~Kapitel 13~

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~Erinnerung~

Zwei Wochen waren seit diesem Zwischenfall vergangen. Ich musste zugeben, dass ich die ersten paar Tage danach noch Angst vor ihm gehabt hatte, aber das hatte sich gelegt. Ich spürte, dass er mich nie hatte verletzen wollen. Er hat mich vor diesen ekelhaften Typen beschützt. Ich wusste immer noch nicht was mit ihnen geschehen war, aber um ehrlich zu sein, war es mir relativ egal. Selbst wenn Michael sie abgeschlachtet hätte.

Ich war spazieren, wie jeden Tag. In den letzten Tagen hatte sich Michael hier nicht blicken lassen. Ich saß jeden Tag alleine auf der Bank im Park und beobachtete die Kinder, wie sie fangen spielten, Burgen im Sandkasten bauten oder sich gegenseitig von der Schaukel schubsten. Doch es war ermüdend. Alles war ohne ihn ermüdend. Meine Noten hatten sich nicht verschlechtert, aber immer wenn meine Freunde mich fragten, ob ich etwas mit ihnen unternehmen wollte, lehnte ich ab. Meine Standardausrede war, dass ich mit dem Hund gehen musste, was ja auch nicht ganz gelogen war. Ich ging jeden Tag spazieren, immer dieselbe Strecke, in der Hoffnung, er würde nochmal auftauchen. Aber er kam nicht und allmählich machte ich mir Sorgen um ihn. Niemand machte auf, wenn ich an seine Haustür klopfte und selbst die Rosensträuche im Garten waren nicht mehr geworden. Es war als, wären die Langdons wie vom Erdboden verschluckt und niemand vermisste sie - niemand außer mir.

Ich stöhnte leise und legte den Kopf in den Nacken, sodass meine Haare hinter der Parkbank schon fast dne Boden berührten. Mein Schäferhund lag neben mir in der Sonne und döste, während ich die Augen schloss und nur auf die Rufe der Kinder und den allgemeinen Tumult im Park und außerhalb auf den Straßen konzentrierte.  Ich verirrte mich in meinen Gedanken. Sie kreisten um die Schule, um Michael, um meine Eltern und um das, was in letzter Zeit immer häufiger passierte. Gegenstände flogen plötzlich durch den Raum, Menschen, die ich nicht leiden konnte, passierte etwas Schlimmes. Einmal fing sogar der Vorhang Flammen, als ich sauer auf meine Mutter war. Das machte mir Angst. Ich hatte das dumme Gefühl, dass dieser ganzer Hokus-Pokus von mir ausging und ich wusste nicht, was ich dagegen tun konnte.

Ich öffnete langsam wieder meine Augen und kehrte in die Realität zurück. Aus dem Augenwinkel sah ich eine Person direkt neben mir sitzen. Ich zuckte unwillkürlich zusammen, bis Erleichterung sich in mir breit machte. "Wie lange sitzt du schon hier?", fragte ich. Michael zuckte mit den Achseln "Vielleicht fünf Minuten." Ich setzte mich wieder auf und sah ihn an. Bei Gott, ich hatte ihn vermisst. So eine Scheiße... "Warum warst du so lange nicht hier?", fragte ich ein wenig trotzig. Ich gab es nur ungern zu, aber ja. Ja ich fühlte mich von ihm vernachlässigt. 

"Meine Nana ist tot", gab er trocken zurück, ohne mich anzuschauen. Seine blauen Augen fixierten die Kinder vor uns. Mein Herz wurde schwer und ich seufzte. "Was ist passiert?" "Sie hat sich selbst umgebracht", sagte er, immer noch zu den Kindenr schauend. Er zögerte. "Wegen mir." Sein Blick huschte zu mir. Er war voller Schmerz. "Sie hat sich wegen mir das Leben genommen, Arien." Ich erschrak vor seinen Worten. "Nein, so darfst du auf keinen Fall denken", ermahnte ich ihn und hätte ihn am liebsten umarmt. "Du bist daran auf keinen Fall schuld, okay?" Wie konnte er sowas überhaupt nur denken? Seine Großmutter war eine hysterische Ziege gewesen, die psychisch am Ende war. Wenn sie sich tatsächlich umgebracht hat, dann doch nicht wegen ihm, oder? 

"Du hast keine Ahnung", sagte Michael verbittert und ich wurde hellhörig. "Wie meinst du das?" Ich stützte mich mit dem Ellbogen an der Rückenlehne der Bank ab, um ihn anschauen zu können. Er vergrub seine Fingernägel in den Hosenstoff an seinen Knien. Er senkte den Kopf und atmete tief durch. "Ich bin ein Monster, Arien."

"Nein, das bist du nicht", sagte ich ohne zu zögern und ohne nachzudenken. "Du weißt nicht, wer ich bin", zischte er und packte mich an einer Schulter, ließ aber sofort wieder los. "Du hast nicht die geringste Ahnung..." Er seufzte und vergrub sein Gesicht in den Händen. In meinem Hals bildete sich ein Kloß und mir stieg ein ungutes Gefühl in den Magen. "Dann sag es mir", bat ich ihn vorsichtig und ohne ihn anzufassen. "Erzähl mir endlich von dir... erzähl mir, wer Michael Langdon wirklich ist." "Das kann ich nicht", weigerte er sich und rieb sich die Augen. Anschließend strich er sich seine Locken aus dem Gesicht. Gott, hatte er wundervolle Haare. "Du würdest mich hassen", sagte er leise. "Und ich will dich nicht verlieren..."

Ich schluckte. Das war mal eine Liebeserklärung auf dem nächsten Level gewesen. Zu meinem Entsetzen hatte ich plötzlich das unstillbare Verlangen, ihn zu umarmen, ihn trösten zu wollen. Ich musste irgendwas tun. Er wirkte so einsam und verloren... Ich wollte nicht, dass er sich so fühlte. "Ich werde dich niemals hassen, Michael", sagte ich sanft, "egal, was du getan hast." Er schaute seitlich zu mir hoch, während er sich auf seinen Knien weiterhin abstützte, ohne sich sonst zu regen. "Da bin ich mir nicht sicher", sagte er und sein fehlendes Vertrauen setzte mir viel härter zu, als ich gedacht hatte oder als ich es jemals zugegeben hätte.

"Michael", sagte ich forsch und endlich blickte er mich richtig an. Bei dem Anblick seiner Augen, wie sie direkt in meine sahen, wurde mir schwindelig. "Was ist passiert? Was ist mit dir los? Was ist es, das du mir verschweigst? Sag es mir, ich werde dich weder hassen noch verurteilen." "Das sagst du jetzt", erwiderte er. Mein Blick waurde eiskalt und hart.

"Du willst wirklich wissen, was passiert ist?" Ich nickte stumm. "Du willst wirklich wissen, was für ein Monster ich bin?!" Er war aufgesprungen und schaute mich zornig an. Er hatte seine Emotionen nicht unter Kontrolle. Geplagt von Verzweiflung, Wut und Schmerz raufte er sich die Haare. Ich wusste, dass er am liebsten aus leibes Kräften geschrien hätte, aber die Leute um uns herum schaute uns jetzt schon komisch an. Zum ersten Mal fiel mir auf, wie gebrochen er war. Wie verletzlich er in diesem Moment war, von allen verlassen, wenn er überhaupt irgendwann mal jemanden gehabt hatte.

Ich stand auf und ging auf ihn zu. Ohne über die Konsequenzen nachzudenken, nahm ich seine Hände in meine. "Beruhig dich", sagte ich leise, sodass nur er es hören konnte. Ich legte eine Hand an seine Wange und wieder lehnte er seine Stirn an meine. "Es ist okay", sagte ich langsam und ich spürte wie er lautlos schluchzte. Die Lage im Park entsapnnte sich wieder. Ich hörte die Kinder wieder spielen und die dazugehörigen Mütter wieder lauthals quatschen. Ich atmete laut hörbar aus. "Bitte, erzähl mir endlich alles." Eine Träne tropfte auf sein Shirt. "Ich habe Menschen getötet, Arien", sagte er und meine Augen weiteten sich. Mein Herz begann zu pochen. "Du hast was?", hauchte ich ein wenig fassunglos, wobei ich jedoch nicht daran dachte, ihn loszulassen. "Ich habe Menschen getötet, aber ich wollte nie, dass jemand verletzt wird."

"Hat deine Nana sich deswegen getötet?", fragte ich sachte. Er nickte schwach und richtete sich wieder auf. Sein Blick wirkte immer noch zerbrechlich, doch seine Gesichtzüge waren wie aus Stein. "Sie hat mich angeschrien. Ich hab sie in den Selbstmord getrieben.. Es war alles meine Schuld. Die Rosensträucher im Garten, ihre ständigen Terraden und immer hat sie mir die schuld gegeben und sie hatte recht...."

"Nein, hatte sie nicht", sagte ich und er sah von seinen Fingern auf. Überraschung zeichnete sich in seinem Geischt ab. "Warum hälst du mich jetzt nicht für ein Monster? Du kannst dir doch denken, was mit den vier Idioten passiert ist, die dich bedrängt hatten, oder?" Ich nickte wieder, doch nahm wieder seine Hände. Ich wusste selbst nicht, was ich da tat, warum ich nicht einfach weglief. Denn das hätte jeder normale Mensch getan, die Flucht ergriffen.  "Du solltest mich hassen, vor mir Angst haben und dich von mir fern halten."

Ich schüttelte den Kopf. Die ganze Sache bereitete mir Schmerzen, im Kopf, im Magen und im Herzen. "Ich hasse dich nicht und ich habe keine Angst vor dir. Du würdest mir niemals wieder wehtun. Bitte, versteh mich", sagte ich eindringlich und seine Augen funkelten. "Ich habe keine Angst vor dir."

Evil AntichristOnde as histórias ganham vida. Descobre agora