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>>Menschen, die durch schwere Zeiten gegangen sind, können oft sehr gute Freunde sein. Einfühlsam und rücksichtsvoll, sie werden dich niemals verletzen<<

-Unbekannt-

Kian tauchte nicht mehr auf, dafür aber mein Bruder. Er kam mir auf dem Flur entgegengeeilt und ich berichtete ihm kurz und knapp, was los war (Den Teil in dem Kian eine Rolle spielte ließ ich aus).

Sofort eilte mein Bruder zu Lilian ins Zimmer und ließ dabei die Türe offenstehen. 

Langsam folgte ich meinem Bruder und trat in das Zimmer. Wehmütig und traurig beobachtete ich wie Lil mit verquollenen Augen dastand und meinen Bruder ansah. In ihrem Blick standen so viele Gefühle geschrieben, dass ich nicht einmal eines zu fassen bekam und der Blick, mit dem mein Bruder Lil ansah, verschlug mir fast den Atem. Es war derselbe Blick wie der, mit dem Kian mich manchmal angesehen hatte, wenn er dachte, dass ich nicht hinsehe.

Tränen stiegen mir in die Augen. Ich schluckte. Elian war eindeutig in Lilian verliebt und was sie anging bestand da ebenfalls keine Zweifel. Ob Kian mich deshalb mit dem gleichen Blick ansah, weil er auch in mich verliebt war? Aber warum hatte er mir dann nicht erlaubt für ihn da zu sein und stattdessen mit aller Kraft versucht, mich von ihm wegzustoßen?

Ein Stich fuhr mir durchs Herz, als Elian sich leicht von meiner besten Freundin löste und ihr einen Kuss gab.

Ich sollte nicht eifersüchtig sein, denn ich freute mich für die beiden. Ehrlich und aufrichtig. Ich war froh, dass sie einander gefunden hatten und wünschte ihnen das Beste, aber ich wollte Kian hier haben. Wollte, dass er auch neben mir stehen und mich küssen würde, aber stattdessen war er gegangen...

***

Lilians Vater schlief eine ganze Weile. Erst spät am Abend wachte er auf und redete mit seiner Tochter.

Auch Lilians Mom, die in einem anderen Krankenhaus in der Nachbarstadt arbeitete, hatte bereits erfahren, was passiert war und war ins Krankenhaus gekommen. Nicht wegen ihres Ex-Mannes, den sie vermutlich genauso verabscheute, wie Kian, sondern wegen ihrer Tochter.

Es war seltsam, die Mutter meiner besten Freundin und gleichzeitig die Mutter des Jungens, den ich mochte, auf diese Art und Weise kennenzulernen. 

Sie war eine kleine Frau mit braunen langen Haaren, ganz ähnlich denen von Lilian. Ihre Augen hatten Kians Grün und sie wirkte distanziert und zurückhaltend. Keineswegs hatte sie das selbstbewusste auftreten ihrer Kinder. 

Ich wusste nicht genau, wie ich mich verhalten sollte. Es wäre schön gewesen, wenn Kian da gewesen wäre. 

Lilian stellte mich als ihre beste Freundin und Elian als ihren festen Freund vor. Ich lächelte als sich die beiden bei den Worten anlächelten und ihre Hände ineinander verschränkten.

Iris -so hieß Lils Mom- lächelte Elian und mich nur zögerlich an, während sie uns begrüßte.

„Hallo." Sagte sie mit unglaublich rauer, aber dennoch weiblicher Stimme. Der sanfte Ton, den ihre Stimmbänder erzeugten, wirkte fast schon unwirklich. Dann sah sie ihre Tochter an. „Du solltest nach Hause und dich ausruhen."

Lilian schüttelte den Kopf „Nein. Ich will dableiben."

Ihre Mom machte einen Schritt auf sie zu und strich ihr die Haare hinters Ohr. „Mein Schatz, du siehst müde aus und morgen hast du Schule."

Lil wich zurück. Tränen standen ihr wieder in den Augen. „Ich gehe nicht zur Schule."

Iris folgte ihr mit einem Schritt, während ich mich diskret im Hintergrund hielt. 

„Mom." Sagte Lil „Ich kann nicht zur Schule, wenn er hier liegt."

„Lilian." Ihre Mutter seufzte „Ich habe mit den Ärzten gesprochen. Er kommt wieder auf die Beine. Er hat keine inneren Blutungen, sondern nur eine leichte Gehirnerschütterung und Prellungen."

Gehirnerschütterung? Ich wusste nicht, dass es so schlimm war. Einmal mehr musste ich an Kian denken. Wie er sich jetzt wohl fühlte? Ich wusste, dass er Schuldgefühle machte und meine Sorge um ihn wuchs, je länger ich nichts von ihm hörte. Automatisch zog ich mein Handy aus der Hosentasche und warf einen Blick darauf. Keine neuen Nachrichte.

Ich seufzte lautlos und während Lilian noch mit ihrer Mom diskutierte, tippte ich schnell eine Nachricht an Kian.

Ich: Kian, wo bist du?

Ich: Ich mache mir Sorgen, bitte schreib mir.

Die Anzeige unter seinem Namen gab an, dass er Online gegangen war und wenig später wurden meine Nachrichten als gelesen gekennzeichnet, aber er antwortete nicht und ging wieder offline.

Ich: Kian! Du bist nicht schuld. Er ist es selber schuld!!!

Ich: Bitte antworte mir wenigstens.

Ich: Mach keine Dummheiten, ja. Ich weiß nicht, ob ich etwas getan habe, aber ich bin für dich da!

Dann hörte ich Lilian. 

„Lea?"

Mein Kopf fuhr hoch „Ja? Tschuldigung." Ich begegnete Iris Blick, der ein wenig missbilligend wirkte. 

Wahrscheinlich dachte sie, was ich für eine schlechte Freundin war, wenn ich in so einer Situation nur am Handy hing, aber sie konnte ja schlecht wissen, dass ich mir nur sorgen um ihren Sohn machte. Und ich konnte es ihr nicht sagen. Ich lächelte leicht, aber ihr Gesicht blieb ausdruckslos. Das hatte sie fast so gut drauf wie Kian.

„Kommst du noch kurz mit auf die Toilette?" fragte Lilian leise.

Ich nickte „Ja natürlich." Dann nahm ich ihren Arm und führte sie in Richtung der Toiletten.

„Wie geht es dir?" fragte ich besorgt.

Sie schüttelte den Kopf „Ich weiß es nicht. Er ist nicht schwer verletzt, aber trotzdem mache ich mir solche Sorgen." Sie sah mich an, als ich ihr die Türe aufhielt. Während sie in eine Klokabine verschwand, lehnte ich mich an ein Waschbecken und wartete auf sie.

„Er war doch aber wach, als du bei ihm im Zimmer warst?" fragte ich laut durch die dünne Türe hindurch.

„Ja."

„hat er dir gesagt, was passiert ist?"

„Nein." Sie zögerte „Er meinte, dass er sich nicht daran erinnert. Aber ich glaube er lügt."

Die Spülung wurde betätigt und wenig später wurde die Türe geöffnet und Lilian trat zu mir ans Waschbecken „Ich weiß nicht, was los ist, aber ich glaube er steckt in Schwierigkeiten. Mein dad war noch nie perfekt weißt du. Er hat oft scheiße gebaut."

Wusste sie, dass er Kian und ihre Mom geschlagen hatte? Oder spielte sie auf etwas anderes an?

Ich schwieg. Sie lächelte leicht als sie sich selber im Spiegelbild ansah und strich sich durch die Haare.

„Ich habe einmal Drogen in seinem Schrank gefunden. Und ein paar Mal hat er sich komplett volllaufen lassen." Sie seufzte „Er hat es immer so gemacht, dass ich nichts mitbekam, aber ich habe es doch gemerkt. Ich glaube es ging ihm ziemlich schlecht, aber ich dachte, jetzt wäre wieder alles okay." Sie sah mich an „Sag Kian nichts davon. Er und meine Mom wissen davon nichts. Die beiden können ihn eh schon nicht leiden und am liebsten hätten sie, dass ich gar nicht mehr zu ihm gehe."

Aus gutem Grund.

Aber ich spielte die Unwissende „Warum?

Meine beste Freundin hob die Schultern „Keine Ahnung, aber so ist es seit ich klein bin. Ich schätze die beiden können Dad nicht verzeihen, dass er uns verlassen hat."

Schuldgefühle machten sich in mir breit. Ich sollte sie nicht anlügen. Ich hasste es sie anzulügen. Lilian war meine beste Freundin, ich wollte ihr vertrauen nicht auf diese Weise verlieren.

Ich öffnete den Mund, aber kein Ton kam heraus. Ich konnte nicht. Ich konnte Kian einfach nicht verrate. Es war nicht fair.

Ich stand zwischen den Stühlen.

Egal was ich tat, ich würde einen der beiden enttäuschen...

my brother's enemy is my best friend's brotherWhere stories live. Discover now