~Kapitel 26~

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~Erinnerung~

"Der Antichrist...?", stammelte ich leicht verwirrt.  Zögernd nickte er. Ich sah an ihm vorbei auf ein Stück vom Mond hell beschienene Wiese. Dann schaute ich wieder in seine Augen. Vorsichtig nahm er eine Hand von mir in seine. Offensichtlich war er sich nicht wirklich darüber im Klaren, wie ich reagieren würde. Ich war es um ehrlich zu sein auch nicht so wirklich.

"Und was heißt das?", fragte ich, nicht sicher, ob ich die Antwort wissen wollte. Michael wechselte einen unsicheren Blick mit Ms. Mead. In seinen Augen stand ein ungewohnter Ausdruck der Verzweiflung. "Arien, ich bin böse, nein... ich bin das Böse." Wie automatisch zogen sich meine Augenbrauen in die Höhe. Ich verstand, was er sagte, doch wollte es nicht so recht in meinem Kopf ankommen. Michael Langdon, der schräge Junge von Gegenüber, der Typ, vor dem jeder meiner Freunde Angst gehabt hatte... das war der Antichrist?! Also wirklich jetzt der Antichrist?

"Du bist nicht böse", sagte ich stotternd und wollte mich ein paar Schritte von ihm entfernen, aber seine Hand schloss sich um meinen Unterarm wei ein Schraubstock und hielt mich so davon ab. "Bitte Arien, hör mir zu", begann er, doch ich hatte das Gefühl, als wäre das alles hier ein großer Fehler gewesen. "Ich würde niemals etwas tun, was dich verletzen könnte, okay? Ich hab dir gesagt, du willst die Wahrheit über mich nicht wissen und jetzt hast du Angst vor mir, so wie ich es erwartet hatte." In seiner Stimme schwang neben Resignation auch Enttäuschung mit.

Bei seinen Worten blinzelte ich zweimal, als würde mich etwas blenden. Das Gefühlschaos in mir legte sich allmählich, meine Beine fanden wieder festen Stand und mein Herschlag beruhigte sich. "Ich habe keine Angst vor dir", sagte ich leise und kam wieder auf ihn zu. Sein Gesicht lag im Schatten, und trotzdem konnte ich eine einsame Träne sehen. Sie tropfte auf seinen Mantel. Zitternd nahm ich sein Gesicht in meine Hände. Ich spürte ein kribbelndes Gefühl in meiner Magengrube, als er mich ansah. "Ich habe keine Angst vor dir, Michael. Und ich hasse dich nicht. Es ist schon okay... glaub ich. Ich weiß es nicht." Der Mann sah mich abschätzend an. Mittlerweile hatte er sich wieder aufgerichtet und ragte wieder über mir auf. "Es tut mir leid, ich wollte dich nur beschützen. Ich habe nie gewollt, dass du in diese Sache mit rein gezogen wirst." "Du hast mich hier nicht reingezogen", sagte ich. "Ich war hier von Anfang an drin."

Dann entstand ein Schweigen, eine furchtbare Stille, in der ich Michael immer noch am liebsten um den Hals gefallen wäre. Jedoch wollte ich nicht zu voreilig sein. Er war immerhin das einzige, was ich noch hatte. Jedenfalls mit Ausnahme des Zirkels. Ich mochte Cordelia, Zoe und die anderen wirklich gerne. Vor allem Coco und Mallory, aber ich hatte zu Michael eine andere Art der Verbindung. Ich liebte die Hexen des Zirkels von ganzem Herzen. Sie waren meine Familie, meine Schwestern, aber keine von ihnen glich Michael. Er war anders. Sicher, jetzt wusste ich auch warum. Doch das, was mir wirklich bei der Sache Angst machte, war, dass ich mich eben nicht vor ihm fürchtete.

"Wenn du sagst, du bist böse", fing ich an. "Wie böse meinst du das dann? Also in welchem Zusammenhang?" Michael hatte mich die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen. Aus seinem Blick waren wieder alle Emotionen gewichen und er wirkte kurz wie eine lebensechte Statue. "Ich bin der Sohn des Teufels und du fragst mich in welchem Zusammenhang ich böse bin?" Ich machte den Mund auf, um etwas zu erwidern, doch Ms. Mead trat zwischen uns. "Wir sollten gehen." Sie sah besorgt zu Michael, der jedoch im Moment nur Augen für mich hatte. "Die Zeit wird knapp." Daraufhin nahm sie mich am Arm und Michaels Griff löste sich wie aus einer Starre.  "Michael, du wirst bald vermisst und dann willst du sicherlich nicht mit uns hier draußen gefunden werden" sagte Ms. Mead streng, aber erst Sekunden später reagierte er und schüttelte langsam den Kopf.

Die Frau neben mir warf Michael einen letzten aufmunternden Blick zu und zog mich dann mit sich. Alles in mir wehrte sich dagegen. Ich wollte nicht weg, nicht weg von ihm. Jede einzelne Zelle meines Körpers sehnte sich nach seinem Geruch, seiner Berührung, seiner Stimme. "Warte, bitte", rief ich Ms. Mead zu und ehe sie mich davon abhalten konnte, rannte ich durch das Gestrüpp zurück zu Michael. Überrascht drehte er sich um, als er mich aus den Hecken laufen sah. Ohne auf seinen verwirrten Blick einzugehen, schlang ich meine Arme um seinen Hals und vergrub mein Gesicht an seiner Schulter. Mich überkam seine wohltuende Wärme und wenn ich gekonnt hätte, hätte ich seinen Geruch inhaliert. Es war wie Balsam für meine aufgewühlte Seele. Sobald er realisiert hatte, was ich tat, erwiderte er meine Umarmung. Ich spürte wie er seinen Kopf auf meiner Schulter ablegte und mich noch fester zu sich zog. "Ich werde dich niemals hassen", sagte ich leise in sein Ohr. Ich wurde fast verrückt, als ich seinen heißen Atem im Nacken spürte.

Zögernd ließ ich ihn los und ohne nochmal zurückzusehen folgte ich Ms. Mead, die zufrieden und mürrisch zugleich wirkte. Ich wusste nicht, was mich und Michael verband, aber ich liebte es.

Evil AntichristWhere stories live. Discover now