31. Zeit

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Fairytales Sicht:

Der Typ regt mich schon jetzt auf. Jaja schon gut, ich bin eifersüchtig. Aber auch nur, weil er bei ihr ist und ich nicht. Ich weiß selber nicht so ganz genau, wo ich bin. Helsinki, in einer kleinen Wohnung mit meinem eigenem Zimmer. Ich habe noch so gut wie nichts mit meiner Mutter geredet. Ich hocke nur die ganze Zeit in dem Zimmer, dass mir zugewiesen wurde auf der roten Couch. Ich lese, ich singe, ich denke nach. Ich darf die Wohnung nicht verlassen. In der Wohnung selbst darf ich mich frei bewegen, aber die Wohnungstür ist immer abgeschlossen und meine Mutter den ganzen Tag über unterwegs. Also bin ich alleine. Ich habe angefangen Lieder zu komponieren. Die meisten sind für Mia. Manche sollen einfach nur etwas meine Situation und Gefühle aussagen. Ich habe eine Gitarre gefunden. Früher hat mir meine Mutter Gitarre spielen beigebracht. Ich kann es nicht besonders gut, aber es ist ein schöner Zeitvertreib. Ich singe eigentlich die ganze Zeit. Ich will, dass Mia mich hört und weiß, dass ich immer noch da bin. Ich habe Angst. Angst, dass ich sie nie wieder sehen werde. Ich schüttle den Kopf. Ich werde sie sehen. Bald. Sie will zu mir kommen. Oder ich breche hier irgendwie aus. Aus dem Fenster kann ich schlecht ausbrechen. Aus dem 12. Stockwerk zu springen ist glaube ich keine so gute Idee. Mittlerweile ist es schon dunkel. Hier wird es schon sehr früh dunkel. Es ist ein bisschen deprimierend. Aber ich liebe diese kalte frische Luft, die durch das offene Fenster strömt. Ich habe versucht Mias Gedanken für eine Weile zu überhören. Sie sitzt mit diesem Michael im Kaffee. Er scheint ganz nett zu sein und wird ihr gut tun. Ich will nicht alles wissen. Irgendetwas hält mich zurück, ihr zuzuhören. Es ist ihre Angelegenheit, ihre Privatsphäre. Ich höre, wie der Schlüssel in der Wohnungstür umgedreht wird. Sie kommt wieder. Heute mal etwas früher als sonst. Wir werden zusammen essen. Ich hasse es. Sie öffnet die Tür zu meinem Zimmer. "Hallo, Samu!", grüßt sie mich unsicher und lächelt sanft. Ich hasse es, wenn sie mich so nennt. Bei Kukka und meinem Vater ist es okay, aber ich bin immer noch sauer auf sie und werde es ihr auch nie verzeihen, dass sie mich von Mia getrennt hat und mich hier gefangen hält. Ich starre sie sie mit unbewegter verschlossener Miene an. Sie senkt ihren Blick und schließt leise die Tür wieder. Mia nennt mich Fairytale. Ich liebe es. Ich will nicht, dass sie mich mit meinem richtigen Namen anredet. Ich hasse meinen Namen. Samu. Eigentlich ja Samuel, aber das sagt keiner. Ich weiß noch nicht, wie ich das Mia erklären soll, wenn sie es erfährt. Naja mal sehen. Ich greife nach der Gitarre und fange an zu spielen. Ich versinke in der Musik. Ich fange an zu singen. Meine Augen habe ich geschlossen und höre nichts mehr außer die Töne. Als ich die letzten Akkorde gespielt habe lasse ich alles noch einmal in mir nachklingen. Ich spüre, wie Mias Herz höher schlägt. Nun öffne ich entspannt die Augen. Meine Mutter steht in der Tür mit verdächtig glitzernden Augen. "Ich habe dir schon immer gesagt, was für eine tolle Stimme du hast", flüstert sie überwältigt. Eine Träne läuft ihr über die Wange und sie wendet sich ab. Vorsichtig schließt sie die Tür hinter sich. Ich schaue immer noch auf die Stelle an der sie eben noch stand. Ich sollte ihr verzeihen. Nein. Das kann ich nicht so einfach. Sie hat mir zu sehr weh getan. Sie hat mir damals das Herz gebrochen, als sie nicht mehr da war und hat jetzt dafür gesorgt, dass es restlos zerbröseln. Sie muss mir Zeit geben.

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