß, hätte problemlos als Mafiaboss durchgehen können. Er hatte seinen beleibten Körper in einen schwarzen Anzug gezwängt, das Jackett aber nicht zugeknöpft bekommen, und seine fleischigen Hände ruhig ineinander verschränkt. Sein Glatzkopf spiegelte das Deckenlicht leicht wider, und in der Ecke seines breiten Mundes fehlte nur noch die obligatorische Zigarre, dann hätte Alexander ihn als Model für den nächsten Bericht nehmen können.

Der Journalist saß aufrecht in einem stählernen Stuhl und musste ein gänzlich gegenteiliges Bild zum untersetzten Fremden in seinem Ledersessel geben. Er überragte den Glatzkopf um mindestens zwei Handbreit, hütete sich aber, daraus ein Gefühl der Überlegenheit zu ziehen. Ihm war nur zu klar, dass es nur ein Wort seines Gegenübers brauchte, und er würde nie wieder Tageslicht zu sehen bekommen. Hier im schlicht quadratischen Raum mit den weißen Wänden gab es keine Fenster, die ihm hätten Hoffnung spenden können. Aber Alexander war nicht für die Worte eines fremden Mannes hier.

„Ich empfinde Furcht", sagte er ruhig, bewegte sich nicht um Zentimeter, „Denn ihr seid eine angsteinflößende, erfolgreiche Organisation. Aber auch das ist für euch keine Garantie, fehlerfrei zu agieren." Der Glatzkopf starrte mit wässrig blauen Augen stumpf zu ihm hoch, aber seine schwülstigen Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln. Das war für Alexander weder ein Schritt in die richtige Richtung, noch ein Grund zur Beunruhigung – die Mimik seiner Gesprächspartner war ein Werkzeug. Und er wusste genau, wie er es zu verwenden hatte. „Ihr empfindet keine Furcht", machte er mit einem leichten Neigen seines Kopfes weiter, „Denn ihr hört diese Worte oft. Ich jedoch empfinde Furcht, weil ihr mich foltern und mir drohen könnt auf der Suche nach Antworten, die ich euch nicht geben kann. Ich empfinde Furcht, weil ich mich selbst mit innerlichstem Wunsch nicht hieraus befreien kann, indem ich euch Informationen gebe. Ich habe keine. Sie sind sicher verwahrt in einem Grab aus Vergessen und Umnachtung. In diesem Grab möchte ich ihnen keine Gesellschaft leisten."

Mit einem Anflug von Genugtuung beobachtete Alexander, wie der Glatzkopf sich leise ächzend in seinem Sessel zurücklehnte. Doch als das Grinsen, das ihn ein wenig wie eine Kröte wirken ließ, nicht von dessen Gesicht verschwand, hoben sich die Augenbrauen des Journalisten um Millimeter. „Dann sind wir ja schon zwei, die nicht wollen, dass Sie in einem Grab landen", erklang die kratzige Stimme des Fremden, und Alexander benötigte seine gesamte Körperkontrolle, um seine Miene ausdruckslos zu halten. Er blinzelte äußerlich ruhig, unwissend, was das jetzt zu bedeuten hatte. Um Informationen zu bekommen, brauchten sie ihn lebend, aber der Tonfall seines Gegenübers hatte ihn stutzen lassen. Er klang milde amüsiert, nicht im Geringsten beeindruckt von der Rede, die wirklich nicht schlecht gewesen war.

„Und foltern wollen wir Sie auch nicht", machte der Fremde jetzt weiter, der seine Arme entspannt auf die Lehnen gelegt hatte. Wäre sein Mund nicht auf spöttische Weise verkniffen gewesen, hätte sein funkelnder Blick beinahe väterlich wirken können – aber Alexander war nicht entgangen, dass er keine Drohung verneint hatte. „Was meinen Sie, wollen wir nicht erst einmal klären, wer wir sind?" Der Glatzkopf schaffte es, trotz seiner geringen Größe von oben herabzuschauen, und er wartete gar nicht auf eine Antwort, die er sowieso nicht bekommen hätte. „Ich bin Mr. Alpin, was ein Deckname ist, aber da ich Ihren Namen kenne, wäre es wohl ganz nützlich, wenn Sie auch mich bei einem nennen könnten. Da stimmen Sie mir doch zu, Mr. Peyton?"

Alexander legte seinen Kopf für einen Moment leicht schief, die unauffälligste Geste des hochmütigen Wohlwollens, die er kannte. Sein Gegenüber aber schien diese kontrollierte Körperhaltung entlarvt zu haben, denn die überlegene Entspannung verschwand nicht einen Moment aus seinem Ausdruck. „Wir, Mr. Peyton, sind ein Außensitz der CIA. Sie haben durch Ihre Ermittlungen gestern einen Zweig der italienischen Mafia gestört und sitzen nun auf ihrer Abschussliste ganz oben. Sie haben anscheinend die Identität ihres Anführers herausgefunden, was bisher keinem meiner Agenten gelungen ist." Alpin sprach so schnell, dass Alexander kaum Zeit hatte, die Informationen zu verarbeiten. Seine Augenbrauen waren förmlich nach oben geschossen, und seine Gedanken standen für einen Moment still – stoppten im Bemühen, jedes flüchtige Zeichen eines Auswegs zu ergreifen. Es sah fast so aus, als würde ihm der Ausweg gerade auf dem Silbertablett präsentiert werden. „Wir wollen Sie schützen, Mr. Peyton. Ihnen freien Personenschutz gewähren." Alpins Mimik war jetzt so selbstgefällig, dass Alexander seinen Kiefer bewusst zusammenkrampfte, entschlossen, seine Überraschung nicht zu zeigen.

Wenn das hier die CIA war, hatten sie ihm vor der Bande am Skatepark das Leben gerettet. Wenn... Wäre Alexander an Alpins Stelle, hätte er seinem Opfer genau das erzählt, um es in Sicherheit zu wiegen und dann hinterrücks zu erstechen. Seine Augen verengten sich, als er sein Gegenüber förmlich abscannte, nach Anzeichen der Lüge suchte. Der behäbige Mann wirkte, als spielte er seine Macht nur zu gern aus. Er schien niemand zu sein, der heimliche Hintertürchen und wiegende Worte suchte... Wollte Alpin ihn töten, könnte er das auf direktem Weg viel einfacher erreichen. Vor allem, da Alexander bereits deutlich gemacht hatte, keine Antworten für ihn zu haben. Der Journalist war überzeugt, dass der Glatzkopf ihm diese Wahrheit abgenommen hatte, und als Meister der Wortegefechte hätte er eine Lüge wohl erkannt.

Alpin hatte sich nach wie vor locker zurückgelehnt, betrachtete Alexander abwartend. In der unangenehmen Stille pfiff der regelmäßige Atem des beleibten Mannes deutlich hörbar, und bei jedem Ausatmen zitterte sein weißer Schnauzbart leicht. Wer so gut log, hatte entweder tatsächlich das Training der CIA hinter sich – was die Lüge zur Wahrheit machen würde –, oder eine so interessante Hintergrundgeschichte, dass der Journalist nicht abgeneigt war, seine Nase noch ein wenig tiefer in die Angelegenheit zu stecken. Den Kratzer, den der Skater ihm angedroht hatte, riskierte er. Auf seine attraktiven Züge war er zwar stolz, aber er hielt sich ein Hintertürchen offen... Wenn die Sache aus dem Ruder lief, trug er immer noch die elegante Schwimmweste der Eloquenz, die ihn über Wasser halten würde.

„Ich verlange meine Tasche zurück", sagte Alexander ruhig. Alpin schürzte kurz seine Lippen, was bei dem breiten Mund leicht anwidernd aussah, bevor das schmierige Grinsen in sein Gesicht zurückkehrte. „Sollst du haben." Er hob kurz seine Augenbrauen, die durch ihre helle Färbung und feine Struktur auf der fleischigen Stirn kaum zu erkennen waren, und fügte dann hinzu: „Ich mag dich."
Alexander kümmerte sich nicht darum, was das für ihn jetzt bedeutete und inwiefern der Aussage Glauben zu schenken war. Durch Alpins Offenbarung war er jetzt wieder im Vorteil, egal, wie mächtig der Mann war. „Dann haben Sie eine weitere Gemeinsamkeit zu mir gefunden", war sein einziger kühler Kommentar dazu, und das Lächeln verschwand endlich von Alpins Miene. Beide erstarrten für einen Moment, unterbrachen ihren Blickkontakt nicht – taxierend, abwartend. Alexander wusste, dass er keinen Fehler gemacht hatte, aber er war ehrlich interessiert, wie sein Gegenüber auf respektlose Arroganz reagieren würde. Denn wenn der mit ihm zusammenarbeiten wollte, würde Alpin sich an so etwas gewöhnen müssen. Wenn die CIA schon daran interessiert war, einen Journalisten zu schützen, hatten sie mindestens ebenso viel Interesse an der Story wie Alexander. Er war ihr Schlüssel zum Tor der Geschichten, sie schienen ihn zu brauchen...

Kommentarlos streckte der Glatzkopf eine Hand aus und setzte seinen dicken Zeigefinger überdeutlich auf einen Knopf am altmodischen Telefon zu seiner Rechten. Alexander gab den kleinen, machtgierigen Augen, die ihn nicht aus dem Fokus ließen, keinen Anlass zur Genugtuung durch ein Zeichen der Angst. Er atmete ruhig durch den Bauch ein und aus, spürte nur einen vereinzelten Schweißtropfen seinen Nacken hinunterrinnen. Unter seinem Mantel schwitzte er leicht, aber er dachte nicht einmal daran, dass vertraute Kleidungsstück auszuziehen. Auch Alpin saß jetzt wieder bewegungslos da, und Alexander spürte im Schweigen ein inneres Unwohlsein. Die harte Sitzfläche des Stuhls tat seinem sowieso schon lädierten Körper nicht gut, und das Metall der Armlehnen lag kalt in seinen Handflächen. Die Stille war so fern von seinem Wohlfühlbereich, wie sie überhaupt nur sein konnte.

Er war beinahe froh, als sich die Tür des kleinen Büros öffnete, ohne, dass vorher geklopft wurde. Alexander bewegte seinen Kopf nur leicht, sodass er Alpin noch am Rand seines Sichtfelds hatte, doch sein Fokus wurde sofort auf die Gestalt im Türrahmen gezogen. Sie war vereinnahmend. Ihre kleine Gestalt hätte zart gewirkt, wäre sie nicht von fester, starker Kampfkleidung umhüllt gewesen. Ihre blonden Haare hätten vielleicht einen unschuldigen Eindruck hinterlassen, würden sie nicht ein Gesicht umrahmen, dessen Züge vor eiskaltem Selbstbewusstsein nur so strotzten. Und ihre braunen Augen wären sanft gewesen, wenn in ihnen nicht dieser Ausdruck gestanden hätte. Der Ausdruck, bei dem sich Alexander fragte, wie viele Menschen sie wohl schon getötet haben musste. Und dann lächelte sie und er realisierte, dass sie es vermutlich selbst nicht mehr wusste.

„Darf ich vorstellen?", fragte die aufmerksamkeitsheischende Stimme Alpins, der Alexander keine Beachtung mehr schenkte. „Tamara Moore, deine Personenschützerin."

Seine stärkste WaffeWhere stories live. Discover now