~Kapitel 17~

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~Realität~

"Was passiert hier?", fragte ich, wobei meine Stimme seltsam zitterte. Der Mann antwortete nicht sofort. Sanft strich er mir mit der Hand über den Rücken. Immer wieder spürte ich seine Ringe wie sie meine Kleidung streiften. Ein Kribbeln begleitete mich jedes Mal, wenn er mich berührte. Mit der anderen Hand drückte er meinen Kopf gegen seine Brust und strich meine Haare hinter mein Ohr.

"Du wehrst dich", sagte Michael schließlich und seine seidige Stimme beruhigte mich bis ins Mark. "Was meinst du damit?", fragte ich, nicht sicher, ob ich die Antwort wissen wollte.  "Dir wurde deine Erinnerung genommen. Es war zu deinem Schutz, doch durch die Begegnung mit mir, wurdest du wohl stärker und deine Kräfte konnten nicht mehr von Cordelias Hokus Pokus übermannt werden." In diesem Satz hatte ich wirklich ausnahmslos kein einziges Wort verstanden. Ich hatte bitte was? Meine Erinnerungen verloren??? Ach du heilige Scheiße.... Und von welchem Hokus Pokus sprach er da bitte? Wer war diese Cordelia und warum war das alles zu meinem Schutz gewesen? Wovor? Und wie sollte man bitte jemanden dazu bringen, das Gedächtnis vollends zu verlieren und ihm neue Erinnerungen einzupflanzen? Das war doch vollkommen absurd.

Michael wandte sich von mir ab. Es schien, als müsste er sich sammeln. Das Gefühlschaos in mir drin verlangte das ebenfalls von mir, aber ich war zu gebannt, als dass ich mich auf etwas anderes konzentrieren konnte, als auf den Mann vor mir. "Vertraust du mir?", fragte er, ohne sich umzudrehen. Ich schaute zu Boden. Wie sollte ich ihm antworten, wenn ich es nicht wusste? Mir war völlig klar, dass es gesünder wäre es nicht zu tun.  "Ich brauche dein Vertrauen", sagte er und drehte sich endlich zu mir um. Seine Augen funkelten so wunderschön. "Ich weiß es nicht...", sagte ich zögernd und knetete meine Hände. "Ich wünschte, du würdest dich erinnern. An alles", sagte er. Das Kaminfeuer züngelte Flammen und als es knackte zuckte ich kurz zusammen. "War denn da noch mehr?", fragte ich zaghaft. Michael starrte ins Feuer, er schien mit den Gedanken woanders zu sein. "Ohja", sagte er langsam und sein Blick flackerte wieder zu mir. "Sehr viel mehr." Ein Schmunzeln bildete sich auf seinen Lippen. Doch es war nicht die Art des Verhöhnens. Er wirkte tatsächlich zufrieden oder so etwas in der Art.

Ich schluckte nervös, doch konnte nicht anders, als ihn anzusehen. "Also, vertraust du mir?" Er sah mich an, doch ich wusste immer noch keine Antwort. "Ich weiß, du würdest es tun, wenn du dich erinnern könntest", sagte er weiter und kam auf mich zu. "Aber noch nicht einmal ich kann Cordelias Zauber so einfach auflösen. Das muss sie selbst tun und dafür musst du wieder runter gehen und... einen dieser Äpfel essen", presste er zwischen den Zähnen hervor und ballte eine Hand kurz zur Faust, ehe er sie frustriert fallen ließ. "Deswegen sollte ich dir vertrauen?" Ich verstand gar nichts mehr. Was war daran so schlimm und was hatte das mit dem ganzen anderen Zeug zu tun? "Es sind doch nur Äpfel..." Ich seufzte. "Ich werde jetzt gehen, mit den da unten kurz Halloween feiern und dann werde ich zurückkommen und du wirst mir alles erklären", entschied ich und wollte, ohne eine Antwort abzuwarten, gehen.

"Nein, warte." Michael umfasste mein Handgelenk so stark, dass ich Angst hatte, es würde jeden Moment brechen. "Es sind keine normalen Äpfel", sagte er und sein Blick verriet mir, dass alles, was er sagte toternst gemeint war. Ich starrte ihn entsetzt an. "Sie sind vergiftet... Schlangengift. Arien, du wirst sterben, wenn du in einen davon auch nur reinbeißt." Er sah mich ohne Emotion auf seinen Gesichtszügen an. Meine Augen weiteten sich noch mehr. Das Blut rauschte mir in den Adern. Ich konnte nicht mehr klar denken. "Wie vergiftet?" Unglaube zeichnete sich in meinem Gesicht ab. Michael schüttelte leicht den Kopf.  "Bitte vertrau mir. Du wirst nicht lange tot sein. Aber du musst das tun." Ich starrte ihn immer noch an als wäre er ein Geist. "Aber warum ich?" Panik war in meiner Stimme zu hören. "Warum beschützt du mich?" Er ließ mich plötzlich los und machte einen Schritt zurück. Er seufzte. "Auf was willst du hinaus?"

"Ich will wissen, wieso. Ich erinnere mich nicht an viel, aber das, an was ich mich erinnere, ist echt... verstörend. Du warst... bist ein Mörder und ich mochte dich trotzdem. Ich habe dir trotzdem vertraut. Ich weiß nicht was oder wer du bist, aber du bist böse, sehr böse." Ich atmete tief ein und aus. Meine Brust hob und senkte sich viel zu schnell. Michael stierte mich währenddessen nur emotionslos an. "Ja, ich bin böse, Arien. Doch du solltest nicht wissen, wie weit das reicht. Das wirst du selbst herausfinden", sagte er und kam wieder auf mich zu. Mit jedem Atemzug zitterte ich noch mehr. Das lag an ihm, an seiner Anwesenheit.  "Warum beschützt du mich? Warum?!", schrie ich ihn schon fast an und Tränen stiegen mir in die Augen. Verschwommene Erinnerungen stiegen in mir hoch.  "Ich beschützte dich, weil du mir wichtig bist", fuhr er mich geladen an. Sein Gesicht war keine zwei Zentimeter von meinem entfernt und ich wagte es kaum zu blinzeln und zu atmen. Michael wandte sich ab und raufte sich aufgewühlt die Haare. "Ich bin doch nur ein Mädchen aus New York City, das unbedingt Schauspielerin werden wollte, so wie jede andere auch", versuchte ich ihm verzweifelt zu erklären. "Nein, das bist du nicht und das warst du auch niemals. Das ist nicht deine Vergangeheit. Du warst ein Mädchen in einer Kleinstadt, das in dem Haus gegenüber des Gruselhauses gewohnt hat. Du warst meine einzige Freundin, die ich jemals hatte." 

Irritiert sah ich ihn an. "Selbst wenn das meine Vergangenheit war,... wie kann das alles sein? Wie kann ich hier sein, während alle anderen sterben mussten?Du hast es selbst gesagt, ich bin nur ein Mädchen und da ist es egal, ob ich aus der Metropole NYC komme oder aus einer Kleinstadt. Ich bin eine von vielen und trotzdem bin ich hier." Mit Nerven am Ende ließ ich mich auf den Stuhl gegenüber seines Schreibtisches fallen und vergub das Gesicht in den Händen.

"Sag sowas nicht", hörte ich Michael flüstern und ich spürte eine Hand von ihm auf meinem Knie und die andere an meinem Gesicht. "Das bist du nicht, nicht für mich." Er zwang mich, ihn anzusehen. Meine Augen waren rot vor lauter Tränen und mein Atem zitterte immer noch. "Bitte vergib mir das alles", sagte er weiter und machte eine ausladende Handbewegung in den Raum. "Ich brauche dich, Arien. Ich kann diese Welt nicht weiter neu ordnen, ohne dich an meiner Seite zu wissen..." Seine Hand wanderte von meinem Knie zu meinem Oberschenkel und ich sah ihm in die Augen. Ich schniefte kurz. "Gut", sagte ich schließlich und schloss noch kurz die Augen, um mich selbst auf das vorzubereiten, was ich ihm sagen würde. Bei Gott, war das durchgeknallt. "Ich vertraue dir."

Evil AntichristWhere stories live. Discover now