Kapitel 3

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Diesmal schreckte Alexander ganz plötzlich hoch, mit leisem Schrei und heftigem Atem. Alles drehte sich, er war völlig desorientiert und zitterte am ganzen Körper. Nein, nicht, weil er Panik hatte, sondern weil er durchgeschüttelt wurde. Noch bevor die Information in seinem Hirn ankommen konnte, rumpelte das Auto durch ein Schlagloch und er biss sich auf die Lippen, durch den kurzen Schmerz zumindest wachwerdend.

Alexander sog scharf die Luft ein, als er den metallischen Geschmack des Blutes auf seiner Zunge zergehen spürte. Er blinzelte mehrfach, um klare Sicht zu bekommen – zu mehr war er nicht in der Lage, seine Hände waren gefesselt. Er konnte sich nicht einmal abfangen, als der Wagen eine scharfe Kurve nahm und er auf die rechte Seite kippte, dabei aber gerade noch daran dachte, auszuatmen, damit der Sauerstoff nicht aus seinen Lungen gepresst wurde. Von schräg unten erkannte er die schwarzen Lehnen der Autositze vor ihm – er lag im Kofferraum. Stöhnend schloss Alexander kurz die Augen, konnte den Gedanken nicht verhindern, dass er den perfekten Protagonisten für eine Skandalstory abgeben würde.

Ohne Hoffnungen drehte er leicht seine Handgelenke, die durch Fesseln unterhalb der schützenden Mantelärmel dicht aneinandergehalten wurden. Sein Atem stockte für einen Moment, als das kalte Metall dadurch seine Haut direkt berührte – ihm waren professionelle Handschellen angelegt worden. Tief luftholend drückte er sich mit der Schulter vom schwankenden Wagen hoch und zog eilig die Füße unter seinen Körper, ließ sich auf seinen gespreizten Knien nieder. Mit angespanntem Kiefer verengten sich seine geweiteten Augen wieder ein wenig, er war entschlossen, die Kontrolle über die Situation wieder an sich zu reißen.
Mit einem raschen Blick hatte Alexander erkannt, dass er durch die abgeklebte Heckscheibe seine Umgebung nicht erkennen konnte, und nach vorn war er durch eine stabile Kunststoffwand über den Sitzen abgeriegelt. Wenigstens würde so niemand ahnen können, dass er aufgewacht war.

Bis auf den stetig brummenden Motor des Autos war nichts zu hören, sie mussten sich in einer abgelegenen Gegend befinden. Vermutlich war der Wagen Richtung Küste gefahren, das würde auch zeitlich passen – Alexander war höchstens zehn Minuten bewusstlos gewesen, der Härte des Schlags nach zu urteilen. Bei der Erinnerung daran verzog er kurz das Gesicht, aber seine Aspirin wirkten noch, und anfällig für Übelkeit war er noch nie gewesen. Doch ihm war nur zu klar, dass auch leichte Gehirnerschütterungen schon gefährlich werden konnten, durch angerissene Blutgefäße, zum Beispiel. Schwer schluckend drehte er seinen Kopf leicht hin und her, aber äußerlich wären solche Verletzungen natürlich nicht festzustellen. Verdammt, er könnte hier sterben, und es würde niemand mitbekommen.

Doch als der Wagen langsamer wurde, verzog er seine Miene, denn unentdeckt hier zu liegen war wohl immer noch die bessere Option... Sein Blick glitt nur für einen winzigen Moment zur Kofferraumklappe, die er beim verminderten Tempo jetzt vermutlich aufbekommen hätte, aber er riss sich zusammen. Durch körperliche Kraft würde er hier kaum entkommen können, obwohl er einen sportlichen Körper hatte. Bisher hatte er noch nie Erfolg durch Fitness statt Finesse gehabt.

Mit angespannten Oberschenkeln glich Alexander die Trägheit aus, die ihn beim Stoppen des Wagens nach vorn drängte, und wandte sich mit zusammengebissenen Zähnen dem Ausgang des Laderaums zu. Eine Tür vorn im Auto öffnete sich und schlug wieder zu, und er zwang sich wieder zu seiner Atemtechnik. Ru-he, flutete intensiv durch seine Gedanken, Ru-
Ach, verdammt.

Ein Klicken war die einzige Vorwarnung, die ihm blieb, bevor sich die Klappe ruckartig öffnete. Alexander blinzelte hastig, aber das hereinflutende Licht war düster genug, dass sich seine Augen rasch daran gewöhnten. Die abgestandene Luft, die durch zu ihm flutete, war zusätzlich zu den grauen Wänden am Rand seines Sichtfeldes ein klares Zeichen, dass sie sich unter der Erde befanden, in einer Art Parkhaus. Doch noch bevor Alexander sich in irgendeiner Form bewegen konnte, erschien bereits eine Gestalt in der Öffnung des Kofferraums – ein Schrank in dunkler Hose und Hoodie. Vermutlich war es einer der beiden, die ihm vorhin den Weg abgeriegelt hatten, aber der Fremde hatte seine Baseballcap jetzt abgenommen. In einer ruckartigen Bewegung reckte er sein breites Kinn vor, und Alexander folgte ohne zu zögern der stummen Aufforderung.

Seine Knie knackten, als er nach vorn gerobbt war und sich leicht schwankend aus dem Wagen erhob, froh darum, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Seine schwarzen Boots fanden guten Halt auf dem griffigen Asphalt, sodass der Journalist sich eilig um sich selbst drehte, die Umgebung förmlich abscannend. Sie hatten in der Mitte des Platzes gehalten, der sich bis zu den massiv wirkenden Wänden etwa zwanzig Meter in jede Richtung erstreckte. Gegenüber von ihm war ein scheinbar automatisches Tor, durch das sie gekommen sein mussten, zur Rechten eine kleinere Tür, in deren Richtung die Stiefelspitzen des Fremden zeigten.

Alexander hob seinen Blick von den Schuhen zum Kopf des Mannes, der ihn unverwandt beobachtet hatte, völlig regungslos. Sein Gesicht lag im Schatten des Deckenbalkens, wo die Neonröhren ein verwirrendes Streifenmuster auf den grauen Boden malten. „Was soll das?", fragte der Journalist nach einer Sekunde der Stille scharf, zufrieden dem leichten Nachhall seiner eigenen Stimme lauschend. Zumindest klang sie selbstbewusst und berechtigt verärgert. „Ich habe nichts, was ihr brauchen könnt. Weder Informationen noch sonst was."

Sein Blick intensivierte sich, aber egal, wie sehr er versuchte, den Schatten zu durchdringen, den Ausdruck des Fremden konnte er nicht lesen. Er hatte seine Position klug gewählt, war berechnender, als Alexander vermutet hatte. „Mitkommen", knurrte der kräftige Mann so kurz, dass der Journalist kaum eine vage Bewegung aus der Richtung seiner Lippen ausmachen konnte. Und die Stimme war viel zu tief und knapp gewesen, als dass sie einen Wiedererkennungswert gehabt hätte. Sein Gegenüber verstand etwas von diesem Fach... „Sie wollen partout eine Information von mir, nicht wahr?" Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, und er reckte die Schultern zurück, um seinen Brustkorb für mehr Resonanzraum zu weiten. „Alle Informationen sammeln in Ihrem Netz aus Drohung und Druck... Und wenn sich zufällig ein Unschuldiger in Ihren Fäden verfängt, zerquetschen Sie ihn mit Ihrem Gift wie ein wehrloses Insekt."

Er trat einen Schritt nach vorn, achtete aber darauf, stabil und außer Reichweite des Fremden zu bleiben, der sich nicht regte. Aber Alexander war sich sicher, dass seine Worte gehört wurden. „Sie haben ein Problem, Mister, und ich auch. Ich würde gern uns beiden helfen." Er lächelte schmallippig, hielt seine Handflächen nach oben, öffnete sich. „Ich bin kein wehrloses Insekt und Sie kein Arachnoid. Sollten Sie mich hier festhalten, wird mein Anwalt Ihnen aber dennoch Schaden zufügen, als würde er Sie unter seinem Stiefel zerstampfen. Gesetzt den Fall, dass ich zu schaden komme. Sollten Sie das Verbrechen ausführen, das Sie im Begriff sind, zu begehen, werde ich genauso leiden wie Sie im Nachhinein, und das will ich nicht."
Alexander ließ seine Hände zu den Seiten fallen, ließ seinen Kopf für einige Zentimeter in den Nacken sinken, als würde er sich ergeben. „Lassen Sie uns einander die Rücken zuwenden, Mister. Ich will diese Situation genauso vergessen, wie ich schon die letzte Nacht vergaß. Drehen Sie sich um und begeben Sie sich in die Sicherheit ihrer Liebsten, und ich werde es Ihnen gleichtun wie ein Spiegel. Denn wir sind uns nicht unähnlich." Ein trauriges Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, die sich bei dieser Bewegung mit leichtem Ziehen spannten. Sie waren rissig, und getrocknetes Blut hatte sich darauf festgesetzt, aber er hatte Balsam in seiner Ledertasche. Wenn er die denn überhaupt wiedersehen würde...

„Wir beide sind in einer Situation, in der wir nicht sein wollen", vervollständigte er seine Rede jetzt mit tiefem Blick, „Aber wir beide haben auch die Möglichkeit, sie hinter uns zu lassen." Als der Fremde plötzlich einen Ausfallschritt machte und den Sicherheitsabstand überwand, musste Alexander sich zusammenreißen, um nicht zurückzuzucken. Sein Herz setzte einen Schlag aus, hämmerte danach aber beschleunigt weiter, als sein Gegenüber ihn mit festem Griff an der Schulter packte und mit sich zog. Der kurze Ausblick auf das kantige Gesicht des Mannes hatte dem Journalisten aber gereicht, um unter der ausdruckslosen Maske ein Funkeln in den dunklen Augen zu erkennen. Wie auch immer es zu deuten war, das war eine Emotion, mit der er würde arbeiten können.

Doch vorerst musste Alexander sich fügen, stumm bleiben in einer Stille, die nur von den ungleichen Fußschritten unterbrochen wurde. Und vom wortlosen Warnschrei der Tür, die mit einem Knallen hinter ihm ins Schloss fiel.

Seine stärkste WaffeWhere stories live. Discover now