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>>Als ich älter wurde, wusste ich, dass ich anders war als die anderen Mädchen,
weil es in meinem Leben keine Küsse und Versprechen gab.
Ich fühlte mich oft einsam und wollte sterben. <<

-Marilyn Monroe-

Es stellte sich heraus, dass meine Eltern beide gerade in einer Besprechung gewesen waren und ihr Handys aus diesem Grund auf stumm geschaltet hatten. Schließlich hatte das Krankenhaus die Firmennummer gefunden und der Sekretärin im Büro gesagt, dass es dringend sei. Und so waren sie dann doch noch, wenn auch verspätet, aufgetaucht.

Als sie jedoch im Krankenhaus ankamen, schienen sie noch nicht zu wissen, dass Elian bereits aus dem OP war. Tot.

Und ich brachte es nicht übers Herz es den beiden zu sagen. Ich konnte nicht. Vor allem, weil ich es selber noch nicht mal richtig realisiert hatte. Also übernahm Lilian das für mich, während Kian mich die ganze Zeit über im Arm hielt. Auch Lil war unglaublich traurig. Ihr Blick sprach Bände und ihre Tränen sagten mehr als 1000 Worte.

Mittlerweile waren wirklich keine Tränen mehr übrig, die ich weinen konnte. Wir saßen schon seit Stunden in diesem beschissenen Krankenhaus fest und ich wollte einfach nur noch hier raus. 

Meine Eltern mussten allerdings noch mit den Ärzten reden und deshalb schlug Kian vor, mich gemeinsam mit Lilian nach Hause zu fahren, worüber ich ehrlich gesagt, mehr als froh war.

Nachdem meine Eltern und ich uns schon Minutenlang in den armen gelegen hatten -meine Eltern weinend, während ich einfach nicht mehr weinen konnte- war ich froh, ihre traurigen und entsetzten Gesichter nicht mehr sehen zu müssen.

Ich hatte bereits viel zu viel Zeit in diesem Krankenhaus verbracht und als ich flankiert von Kian und Lil, an die frische Luft trat, atmete ich tief ein. 

Lilian setzte sich mit mir zusammen auf die Rückbank.

Obwohl wir eigentlich verstritten waren, brauchte Lilian nichts zu sagen, um mir zu zeigen, wie sehr sie mit mir fühlte und dass sie für mich da war. Sie hielt die ganze fahrt lang meine Hand fest und ich war dankbar, eine Freundin wie sie zu haben. Dennoch waren die regen Zweifel vorhanden, dass sich alles wieder verändern würde, wenn die Sache vorbei war. Wenn Elians Tod so weit zurücklag, dass nicht jeder Gedanke an ihn schmerzte. Auch wenn ich mir nicht vorstellen konnte, dass diese Zeit jemals kommen würde.

Elian war mein großer Bruder gewesen. Ja, er hatte mich ständig bevormundet und genervt, aber ich hatte ihn geliebt, wie ich niemand anderen auf der Welt geliebt hatte. Er war alles für mich gewesen und ein Leben ohne ihn war für mich nur schwer vorstellbar.

Ich bat Lil und Kian, noch bei mir zu bleiben, bis meine Familie heimkäme und die beiden stimmten sofort zu.

Man sah meinen beiden Freunden deutlich an, dass sie ebenfalls litten. Lil, weil sie meinen Bruder geliebt hatte, obwohl sie sich noch nicht lange kannten und Kian, weil er Lil und mich liebte und nicht sehen konnte, wie wir trauerten.

Wir setzten uns zu dritt aufs Sofa und weil ich keine Lust hatte mich zu unterhalten, fragte ich, ob es okay sah, wenn wir einen Film anschauten. Dann bot ich beiden etwas zu essen an. Alles lief eher apathisch ab. Alles war trist und irgendwie ... belanglos...

Wir saßen stundenlang zusammen. Schauten einen Film nach dem anderen und redeten nur das nötigste. Kian hatte die ganze Zeit über seinen Arm um mich gelegt und sein Griff war so feste, dass es sich anfühlte, als hätte er angst ich könnte mich ansonsten in Luft auflösen. Und Lilian neben mir lehnte sich gegen mich. 

Ich glaube, in Wahrheit konzentrierte sich niemand auf die Bilder, die über den Bildschirm flackerten und jeder hing nur seinen eigenen Gedanken nach. Dennoch war es schon, nicht in einer totalen Stille versinken zu müssen

***

Und so war es auch die folgenden Wochen. Egal wo ich war oder was ich tat, im Hintergrund hatte ich immer einen Podcast, Musik oder den Fernseher laufen,damit ich immer etwas hatte, dass meine Gedanken übertönte.

Die ersten beiden Wochen nach Elians Tod ging ich nicht zur Schule und auch sonst nirgendwohin.

Unsere Nachbar überschütteten uns seltsamerweise mit Aufläufen und Suppen, sodass wir nicht mal einkaufen musste und die Hausaufgaben sowie die neuen Themen, ließen mir meine Freunde zukommen.

Fanny und Dean waren einmal hier gewesen. Und auch Simon, Rube und sogar Gale hatten mir geschrieben.

Logan war zweimal vorbeigekommen. Wir hatten auf dem Bett gesessen und beide geweint. 
Hatten uns an frühere Zeiten erinnert. An all die glücklichen Erinnerungen mit Elian.

Die Sache mit den Gefühlen erwähnten wir mit keinem Wort und es tat gut, jemanden zu haben, mit dem ich genauso leiden konnte. Jemanden, der mich verstand. Auch Logan war in der ersten Woche nicht zur Schule gegangen, aber Lilian, die mindestens dreimal die Woche vorbeikam, berichtete mir von fast allem, was in der Zeit passierte, in der ich nicht da war.

Sie erzählte, dass an Elians Spind eine Art Gedenkschrein entstanden war und dass es eine Trauerfeier in der Turnhalle gegeben hatte. Alle waren sehr gerührt gewesen und einige hatten wohl ziemlich berührende Reden gehalten.

Ich redete unglaublich viel mit Lilian. Über alles, aber am meisten über Lilian. Wir tauschten gegenseitig jedes Erlebnis aus, dass wir mit ihm erlebt hatten, weinten zusammen und spendeten uns gegenseitig Trost.

Aber was am meisten Licht in meine Tage warf, war Kian. Er kam fast täglich und nahm mich mit zu irgendwelchen Orten in der Umgebung oder wir gingen einfach nur spazieren. Manchmal schwiegen wir fast die ganze Zeit lang, aber alleine seine Anwesenheit spendete mir Trost.

Manchmal wünschte ich mir, er könnte mir auch auf noch intimere Weise Trost spenden. Ich wollte dort anknüpfen, wo wir vor der Elian-Sache angefangen hatten, aber Kian machte keine einzigen Versuch sich mir anzunähern, also hielt ich mich ebenfalls zurück. Ein gebrochenes Herz war das Letzte, was ich jetzt noch gebrauchen konnte.

Also genoss ich einfach die Zeit, die ich mit Kian draußen verbringen konnte. Es war eine Zeit, in der ich den Rest der Welt ausschließen und meine Familie einen Moment hinter mir lassen konnte.

ich liebte meine Eltern und ich konnte verstehen, dass sie trauerten, aber bei uns zuhause war alles so düster und trist, dass ich es manchmal einfach nichtmehr aushielt.

Tagsüber ging es, aber nachts war es am schlimmsten. Wenn mein Dad unten bis früh morgens vorm Fernseher saß, weil er nicht mehr schlafen wollte und meine Mom sich im Bett die Augen ausheulte.

Ich wollte den beiden gerne helfen, aber ich konnte mir selbst ja kaum helfen,wie sollte ich es also bei ihnen schaffen.

Obwohl ich das Gefühl hatte, Elians Tod immer noch nicht ganz realisiert zu haben, wurde es mit jedem Tag leichter, mit der Situation zu leben. 

Jeden Tag konnte ich ihn etwas besser gehen lassen, wobei ich ihn gleichzeitig auch jeden Tag mehr vermisste. So als würde das eine unweigerlich auf das andere folgen.

my brother's enemy is my best friend's brotherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt