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>>Tue nie etwas halb, sonst verlierst du mehr, als du je wieder einholen kannst. <<

- Louis Armstrong -

„Kian?" wimmerte ich leise und undeutlich. 

Langsam wagte ich es, die Augen zu öffnen und es war heller als ich erwartet hatte.

Kians Gesicht war schwach in einem bläulichen Licht zu erkenn. Darauf spiegelte sich sorge und Verblüffung wider. 

„Hedgy?" fragte er ungläubig und es tat gut, diesen Spitznamen aus seinem Mund zu hören.

Ich konnte nicht verhindern, dass mir erneut Tränen über die Wangen flossen und sich ein Schluchzer seinen weg nach außen kämpfte.

Diesmal waren es keine Angsttränen sondern Tränen der Erleichterung.

Erschöpft von der Angespanntheit und dem Adrenalin, dass der Schockzustand durch meinen Körper gepumpt hatte, erschlaffte ich ein wenig in Kian Griff.

Seine Hände umfassten mich daraufhin stärker und er zog mich näher zu sich heran. 

„Was ist los?" fragte er leise und sanft.

Ich schluchzte nur weiter und brachte kaum einen vollständigen Satz zustande. Er musste mich für eine Totale Heulsuse halten.

„Ich... hab... ver... vergessen den Stopper... und dann ist... die Tür.... Zu...gegangen... und das Licht aus..." hickste ich in meinen Heulkrampf.

Kian strich mir beruhigend über den Rücken. „Die Türe ist jetzt also zu?" fragte er leise.

Ich nickte nur. 

Kian bückte sich ein Stück und setzte mich vorsichtig auf den Boden gegen die Wand.

Ich lehnte mich dagegen und erkannte nun auch, woher das Licht kam. Eine Taschenlampe lag auf dem Boden und Kian hob sie auf. Dann setzte er sich neben mich und legte seine Arme um meinen Oberkörper.

„Beruhig dich erstmal." Murmelte er an mein Haar und ich atmete tief den Geruch ein, den seine Brust an meinem Gesicht versprühte. „Es ist ja alles gut. Und du bist nicht alleine." Seine Hand strich wieder beruhigend über meinen Rücken.

Er redete bestimmt noch etwa 10 Minuten weiter auf mich ein, ehe ich mich endlich beruhigt hatte.

Ich löste mich etwas von ihm und wollte meine Beine anwinkeln, aber durch meinen linken uß und die Wade für wieder dieser dumpfe schmerz. Er hatte zwar schon wieder sehr viel nachgelassen, aber nach der Bewegung brandete eine erneute Schmerzwelle auf. Ich stöhnte.

Augenblicklich hatte Kian sich zurückgelehnt und betrachtete prüfend mein Gesicht. Dann glitt sein Blick über meinen Körper als suchte er nach dem Anzeichen einer Verletzung. Sein Blick blieb schließlich an meinem Fuß hängen und er richtete sich sofort auf und beugte sich mit der Taschenlampe darüber.

„Wie ist das passiert?" fragte er, während er konzentriert und erstaunlich vorsichtig die Strumpfhose an meinem Fuß zerriss, damit er sich die Verletzung genauer ansehen konnte. 

„Ich habe eine Stufe verpasst und bin umgeknickt." Sagte ich leise und meine Stimme klang doch tatsächlich immer noch weinerlich.

Kian sah mich sanft an, bevor er sich wieder mitgekonnten Handgriffen meinem Fußgelenk widmete. Im schein der Taschenlampe erkannte auch ich, dass sich bereits ein dunkler Bluterguss um die Fußfessel gebildet hatte und er deutlich angeschwollen war.

Kian berührte ganz vorsichtig eine Stelle am Knöchel und ich kniff die Augen zusammen.

Prüfend sah er mich an „Tut das weh?"

Ich nickte, dann nahm er sich eine andere Stelle vor „Und das?"

„Auch."

Er nickte. „Könnte verstaucht sein, wir sollten das besser so schnell wie möglich kühlen." Er zögert „Wir haben hier unten ein Gefrierfach und einen Verbandskasten, aber dafür müsste ich dich kurz hier alleine lassen. Die Taschenlampe kannst du behalten, wenn du magst."

Ich zögerte, aber Kian richtete sich schon auf.
„Brauchst du kein Licht?" fragte ich leise und Kian schenkte mir ein zaghaftes Lächeln.

„Ich schaffe das schon so. Es dauert auch nicht lange, versprochen."

Ich nickte. Kian entfernte sich mit einem letzten sorgenvollen und prüfenden Blick zu mir und bog um die Ecke. 

Während er weg war, fragte ich mich, ob es vielleicht eine Art Schicksal gewesen war, dass wir uns hier unten trafen. Vielleicht sollte das unsere Gelegenheit sein zu klären, was zwischen uns stand, denn meiner Meinung nach gab es da einige ungeklärte fragen zwischen uns, die nur darauf drängten beantwortet zu werden und die erste und wichtigste war; Wie genau empfand Kian für mich?

 Denn wenn ich ehrlich war, dann war mir jetzt schon klar, dass ich in ihn verliebt war. Vermutlich war ich es schon die ganze Zeit, aber erst heute ist es mir klar geworden. Erst als Kian sich so seltsam benommen hatte und ich befürchten musste, dass er mich für die nächsten Tage ignoriert. Als ich mir vorgestellt habe, wie zwei Tage ohne Kian wären, da ist mir klar geworden, dass ich ihn brauche. Fast so wie ich die Luft zum Atmen brauche.

Tatsächlich brauchte Kian nicht lange und nach maximal zwei Minuten kam er mit dem Verbandskasten und einem Kühlakku zurück.

Schweigend verarztete er meinen Fuß und als er damit fertig war, setzte er sich wieder neben mich.

„Ist die Kalt?" fragte er und sah mich besorgt an. 

Trat diese Sorge auch irgendwann nochmal aus seinen Augen? Oder dachte er jetzt ich wäre eine empfindliche Porzelanpuppe, weil ich so viel rumgeheult habe?

„Ein wenig murmelte ich."

Er zögerte nicht und zog sich seine Strickjacke aus, die er mir dann über die Schulter legte. Anschließend schlang er noch einen Arm um mich und zog mich dicht zu sich heran.

„Tut mir leid." Sagte ich nach einer Weile in die Stille des Schweigens hinein.

Er bewegte sich etwas. „Was denn?" seine Stimme war so rau und einfühlsam.

„Das ich ständig irgendwelche Probleme mache und dass ich eben so rumgeheult habe." 

Seine andere Hand, die nicht an meiner Hüfte lag, legte sich auf meine Hand und er verschränkte die Finger mit meinen.

Ein Schauer durchfuhr mich.

„Das braucht dir nicht leidtun." Flüsterte er. Ich bin gerne für dich da."

Am liebsten hätte ich meinen Kopf gedreht und ihn angesehen, als ich die nächste frage stellte, aber ich traue mich nicht.

„Warum warst du eben so seltsam zu mir?" hauchte ich fast tonlos.

Er atmete tief ein „Was meinst du?" entgegnete er, aber ich wusste genau, dass er verstanden hatte, was ich meinte.

„Nachdem wir auf dem Dach waren, warst du komisch. Ich will nur wissen, ob es an mir lag." Jetzt wandte ich ihm doch mein Gesicht zu.

Er sah in meine Augen und ich versank in dem Grün seiner eigenen.

„Es lag nicht an dir." Seine stimme war eine Oktave tiefer geworden „Es lag vielmehr daran, dass du recht hattest. Und das ist mir in dem Moment klar geworden."

Stirnrunzelnd versuchte ich, ihn wieder dazu zu bringen mich anzusehen, nachdem er den Blick abgewendet hatte.

„Was genau meinst du?" hakte ich nach.

Aber statt zu antworten zog er mich einfach noch ein wenig näher zu sich heran und drückte sein Gesicht in mein Haar, als wollte er sich meinen Geruch einprägen.

my brother's enemy is my best friend's brotherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt