|Chapter 27|

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Bald waren Raphael und das riesige Schloss nur noch Umrisse, die von Sekunde zu Sekunde kleiner wurden. Das einzige, was vor meinen Augen blieb, war der Blick aus seinen silbernen Augen. Unberechenbare Wildnis tief in seiner Seele. Der Wind schlug mir die Haare in mein Gesicht und umschloss meinen Körper mit kalten Klauen, während ich immer schneller fiel. Etwas in meinem Inneren riss entzwei und betäubte jeden Muskel wie ein Gift.

Wut tauschte mit Enttäuschung seinen Platz, immer und immer wieder bis ich selbst nicht mehr wusste, wo oben und unten war. Er wollte mich umbringen. Raphael, der Erzengel, der Heilige gesandte Gottes hatte versucht mich umzubringen. Aber den gefallen bei diesem Sturz zu sterben würde ich ihm nicht tun. Einen Scheiß würde ich tun. Die verzweifelte Wut löste das betäubte Gefühl während der Boden näher kam. Tränen stießen mir in die Augen von dem Wind, der um mein Gesicht brauste.

Meine Flügel breiteten sich aus und ruckartig wurde ich in der Luft gebremst, als sie wie von selbst schlugen und mich langsam zu Boden brachten. Alles fühlte sich in den nächsten Sekunden unwirklich und leise an, obwohl die Wut in meinem Innern ins unermessliche stieg. Es war ein grausamer Schmerz der jede Zelle meines Körpers zum Brennen bringen wollte. Ich landete auf einem Hügel und drehte mich um, um hinunter auf das Dorf im Tal zu sehen. Die Sonne ging hinter mir glühend unter.

Die Tränen versiegten nicht, sie flossen weiter. Doch aus meinem Mund entfloh kein Laut. Hast du nicht die Kontrolle, hat sie jemand anderes. Und ich hatte es satt, eine Spielfigur zu sein, die von jedem hin und her geschoben wurde. Ich will das Feld verlassen. Ich will hier weg. Weg von meinen Erzeugern, weg von den Engeln und dem Teufel. Weg von allem.

Ich schrie. In meiner gebrochenen Stimme bündelten sie die Wut mit der Verzweiflung, während die letzten Strahlen der Sonne auf meinen Rücken brannten. So laut ich konnte schrie ich all diese Dinge heraus und endete erst, als mein Hals sich anfühlte, als würde er brennen. Ich spürte, wie die Flügel verschwanden und setzte mich tonlos auf das weiche Gras.

,,Ich werde dieses Spielfeld verlassen."

Im Morgengrauen erreichte ich meine Straße. Mein Kopf und meine Füße schmerzten, aber ich verzog keine Miene. Nebel und Schnee hatten meine Kleidung durchweicht und waren klamm. Wie mechanisch lief ich die Auffahrt hoch und schloss die Tür auf. Ich lief die Treppe zu meinem Zimmer hoch und streifte mir die Kleidung ab. Nur mit meiner Unterwäsche ließ ich mich auf mein Bett fallen und schlief augenblicklich ein.

Doch auch jetzt schien mir keine Ruhe gegönnt zu sein. Als ich meine Augen öffnete, saß ich auf einem Sessel und fühlte mich genauso schrecklich wie bis zu dem Moment als ich mich auf mein Bett geworfen habe. Der Rest des Raumes lag im Dunkeln. ,,Verstehst du nun?" Luzifer trat aus dem Schatten in das schummrige Licht. Auch er sah müde und erschöpft aus. Auf den Lehnen des Sessels ballte ich meine Hände zu Fäusten. So viel wollte ich ihm an den Kopf werfen. Aber vor allem wollte ich nichts sehnlicher als schlafen. ,,Nettes Outfit, nebenbei."

Ich trug meine Unterwäsche, nur meine Unterwäsche. Bevor er sich in den Sessel mir gegenübersetzte, warf er mir ein Sweatshirt zu, welches ich mir mit zu Schlitzen geformten Augen überzog. ,,Ich habe die Hälfte deiner Seele in mir. Das ist der Grund, weshalb-" Weshalb Raphael mich umbringen wollte, wollte ich sagen. Aber ich ließ es.

,,Das ist der Grund, weshalb wir hier sein können, nicht wahr?" Auch hier klang meine Stimme rau, war nur ein Hauch. Erschöpft von dem Schrei, der sämtliche Last von meinen Schultern zu reißen versucht hatte. Ich blickte hoch in seine Augen. ,,Eure Vergangenheit ist der Grund dafür, dass ich nun zwischen den Fronten stehe." Diese Worte richtete ich nun eher zu mir selbst.

Mein Hals schmerzte, als ich meine Stimme erneut erhob, bevor Luzifer etwas sagen konnte. ,,Ihr seid schuld daran, dass ich kein normales Leben führen kann." Im Affekt stand ich von dem Sessel auf. Ich konnte jetzt nicht sitzen. Ich konnte nicht so tun, als würde gerade nicht alles den Bach heruntergehen. Konnte es einfach nicht. ,,Weil du ihn beschützt hast, kann ich meiner besten Freundin nicht mehr alles erzählen oder einfach ganz normal mit ihr etwas unternehmen. Weil du so naiv warst zu glauben, dass er sich nicht rächen würde dafür, dass du ihm seine Liebe verweigert hast, hat er mich in einen Kerker gefesselt. Weil du den Helden spielen musstest, fühle ich mich wie der zukünftige Bösewicht. Du bist schuld, Luzifer. Nur das macht dich für mich zum Teufel."

Sekunden verstrichen. Ich wollte nicht weinen und biss mir auf die Innenseite meiner Wange. Mein Hals fühlte sich wie Sandpapier an und der Schmerz bremste die Tränen. Zum ersten Mal sah ich Luzifer wirklich betroffen. Seine Augen ruhten auf mir und erwiderten meine wilde und vorallem blinde Wut mit einer Flut von Ruhe und Wärme. Aber das wollte ich jetzt nicht spüren. Ich wollte wütend sein, ich wollte meinen Emotionen endlich einmal Platz einräumen. Aber nicht hier, nicht in meinem eigenen Traum.

Als Luzifer aufstand, wich ich einen Schritt zurück. ,,Das hier ist mein eigener Kopf, mein Traum. Wenn dir wirklich etwas daran liegt, dann wirst du mir in der realen Welt Rede und Antwort stehen." Mich interessierte nicht sein nachdenklicher Blick oder seine zusammengezogenen Augenbrauen oder die dunklen Ringe unter seinen Augen. Ich wollte schlafen. Nur schlafen. Und ich wusste nicht, ob es seine Schuld war oder ich es verursachte, aber von Sekunde zu Sekunde verschwamm alles vor meinen Augen.

Blinzelnd öffnete ich meine Augen. Warme Sonnenstrahlen schienen durch die Fenster in mein Gesicht. Tief atmete ich ein und wieder aus und brummte in mein Kissen. Ich lag auf meinem Bauch, so wie ich mich gestern einfach auf mein Bett habe fallen lassen. Für einen Moment genoss ich einfach die warmen Sonnenstrahlen, bis mir auffiel, dass sie nur die nackte Haut meiner Beine erreichten und nicht auch meinen Rücken und meine Arme.

Ich setzte mich auf und sah an mir herunter. Meine Erinnerung des gesamten gestrigen Tages kehrte augenblicklich zurück. Nein, das konnte nicht sein. Wie war das möglich? Es war ein Traum, das Zimmer war nicht meines gewesen im Traum. Doch spätestens als ich vor dem Spiegel im Bad stand, waren keine Zweifel offen. Beruhige dich, Nyx.

Mit kaltem Wasser wusch ich mein Gesicht. Das ist alles wirklich passiert. Ich habe Ketten aus der Wand gerissen, einen Erzengel wütend gemacht und den Teufel höchstpersönlich angeschrien. Möglicherweise habe ich alles vermasselt. Und möglicherweise bin ich verrückt. Eher schlecht als recht bürstete ich meine Haare und putzte meine Zähne, bevor ich wieder in meinem Zimmer sofort die Nachttischschublade öffnete.

Ich griff nach dem Paket und ließ das Handy, welches ich nie wollte, aufladen. Ein roter Batteriebalken leuchtete auf. In der Zwischenzeit, tauschte ich das Sweatshirt mit einem meiner Hoodies und zog dazu eine Jogginghose an. Als der Akkustand endlich vierzig Prozent betrug nahm ich das Handy und lief damit die Treppe herunter. Mein Hals schmerzte noch immer.

Während der Wasserkocher seinen Dienst tat und ein Teebeutel mit fruchtigem Geruch in der Tasse lag, speicherte ich die Nummer von Seraphina und meiner Erzeuger ein. Zweiteres verursachte bei mir zwar einen bitteren Nachgeschmack, jedoch blieb mir nichts Anderes übrig. Immerhin war ich nicht auf der super-wichtigen-Gala gewesen.

,,Bin entführt worden. Habe es gestern irgendwie nach Hause geschafft.", schrieb ich und unterzeichnete die Nachricht mit meinem Namen. Kurz und schmerzlos. Nun würde der etwas kompliziertere Teil kommen. Bevor ich Seraphina anrief, füllte ich das heiße Wasser in die Tasse und setzte mich an die Kücheninsel. Meine nackten Füße stützte ich dabei auf die Metallstangen des Stuhls und stützte meine Ellenbogen auf der kalten Marmorplatte ab.

Devilish SaintsWhere stories live. Discover now