35. Hass

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Fairytales Sicht:

Ich platze bald vor Eifersucht. Dieser Typ bringt mich zur Heißglut. Aber was noch schlimmer ist: Ich verliere immer mehr und mehr die Verbindung zu Mia. Ich merke es. Ich höre ihre Gedanken von Tag zu Tag immer leiser. Ich muss mich anstrengen, um ihre Gefühle zu fühlen. Wir leben uns auseinander. Ich hasse es. Ich liebe sie doch. Ich sitze in einem Auto neben meiner Mutter. Sie hasse ich auch. Ich darf nicht singen. So kann ich nicht einmal mit Mia kommunizieren, wenn das überhaupt noch geht. Wir fahren nach Norden. Immer weiter. Immer weiter weg von Mia. Und ich kann mich nicht wehren. Ich bin gefesselt. Meine Mum hat ganz schon kräftige Hände und Arme. Sie ist stark und kann sich durchsetzten. Ich habe versucht zu flüchten. Mehrere Male. Keine Chance. Ich habe einen riesen Respekt vor ihr. Immer noch ist mir nicht klar, warum sie das alles tut. Wie geht es meinem Vater und Kukka und all den anderen? Merken sie überhaupt, dass ich weg bin? Warum nimmt sie mir Mia weg? Was ist mit den anderen Elfen? Was ist mit Raven und Aika? Warum...? Ich bin verwirrt und sterbe bald vor Eifersucht. Dieser Michael macht mich krank. Ich habe ein bisschen Angst vor mir selbst. Wenn man so in Büchern liest, wenn so ein Typ richtig eifersüchtig auf einen Jungen ist, der ein bisschen mit seiner Freundin ist und die dann was zusammen machen und er ihn dann zusammenschlägt, denkt man sich, dass das immer sehr übertrieben ist. Okay, es ist übertrieben. Aber irgendwie kann ich jetzt ein bisschen mit diesen Typen fühlen. Endlich mal ein kleines bisschen Gutes an der ganzen Sache. Ich atme tief durch. Ich schließe die Augen und versuche das letzte Bild, das ich von Mia gesehen habe wieder zu sehen. Als wir zusammen gesungen haben. Es war erst gestern. Es kommt mir vor, wie vor Jahren. Wieder muss ich ruhig ein und aus atmen, sonst würde ich losheulen. Meine Mutter schaut stur geradeaus auf die Straße. Schon wieder schießt mir die Frage in den Kopf, wie sie mir das antun konnte. Wieder steigt dieser Hass in mir hoch. Singen hilft dagegen. Aber ich kann nicht singen. Ich darf nicht. Sonst wird sie mir mit ihren überschnellen Reflexen wieder den Arm umdrehen. Sie verbirgt so viele Geheimnisse. Nicht alle sind gute Geheimnisse. Den meisten Dingen tut es glaube ich gut, dass niemand sie weiß. Ich will sie trotzdem wissen. Das haben Geheimnisse so an sich. Jeder will sie wissen. Aber man muss sie verschweigen. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist, aber ich spreche auf einmal alle meine Fragen aus. Sie sprudeln aus meinem Mund heraus und meine Mutter schaut mich auf einmal mit weit aufgerissenen Augen an. Ich muss erst einmal Luft holen, als ich fertig bin. "Achtung!", rufe ich, sie überfährt gerade eine rote Ampel und fährt beinahe einen jungen Mann um, der kopfschüttelnd weiterläuft und lenke ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Straße. "Tja, ich wusste, du würdest irgendwann fragen", murmelt sie und kaut nachdenklich auf ihrer Lippe herum. "Du weißt natürlich, dass ich dir nicht alles sagen kann." Ich schüttle empört den Kopf. Sie muss es mir sagen. Wenigstens warum sie damals gegangen ist. Das ist doch wohl nicht zu viel verlangt! Wieder dieser verdammte Hass, der mein Herz zu Eis erstarren lässt und meinen Körper verkrampft. "Okay, also fange ich mal von vorne an...", meint sie. Ich bin gespannt. "Du willst wahrscheinlich wissen, warum ich gegangen bin." Ich nicke heftig mit dem Kopf und fühle mich in Kindertage zurückversetzt, als mir immer Geschichten erzählt wurden. "Also, das war so...", sie macht eine Pause und kaute weiter an ihrer Lippe. Ich bin ungeduldig und bin kurz davor nachzuhacken, als sie weiterspricht. "Also... Ich wurde verbannt." Das kommt jetzt überraschend. Ich schaue sie mit offenem Mund von der Seite an. Ihr war es sichtlich peinlich, aber ich gaffte sie weiterhin an. Aber jetzt fällt mir wieder ein, dass Kukka es doch eigentlich schon Mia gesagt hatte, aber erst jetzt, als meine Mutter es wirklich sagt glaube ich es richtig. Warum...? Sie schaut wieder konzentriert auf die Straße, als ob nichts gewesen wäre. Das ist doch jetzt nicht ihr Ernst? Das wars? Dann hätte sie gar nicht erst anfangen müssen zu reden. Ich weiß lieber nichts, als nur ein bisschen vom Ganzen. So muss ich mir nur noch mehr Gedanken machen. Und meine anderen Fragen? Ich könnte sie jetzt sehr gut umbringen. Sie ignoriert mich wieder. Ich kann leider nicht nach ihr schlagen, oder so, weil die Fesseln an meinen Händen mich daran hindern. Mein Herz ist ein einziger Eisklotz und mein Hals zugeschnürt vor Hass, Hilflosigkeit und Untätigkeit. Ich will mich jetzt an Mia kuscheln können und mein Herz wieder schmelzen lassen durch ihren Anblick und ihre Wärme. Aber sie ist so weit weg. Werde ich sie wiedersehen? Von Mia komme ich wieder zu Michael, bei dem sie gerade ist. Jetzt bin ich auch noch sauer auf Mia, dass sie diesem Michael nicht sagt, dass sie in einer Beziehung ist. Leider kann ich nicht hören, warum sie das nicht tut und auch vor lauter Hass in mir nicht fühlen, was sie für diesen Idioten empfindet. Sie macht ihm Hoffnungen. Oder mag sie ihn mehr als nur... Nein, ich muss mich selbst bremsen. Das ist doch alles absurd. Ich darf mir bei so etwas keine Sorgen machen. Wenn ich das mache, ist es schon vorbei. Ich beiße fest meine Zähne zusammen. Ich merke, dass ich Hunger habe. Aber ich werde nicht mehr mit meiner Mutter sprechen. Lieber hungere ich. Trotzig schaue ich aus dem Fenster. Wir haben die Kleinstadt schon lange verlassen, in der wir eben noch waren und fahren jetzt durch die schöne Landschaft Finnlands. Ich wusste gar nicht, dass es hier so schön ist. Ich muss sagen, ich habe mich ein bisschen in dieses Land verliebt. Wäre ich nicht hier her verschleppt worden, wäre es noch sehr viel schöner. Es ist Mittag. Die Sonne scheint und wirft ein kaltes Licht auf die Erde. Wieder diese Frage, die mich seit dem Moment, in dem ich den Abschiedsbrief an Mia geschrieben habe beschäftigt: Werde ich sie wiedersehen und in meine Arme schließen können?

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