~Kapitel 27~

291 16 4
                                    

~Erinnerung~

Als wir außer Reichweite des Geländes waren, zog mich Ms. Mead beiseite. "Du musst jetzt wieder in die Academie", sagte sie streng und ihre blauen Augen strahlten mich gerade zu an, als wären sie aus Glas. Ich schüttelte heftig den Kopf. "Nein, auf keinen Fall", sagte ich entschlossen. "Ihr seid meine Familie. Die einzige die, ich hab... bitte schick mich nicht weg." Meine Stimme wurde leiser. Ms. Mead legte kurz den Kopf schräg und deutete mir dann in ihr Auto zu steigen. Schnell tat ich wie geheißen und sah sie von meinem Platz als Beifahrer wieder erwartungsvoll an.

"Du wirst uns auch nicht verlieren, Kind", sagte sie und kramte nach einem Messer in ihrem Schuh. "Du musst zurück zur Academie. Bitte vertrau meinem Urteil."

"Aber ihr dürft euch nicht wieder von mir abschotten, das... das verkrafte ich einfach nicht." Ms. Mead sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ich versuchte in ihrem Blick etwas zu erkennen, vielleicht sogar einen Einblick in ihre Gedanken zu erhaschen, doch ich sah nur Skepsis und wie sie fieberhaft überlegte. "Das Ganze bleibt gefährlich für dich. Ich glaube nicht, dass Michael will, dass dir-" Aber weiter kam sie nicht. "Das ist mir egal! Ich möchte euch nicht noch ein zweites Mal verlieren. Bitte." Ich presste meine Lippen aufeinander. Alles was ich sagte, entsprach der vollen Wahrhreit. Ich wollte und konnte die beiden nicht nochmal verlieren. Sicher, ich hatte den Zirkel und eine tolle Familie dort, aber sie waren nicht das gleiche wie Ms. Mead und Michael. Mallory und Coco könnten mir niemals soviel bedeuten wie Michael. Ich seufzte innerlich. Verdammt. Ich hatte ein echt großes Problem.

"Michael und du, ihr habt eine ganz besondere Verbindung." Ms. Mead sah mich an. Ich hob verwundert den Kopf. Ich dachte immer, ich hätte mir diese Verbindung nur eingebildet, aber wenn sie das auch glaubte...
"Was meinst du damit?", fragte ich unsicher nach. Ms. Mead seufzte. "Ich sage damit nur, dass wir dich nicht fallen lassen werden. Du bist ein Teil von uns geworden, Liebes."
Ich hatte in diesem Moment das Gefühl, mein Herz würde sich erwärmen. Nichtsdestotrotz hatte ich das dumme Gefühl, dass darauf noch ein aber folgen würde.

Ich wandte mich von mir ab und starrte aus dem Fenster in die dunkle Nacht. Ich spürte ihren Blick im Nacken. Unauffällig wischte ich mir eine Träne weg. Gott, dass war ein echt unpassender Moment. "Arien", begann Ms. Mead, aber ich drehte mich noch nicht um. Ich beobachtete nur schweigend wie es begann zu regnen und die dicken Tropfen langsam die Fensterscheibe hinunterliefen. "Ich weiß, was du für Michael empfindest", sagte sie und berührte mich an der Schulter. Mein Blick verfinsterte sich. Was genau meinte sie mit "empfinden"? Ich wandte den Kopf zu ihr und beäugte sie misstrauisch. Ihr zweideutiger Unterton hatte mir nicht gefallen. "Was empfinde ich denn für ihn?", fragte ich sie mit hochgezogenen Augenbrauen. Die Frau legte den Kopf schief. "Er bedeutet dir viel... und das beruht auf Gegenseitigkeit. Aber du solltest dir bewusst machen, was genau er für dich ist."

Überrascht sah ich sie an. Das war eine Seite, die ich von der sonst eher grummeligen Frau nicht erwartet hätte. Sie scherte sich tatsächlich um meine Gefühle. Ich hatte nicht die geringste Idee, woher diese Fürsorge plötzlich kam, aber es war schön, dass sich jemand Sorgen um einen machte. "Ich weiß genau, was ich fühle und was nicht", entgegnete ich schnippisch, wohl wissend, dass das absolut nicht der Wahrheit entsprach. In Wirklichkeit wusste ich nicht, was ich empfand. Ich wusste nur, dass ich ohne Michael nicht mehr leben wollte. Er beschützte mich, er mochte mich und er war der sonderbare Junge aus dem Haus schräg gegenüber. Ich hatte viele Freunde verloren, weil ich lieber mit ihm spazieren gegangen bin, anstatt etwas mit ihnen zu unternehmen. Meine damalige beste Freundin hatte Angst vor ihm gehabt. Sie hatte ihn als verschroben und als ein Freak bezeichnet. Bis heute verstand ich nicht genau warum. Jeder hatte mich vor ihm, dem Gruselhaus und seiner Ziehmutter Constance gewarnt. Hätten meine Eltern gewusst, dass ich mich mit ihm heimlich getroffen hatte, wären sie vermutlich umgezogen.

"Was soll ich jetzt tun?", fragte ich ein wenig verzweifelt. Ms. Mead sah mich mit gerunzelter Stirn an. "Geh zurück", sagte sie schließlich. "Geh und erzähl niemandem von uns." Ihr Ton war hart und entschlossen. Ich nickte stumm und wollte aussteigen, als ich noch kurz inne hielt. Ich trommelte mit den Fingerspitzen auf die Türklinke. Ich sah die Frau am Steuer an. "Ist unser Zirkel euer Feind?", fragte ich gerade heraus und hatte Angst vor der Antwort. Michael gehörte jetzt einem Zirkel an und ich hatte gehört, wie er diesen zerstören wollte. Ich wusste nicht warum und es war mir auch egal. Für mich war nur das eine wichtig: War unser Zirkel in Gefahr? Wollten sie auch Cordelia, Mallory und den anderen etwas antun? Ich hatte mittlerweile verstanden, dass Michael böse war, jedenfalls im herkömmlichen Sinne. Er war der Antichrist. Natürlich wusste ich was der Antichrist war, jedoch wollte es nicht in meinen Kopf reingehen, wie weit diese böse Magie reichte.

"Du wirst niemals unsere Feindin sein", sagte Ms Mead leicht lächelnd und scheuchte mich aus dem Auto. Wir wussten beide, dass sie meiner Frage ausgewichen war, aber ich beließ es dabei, auch wenn sich gleichzeitig ein ungutes Gefühl durch meine Magenschleimhaut fraß. Ich spürte wie der Regen auf mich herab prasselte, während die Frau mit quitschenden Reifen ohne ein letztes Wort zu sagen, davonfuhr.  

Evil AntichristWhere stories live. Discover now