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Ich sah den altbekannten Funken in ihren Augen aufleuchten. Mitleid. „Tschuldigung, ich sollte nicht die ganze Zeit über meine super Familie und meine tolle Kindheit sprechen, während du nie die gleiche Liebe erfahren hast und man dich nie gewollt hat." Es sollte wohl besänftigend wirken. Mit Sicherheit war es nicht in ihrer Absicht, darauf rumzuhacken, jedoch tat sie eben genau dies.

Da war es wieder. Ich fühlte mich wie wachgerüttelt. Als würde sich erst jetzt meine Sicht auf die Dinge wieder klären. Der verschwommene Nebel von Gefühlen verduftete. Eliza war nicht anders, als alle anderen oder gar Noah.

An erster Stelle dachten sie an sich selbst. Und an zweiter auch. Und an dritter kam dann diese Entschuldigung an mich, um das eigene Gewissen zu beruhigen, nichts Verwerfliches getan zu haben, was gegen einen verwendetet werden könnte. Ob vor Gericht, vor Gott oder nur im nächsten Lästertalk auf der Mädchentoilette.

Also war diese Verzeihungsbitte auch nichts weiter als eine egoistische Rechtfertigung vor der Gerichtsbarkeit, die einem persönlich am wichtigsten war. Ich brauchte kein Mitleid, ich wollte es gar nicht. Es würde mir auch keine besseren Erinnerungen an meine Kindheit bringen oder meine leiblichen Eltern, die mich liebevoll umsorgen. Es würde nichts ändern. Außer den Gewissenzustand des Vollbringers.

„Tu nicht so, als würdest du auch nur annähern wissen, wer ich bin oder was mir fehlte.", schmeiße ich dem verdutzten Mädchen anklagenden an den Kopf, wende mich ab und verschwinde schnellen Schrittes.

Mit jedem Schritt, mich meinem neuen Zuhause nähernd, fühlte ich mich schwächer. Ich hatte so viel Vertrauen in letzter Zeit verschenkt und mal wieder wurde ich enttäuscht. Vor lauter Wut, zumindest versuchte ich meine Gefühle zu dieser werden zu lassen, zitterte ich so stark, dass der Schlüssel einfach nicht in das Haustürschloss passen wollte. Aus Frustration warf ich den Schlüsselbund gegen die Hauswand und traf dabei auch noch die Klingel.

Bethany öffnete mit strahlendem Lächeln, ihre trotz täglichen Kaffeekonsums weißen Zähne präsentierend, die Tür. Überrascht zog sie eine Augenbraue nach oben. „Val? Warum klingelst du denn? Hast du deinen Schlüssel denn nicht dabei?" Ertappt nahm ich den Schlüsselbund aus dem Blumentopf unterhalb der Läute. Ich ging an Beth vorbei und zog meine Schuhe im Flur aus, warf sie unbeherrscht auf die dunkelgrauen Fliesen. Die Blonde stand noch immer leicht verwirrt im Eingangsbereich und versuchte wohlmöglich sich die Situation zusammenzureimen.

„Warum vertraut man Menschen, wenn man doch immer wieder von ihnen enttäuscht wird?", stelle ich ihr die tiefgründigste und ehrlichste Frage, jedes vorherige Gespräch zwischen uns in den Schatten stellend. Sie blinzelte ein paar Mal. Dann wurde ich am Arm genommen und Richtung Küche gezogen. Wie ein kleines Kind platzierte sie mich auf einem der Barhocker und mischte daraufhin dunkelbraunes Pulver mit kochender Milch in einem Topf.

Kurze Zeit später, mit dampfendem Schokopudding vor mir, setzte sie sich mir gegenüber. „Na los erzähl schon, was ist vorgefallen, dass dich so sehr aus der Bahn wirft?", Bethany grinste mich sachte an. Sie war seit langem die erste, die sich wirklich Zeit nahm, mir zuzuhören.

Einem Auto auf einer vereisten Straße gleichend, rutschte das Nasse meine Wange unkontrolliert herunter. Verlegen senkte ich den Kopf. In mein Blickfeld schob sich langsam eine mintfarbene, viereckige Schachtel Taschentücher. Meine Pflegemutter zwang mich nicht aufzusehen, meine Schwäche zuzugeben. Dankbarkeit erwärmte mich.

„Ich weiß selbst, dass mein Leben nicht dem der meisten gleicht. Ich hasse meinen eigenen Namen. Denn-", meine Stimme war kurz davor zu brechen. „Denn die Personen, die ihn mir gaben, wollten mich nicht. Wenn man mir weiterhin diesen Namen gibt, wird man mich vielleicht nie wollen. Mir ist bewusst, welche Kindergartentheorie dies ist, aber ich brauche einen Grund, warum man mich nie geliebt hat. Warum niemand dem kleinen Mädchen eine Familie sein wollte. Weshalb niemand mir ein Zuhause auf lange Zeit geben konnte. Also gab ich Gründe. Ich wurde zum Albtraum eines jeden Vorstadtpärchens mit unerfülltem Kinderwunsch. Bevor man mir wehtun konnte, würde ich jeden auf Distanz halten." Die Laute zitterten aus meinem Mund heraus.

Bebende Angst erschütterte mich. Niemals zuvor hatte ich jemandem dies erzählt. Würde sie mich nun auch nicht mehr wollen? Vorsichtig erspähte ich einen Blick in ihr Gesicht. Das Blau-Grün ihrer Glubschaugen glänzte, ihre Nasenflügel wackelten leicht. Mit einem Mal stand sie auf und umarmte mich herzlich.

„Ich-... Ich kann nicht verstehen und es dir auch nicht erklären, warum gerade dir dieses Schicksal zu Teil wurde, aber ich weiß, dass du keinerlei Schuld daran trägst. Auch dein Name ist nicht der Sünder. Valea, ich möchte, dass du weißt, wie viel mir dieses Gespräch bedeutet. Mir ist bewusst, wie schwer es dir gefallen sein muss, den Worten freien Lauf zu lassen." Ihre Stimme klang rau und etwas heiser, doch dies verschluckte nicht die Ehrlichkeit darin.

Beth löste ihre Umklammerung um mich leicht, um mir ins Gesicht zu sehen. Ihre zarten Hände wischten mir die Tränen von den Wangen.

Die Küchentür öffnete sich und Scott trat ein. Einen Moment schien er überfordert mit der Lage. Doch dann kam er zu uns und partizipierte an der nun Gruppenumarmung. Diese Nähe strahlte unerwartete Geborgenheit aus. Der hochgewachsene Mann hinterfragte nichts, er war einfach nur da. Leise, so leise, dass man es kaum verstand, wisperte Bethany: „Tränen kehren eines Tages zu ihrem Verursacher zurück."

ᖴᗩᑌSTSᑕᕼᒪᗩG ᑎᗩᑕᕼ ᒪIEᗷE!Where stories live. Discover now