Gefährliche Obsession (6)

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Kapitel 6

"I can't sing no song of hope, I got nothing to say. Life is feeling kind of strange, since you went away. I sing this song to you wherever you are, as my guitar lies bleeding in my arms." Wie eigentlich schon das ganze Wochenende lag ich auf dem Rücken und starrte an die Decke. Stefan hatte sich noch immer nicht bei mir gemeldet.

Kein Anruf, keine Sms, kein Sturmgeklingel an meiner Tür, nichts. *War es das jetzt? Macht er SO mit mir Schluss? Nein. Wenn, dann beende ich das!* Ich konnte nicht glauben, dass er so ein riesiges Arschloch war.

Ich war froh, dass Kelly gestern angerufen hatte, nachdem ich ihr nur eine kurze Sms zurück geschickt hatte. Jetzt war sie auf dem Weg hierher. *Ich bin so froh, dass sie wieder hier ist.* Leise liefen Tränen über meine sowieso noch feuchten Wangen.

Ich konnte gar nichts dagegen tun. Je mehr ich versuchte, sie zurück zu halten, umso schneller und dichter liefen sie. Also tat ich gar nichts. Auch gestern hatte ich nichts getan. Ich hatte geschlafen und gegen die Decke oder- um der Abwechslung willen- gegen die Wand gestarrt.

Zu mehr war ich nicht in der Lage. Wie ich am nächsten Tag zur Uni gehen sollte, war mir noch ein Rätsel. Akuter Herzschmerz würde bei den Profs als Entschuldigung sicher nicht gut ankommen.

Endlich klingelte es an der Tür und ich stand erschöpft auf, tappte durch den Flur zur Tür und drückte den Türöffner. Einen Spalt offen lassend, schlich ich zurück in mein Zimmer und legte mich in meine Ausgangsposition. Ich hörte sie nicht herein kommen.

Aber ich merkte, dass sie da war, als sie die Tür hinter sich schloss und das Fenster einen Spalt weit öffnete. Eine sanfte Brise strich über mein Gesicht. Ein Seufzen kam über meine Lippen, als sie sich zu mir aufs Bett legte. Wir schwiegen beide für etwa fünf Minuten, dann drehte ich mich zu ihr herum und starrte- statt der Wand oder der Decke- Kelly an.

Ohne lange zu zögern, kopierte sie meine Bewegung, strich mir über meine Wange, auf der unzählige salzige Bahnen entlang liefen und nahm mich in den Arm. Diese sanfte, liebevolle Berührung lies alle restlichen Schleusen aufgehen und hemmungslos schluchzte ich in ihre Schulter.

„Schh ganz ruhig. Es tut mir leid. Er weiß gar nicht, was er an dir hatte. Weine nicht, Amy. Er ist es nicht wert. Es wird wieder gut, Süße." Unermüdlich sprach sie auf mich ein und streichelte mir langsam über das Haar und den Rücken. Dabei wusste sie nicht einmal genau, was passiert war.

„Er... er hat mit ihr... Im Bad! Mit Giselle!! Er... Kelly, er hat... nicht einmal angerufen!" Am Telefon hatte ich nicht viel mehr als genau das heraus bekommen. Doch es reichte, um ihr Entrüstung in die Augen zu treiben. Ich sah, dass sie versuchte, ruhig zu bleiben.

„Möchtest du darüber reden?" Ihre blauen Augen strahlten voller Wärme und Sorge um mich. Nach einem Moment nickte ich und berichtete ihr unter Tränen, was passiert war. Anders als sonst, behielt ich nichts zurück. Ich musste alles einmal los werden, um es zu realisieren, mir darüber klar zu werden, was passiert war.

Nachdem ich fertig war, konnte ich sehen, wie es in Kelly arbeitete. „Das hat er gesagt?" „Ja." Ihre Stimme war fast du ein Flüstern, meine Antwort nicht mehr als ein Hauch. Ihr Kopf bewegte sich hin und her, als sie versuchte, ihre Fassung wieder zu erlangen. „Du wirst ihm doch nicht verzeihen? Auch wenn er sich entschuldigt?"

Einen Moment zu spät senkte ich meine Augen. „Amy, bitte! Überleg es dir gut." Eindringlich redete sie auf mich ein. „Er würde niemals damit aufhören. Ganz innen drin weißt du das auch selbst. Tu dir selbst etwas Gutes und mach Schluss."

Doch nachdem sie einmal durchgeatmet hatte, fügte sie hinzu: „Ich möchte dir nicht sagen, was du tun sollst, aber du musst dir überlegen, was du möchtest. Er spielt mit dir und das wird dich auf Dauer kaputt machen."

Ich kuschelte mich an Kelly und merkte, wie meine Tränen langsam versiegten. *Kann ich Schluss machen? Einen Schlussstrich ziehen?* Ich musste in Ruhe darüber nachdenken. „Es gibt noch andere Männer auf der Welt, weißt du?"

Sie versuchte, meine Stimmung aufzuheitern und ich schenkte ihr ein kleines, zittriges Lächeln. Nach einer Weile des Schweigens sah sie mich nochmal besorgt an. „Sag mal, wann hast du das letzte Mal etwas Richtiges in den Magen bekommen?" Mein Schulterzucken schien sie nicht zu beeindrucken und nach zwei Sekunden stand sie neben meinem Bett.

„Gut. Du springst jetzt unter die Dusche und ziehst dir etwas Vernünftiges an und ich werde dir so lange etwas machen, einverstanden?" Etwas in ihrem Blick verriet mir, dass sie mit einem ‚Nein' nicht zufrieden gewesen wäre, also sagte ich ‚Ja'.

Ich griff nach meiner bequemsten Hose und einem grünen Shirt mit einem Frosch drauf und tapste ins Bad. *Vielleicht hätte ich doch nicht zustimmen sollen. Ich hätte mich hier verkriechen können, in aller Ruhe nachdenken und eine Lösung für das Debakel finden sollen...* Aber jetzt, wo Kelly schon mal da war, konnte ich das Hilfsangebot schwer ablehnen.

Nach der warmen Dusche, die mir erstaunlich gut getan hatte, trocknete ich mich ab, kämmte ich mir kurz mein Haar und schlüpfte in die bequemen Sachen. Aus der Küche kam schon ein unglaublich leckerer Duft. *Spiegelei mit Tomaten! Wenn ich jetzt noch Appetit hätte, wäre es perfekt.*

Leise setzte ich mich an den Küchentisch und betrachtete die Croissants, die schon in unserem kleinen Brotkorb lagen. „Du hättest nicht extra was kaufen müssen, Kelly." „Doch! Das ist das Liebeskummer- Rettungs- Paket für alle Liebesleidenden und Hilfesuchenden. Das ist quasi Pflicht für jeden meiner Freunde, dem es einmal nicht so gut geht."

Mit einem Grinsen deutete sie auf eine weitere Schale, aus der mir ein Obstsalat fröhlich zu zwinkerte. „Hm... Danke, Kelly. Ich weiß das wirklich zu schätzen." Ich spürte, wie meine Wangen heiß wurden und wusste, dass sie rot glühten. Schnell sah ich auf die Tischplatte.

„Amy, sei nicht so! Warum läufst du jetzt rot an? Nur, weil ich dir eine kleine Aufmunterung vorbei gebracht habe?" Kelly setzte sich mir gegenüber und schob das Rührei über den Tisch. „Auch wenn wir uns jetzt eine ganze Weile nicht gesehen haben, dachte ich, dass du weißt, wie gern ich dich hab. Ich würde dich mit so einem Mist niemals allein lassen. Und es sollte dir nicht unangenehm sein, Hilfe von Freunden anzunehmen."

„Das ist es nicht... Ich mag es nur nicht, so... schwach gesehen zu werden." Ich hatte ihr heute schon viel erzählt, daher konnte ich das ohne Probleme eingestehen. Sie schüttelte kurz den Kopf. „Das ist keine Schwäche. Wenn du die richtigen Konsequenzen aus dem Ganzen ziehst, wieder auf die Beine kommst, dann ist es Stärke."

Nach dieser Bekanntgabe versuchte sie, einen leichteren Tonfall anzuschlagen. „Möchte ich wissen wie lange du im Bett gelegen hast?" Schweigend schüttelte ich den Kopf und schaute auf das Essen. *Ich habe keinen Appetit... Iss was! Wenigstens ein bisschen, so dass sie weiß, dass es gut ist.*

Langsam begann ich die Eier zu essen. Und sie waren tatsächlich gut. Erst jetzt merkte ich, wie hungrig ich eigentlich war. Dankbar lächelte ich meine wieder gewonnene Freundin an. „Die sind lecker. Danke, dass du da bist." Fast gleichzeitig griffen wir über den Tisch hinweg und nahmen uns bei der Hand, was uns ein leichtes Kichern entlockte.

Ich aß in Ruhe weiter und sofort musste ich an den nächsten Tag denken. „Wie soll ich morgen nur in die Uni, Kelly? Das steh ich nicht durch!" Sanft strich sie mir über die Hand. „Doch, das wirst du. Ich bin doch da und ich sorge dafür, dass er dir nicht zu nahe kommt. Versprochen! Soll ich heute Nacht hier bleiben?"

Auch wenn die Idee verlockend war, schüttelte ich den Kopf. „Danke, das ist lieb, aber ich muss über einiges nachdenken." Sie verstand sofort und nickte leicht. „Wir treffen uns einfach um zehn vor der Bib, okay?"

Nachdem wir noch eine Weile miteinander geredet und geschwiegen und auch gelacht und ich einige Tränen vergossen hatte, brachte ich sie zurück zur Tür und bedankte mich nochmal bei ihr, dass sie vorbei gekommen war. Für heute ging es mir tatsächlich etwas besser.

Erst kurz vor dem Einschlafen fiel mir auf, dass ich sie nicht nach Michael gefragt hatte.

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Kapitel 6... Ich hoffe, es gefällt euch. Im nächsten kommt eine andere Sicht dazu- wenn ihr genug habt, lasst es mich wissen!

Auf dem Bild: Randy, der Sohn von Tom (vom Cafe).

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Copyright © literaturegirl, Hamburg, 2010

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