~Kapitel 20~

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~Erinnerung~

Ich schaute in den Spiegel. Bei Gott, sah ich zerstört aus. Meine Hände zitterten etwas und mein Herz fühlte sich an, als würde es bluten. Ich konnte es immer noch nicht begreifen, ich konnte es immer noch nicht verstehen. Es war noch so surreal, dass es schien, als wäre das nur ein böser Traum. Doch tief im Inneren wusste ich, dass ich mir das nur selbst einredete, um mich zu schützen. Sie waren weg. Einfach weg und ich konnte nichts tun, um das rückgängig zu machen. Eine Träne lief mir die Wange herunter. Promt wischte ich sie weg und zog mir einen langen schwarzen Mantel über.  In Seattle war es doch schon ein wenig kälter und ich wollte nicht zu all dem auch noch krank werden.

Ich hob den Kopf und betrachtete mich erneut im Spiegel. Ich atmete tief durch. Ich war Arien, ein sechzehnjähriges Mädchen, das vermutlich alles verloren hatte, was ihr jemals etwas bedeutet hatte. Und trotzdem stand ich hier, als wäre nichts passiert.  Es war nun schon einige Wochen her, seit dem Michael... nun ja.. gegangen war. Doch hätte ich zu diesem Zeitpunkt gewusst, dass das nicht das schlimmste ist....

Immer noch zitternd fuhr ich mir mit den Fingern durch die offenen Haare, in der Hoffnung sie in eine geordnete Reihenfolge zu bringen. Es funktionierte nicht. Schließlich wischte ich mir wieder Tränen weg und versuchte durchzuatmen, was mir nicht wirklich gut gelang. Es war die Beerdigung meiner Eltern. Das führte ich mir immer wieder vor Augen, das musste ich, ansonsten würde ich alle Gedanken daran verdrängen. Sie waren tot und ich war alleine, ganz alleine. Meine Großeltern waren alle schon länger tot, ich war Einzelkind und die restliche, nährere Verwandschaft hatte ich nie kennengelernt. Alles, was ich an Familie gehabt hatte, war weg. Meine Mutter, mein Vater, Sam und Michael.  Ich wünschte, ich könnte meine beste Freundin zu meiner Familie zählen, doch wie ich schon ein paar Tage nach Michaels Weggang erfahren hatte, hatte sie irgendwelche miese Gerüchte über mich an unserer Schule verbreitet, um zu der "coolen" Clique zu gehören. Als ich sie zur Rede gestellt habe, hatte sie sich tausend mal entschuldigt, aber es hatte nichts gebracht. Sie konnte weder das, was sie gesagt hatte, rückgängig machen noch konnte sie weiterhin leugnen, dass sie ein Fakefriend war. Zusammengefasst konnte man sagen, dass ich echt am Arsch war und Gott ein verdammtes Arschloch war. Ich hatte an Gott gegalubt, das hatte ich wirklich, aber wenn er wirklich da wäre, dann hätte er wenigstens eines dieser grauenhaften Dinge verhindern können. Momentan kümmerte sich der beste Freund meines Vaters um mich. Er hatte nun auch das Sorgerecht für mich bis ich 18 war. Doch eigentlich kannte ich den Mann kaum und es war komisch bei ihm zu leben, hier in Seattle. Doch weil das die Heimatstadt meiner Eltern war, wurden sie auch hier beerdigt und ich würde mein zuhause gegenüber des Gruselhauses wohl nie wieder sehen. Und selbst wenn meine beste Freundin ein Fakefriend war, sie war immer noch da und nicht tot oder weg. Doch das fiel jetzt auch ins Wasser. Ich würde am liebsten den ganzen Tag heulen.

Und ich hatte immer gedacht, mir könnte sowas nicht passieren. Ich hatte immer gedacht, das passiert nur anderen. Ein Autounfall. Ich hatte noch nie in einem Leben einen Autounfall gehabt und ausgerechnet dann, wenn ich in der Schule war, um den verdammten Mathetest zu schreiben, waren meine Eltern mit Sam auf dem Weg zum Tierarzt gewesen, weil er sich in der Nacht zuvor übergeben hatte und jetzt? Jetzt waren alle drei tot. Meine Mutter und Sam waren direkt am Unfallort gestorben, während mein Vater noch zwei Tage an Schläuchen im Krankenhaus hing, bevor die Ärzte es nicht mehr schafften, ihn zum sechsten Mal wiederzubeleben. Eigentlich wusste ich gar nicht mehr, warum ich überhaupt noch da war. Ich hatte mich immer gefragt, wie man es schafft, dass man tatsächlich den Sinn des Lebens verlor. Jetzt wusste ich es und ich kämpfte jede Minute mit dem Drang mich selbst umzubringen. Ich wollte das eigentlich nicht, nicht nur weil das meinen eigenen Stolz verletzt hätte, sondern auch, weil ich das Leben eigentlich mochte und herr Gott ich war doch erst sechzehn... Mir konnte doch noch alles passieren und mein Leben hatte gerade erst angefangen, auch wenn es sich so anfühlte, als wäre es vorbei, doch dieses Gefühl hatte ich schon länger. Es wurde nur durch den Tod von Sam und meinen Eltern verstärkt. Ich hatte dieses Gefühl, seitdem Michael weg war. Seitdem er mir gesagt hatte, ich wäre ihm vollkommen egal...

In einen schwarzen Schleier gehüllt stand ich vor dem Grab. Die Beerdigung war nun schon eine Woche her. Seit dem hatte ich nur schwarz getragen, nicht dass ich vorher was anderes getragen hätte, aber dennoch fühlte es sich anders an.  Ich war am Ende. Ich hatte das Gefühl schon über Depressionen hinaus zu sein. Selbstmordgedanken waren nun keine flüchtigen Ideen mehr, sondern feste Pläne. Ich konnte nicht mehr. Ich war wirklich am Ende. Mein ganzer Körper fühlte sich den ganzen Tag schlaff und müde an, während meine Psyche vor sich dahin zu bröckeln schien und ich konnte nichts machen. Meine kühle Fassade zerfiel von Mal zu Mal mehr, wenn mich jemand ansah, mit mir sprach oder überhaupt anwesend war. Das bezeichnete ich mal als psychisch instabil.

Ich starrte wie in Trance die frischen Blumen an, die auf dem doppelten Grabstein vertreut waren. Auf ihren Blüten glänzten Wassertropfen. Es hatte die ganze letzte Nacht geregnet. das tat es hier oft. Meine Mutter hatte Blumen geliebt und ihr zuliebe hatte mein Vater das auch getan. Doch jetzt waren sie tot, einfach weg. Und ich verbrachte zu viel Zeit alleine in meinem neuen Zimmer. Böse Gedanken schlichen sich in meinen Verstand und vergifteten mein Urteilsvermögen. Ich hatte jegliche Kraft verloren. Die Kraft zu lachen, die Kraft zu kämpfen und jetzt auch die Kraft zum Leben. Ein letztes Mal sah ich den Grabstein meiner Eltern an, ohne eine Träne zu vergießen. "Vielleicht komme ich heute zu euch", murmelte ich leise und wandte mich ab. In einem langen Trauergewand verließ ich den Friedhof.

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Okay, ich gebe zu, dieses Kapitel war etwas dramatisch und ich gebe auch zu, dass das nächste vielleicht auch dramatisch sein wird, aber es wird danach auch wieder "normal".  Dieses Kapitel ist zu dem einfach so eine "Brücke", die ich brauche, um der Geschichte einen Sinn zu verleihen...ähm, ja genau....

schönen Valentienstag euch!

Evil AntichristWhere stories live. Discover now