drOWNing

By boohtopia

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„Wie sehr er dich hasst? Ich denke, du solltest dich eher davor fürchten, wie sehr er dich liebt!" Owen Rockw... More

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achtunddreißig.
neununddreißig.
awards.
charaktere.

eins.

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By boohtopia

„Babe? Können wir los?", erkundigt sich Owen, während er die Tür zum Badezimmer öffnet. Anders als erwartet, trifft er seine Freundin nicht vor dem überdimensional großen Spiegel an, wie sie sich mit Make-up-Artikeln, die er kaum zu benennen vermag, zu einem vollkommen anderen Aussehen verhilft. Er macht auf dem Absatz kehrt und begibt sich auf die Suche nach seiner besseren Hälfte. „Lindsey?", fragt er, ohne eine Antwort zu erhalten. Seine Armbanduhr liefert ihm Aufschluss darüber, dass sie sich bereits um zehn Minuten, zu dem Treffen mit Freunden, verspäten. Letztendlich findet er seine Freundin im Schlafzimmer vor. Vom Türrahmen aus, ist sein Blick, mit zusammen gezogenen Augenbrauen, auf ihr denkwürdiges Tun und ihre alles andere als ausgehtaugliche Erscheinung gerichtet.

Ungeschminkt, in Leggings und einem enganliegenden Top verbiegt sich Lindsey auf einer Yoga-Matte. Direkt vor dem großen Fenster, mit Blick auf den Strand. Ihre langen, braunen Haare trägt sie zu einem unordentlichen Dutt zusammengefasst.

„Wir sind bereits zu spät und du machst Sport?", kann er sich seinen Unmut nicht verkneifen. „In vollkommener Gelassenheit?", fügt er ebenso vorwurfsvoll wie ungläubig an.

„Oh, hey", entgegnet Lindsey gut gelaunt und tut so, als hätte sie Owen eben erst bemerkt. Obwohl ihr Körper in einer Yoga-Übung verknotet ist, gelingt es ihr, die Balance zu halten, während sie zu ihrem Freund hinübersieht. „Da muss ich wohl vollkommen die Zeit vergessen haben", säuselt sie.

Für einen Moment ist Owen versucht, auf Lindseys Spiel hereinzufallen. Es fällt ihm schwer, sein Augenmerk von diesem engen Outfit abzuwenden, welches er ihr nur allzu gerne vom Leib reißen würde. Doch er ermahnt sich, die Notbremse zu ziehen. In letzter Zeit lässt er sich ziemlich häufig von ihr auf der Nase herumtanzen. Zumindest ist es das, was ihm sein Kumpel Myles immer wieder vor Augen hält. Mit all diesen kleinen Tricks erschleicht sie sich Einfluss in seine Entscheidungen und das gefällt ihm nicht. Um dem ein Ende zu setzen, gibt er ein genervtes Ein- und Ausatmen zum Besten, bevor er dazu ansetzt, den Rückzug anzutreten.

„Bitte sei nicht sauer!", ruft Lindsey hinter ihm her. Sie entwirrt ihre Gliedmaßen und nimmt die Verfolgung auf. „Das habe ich doch nicht mit Absicht getan", betont sie derart übertrieben, dass es allein dadurch auffällig erscheint. Schnell holt sie den Vorsprung ihres Freundes auf und hält ihn an seinem Arm zurück.

Natürlich hätte Owen leichtes Spiel, sich aus ihrem Griff zu befreien und einfach weiterzugehen. Seine Schwäche findet sich an anderer Stelle. Sobald sie ihren reizvollen Körper einsetzt, ist er ihr hilflos ausgeliefert.

Sich ihrer Wirkung bewusst, schmiegt sie sich von hinten an seinen Rücken. Zärtlich entlässt sie ihn aus ihrem Griff, um mit ihrer freigewonnenen Hand seinen Arm empor streichen zu können. „Es tut mir leid", haucht sie in sein Ohr, während sie die Stärke seines Bizeps mit ihren manikürten Nägeln neckt.

Fernab jeglicher Willensstärke, die für ein paar Sekunden sein neuer, bester Freund gewesen ist, dreht er sich zu ihr um.

Diese Gelegenheit lässt sie nicht ungenutzt, um ihre Fingerspitzen über seine Brust gleiten zu lassen. Dabei sieht sie ihm tief in die Augen. In jene Augen, die der Grund sind, warum er ihr, vor einigen Monaten, in einer Bar aufgefallen ist. Der Verlauf seiner Regenbogenhaut, von Blau zu Grau, der bei Lichteinfall den Eindruck vermittelt, einen Schimmer von Grün mitunter zu mischen, ist Lindsey sofort aufgefallen. Umrandet von dichten, dunklen Wimpern und dem warmen Karamell-Teint seiner Haut, wirken seine Augen wie zwei Edelsteine aus einer anderen Welt. Lindsey liebt Edelsteine. Generell liebt sie alles, was kostspielig ist. Wenn sie ehrlich ist, muss sie zugeben, dass ihr Owens Augen erst dann aufgefallen sind, nachdem sie erfahren hat, wer er ist. Beziehungsweise, wessen Sohn er ist. Der Spross des millionenschweren Hotelbesitzers Gabriel Rockwell.

Als Lindsey den dicken Fang in dieser Bar zum Greifen nah vor sich gehabt hat, konnte sie diesen unmöglich davonschwimmen lassen. Sie hat alles darangesetzt, um auf sich aufmerksam zu machen, damit sie sich einen der wohlhabendsten Männer dieser Stadt angeln kann. Glücklich darüber, dass ihr dies gelungen ist, lässt sie ihren Blick stolz über die fette Beute schweifen. Beginnend bei seinen dunkelbraunen Haaren, die er an den Seiten kurz trägt und zu einem längeren Deckhaar übergehen. Lindsey mag die Lässigkeit, mit der er sich diese aus dem Gesicht kämmt. Zusammen mit dem Hauch seiner Bartstoppeln und den markanten Wangenknochen, verschafft er sich damit eine verwegene Note. Mit knapp einem Meter neunzig, überragt er sie um zwanzig Zentimeter. Die vielen Stunden, die er mit Sport verbringt, verhelfen dazu, dass sie sich an seiner Seite sicher und beschützt fühlt. Der Bonus, dass er neben seinem üppigen Geldbeutel zusätzlich Attraktivität vorzuweisen hat, verleitet Lindsey dazu, lieber in den Genuss seines Körpers kommen zu wollen, anstatt auszugehen. Um ihm dies zu signalisieren, wandern ihre Hände an seiner Brust hinab, bis zu dem Saum seines T-Shirts. Mit der Absicht, ihn von den Vorzügen des Zuhausebleibens zu überzeugen, schiebt sie den Stoff nach oben und liebkost die nackte Haut oberhalb seines Hosenbunds.

Gedanklich greift Owen bereits nach ihren Handgelenken und drängt sie mit seinem Körper gegen die rückliegende Wand, um ihr das zu geben, wonach sie bettelt. Doch immer wieder funken Myles' warnende Worte dazwischen. Anstatt sich den Avancen seiner Freundin hinzugeben, wie er es üblicherweise tun würde, weicht er einen Schritt zurück. „Wie lange wirst du in etwa brauchen, bis wir losgehen können?", zerstört er die erhitzte Stimmung. „Ich frage, damit ich Myles informieren kann, wann er mit uns rechnen kann."

Nicht bereit von ihrem Plan abzulassen, klimpert Lindsey mit ihren langen Wimpern. „Du hörst dich eingeschnappt an", sagt sie und zieht eine Schnute. Zusätzlich schmückt sie ihre Taktik mit einem Hundeblick und verringert den Abstand, den Owen eingefordert hat. Erneut finden ihre manikürten Fingernägel auf seinem definierten Oberkörper Einsatz. Gezielter als zuvor. Unschuldig schuldig streift sie immer wieder seine Brustwarzen und lässt ihm einen verheißungsvollen Blick zukommen.

Unter ihrem bewussten Angriff entweicht Owen ein wohliges Seufzen. Himmel! Seine Willensstärke ist so zuverlässig wie eine Pusteblume. „Ich habe einfach gehofft, es einmal pünktlich zu schaffen", entgegnet er, nicht ganz so überzeugend, wie er gerne klingen würde.

„Du solltest deinen atemberaubenden Mund nicht länger zu dieser unzufriedenen, geraden Linie verziehen, sondern deiner Freundin dieses Lächeln schenken, das sie so gerne mag", versteht es Lindsey, ihn um den Finger zu wickeln. Jenen Finger, den sie nun dazu hernimmt, um über den besagten Mund zu streichen. Sie zeichnet seinen Amorbogen nach, gleitet hinab zu seiner Unterlippe, die sie, mit der Spitze ihres Nagels, sanft öffnet. In der Hoffnung, die ersehnte Lust in ihm zu wecken, nutzt sie ihre Fingerkuppe, um etwas von seinem Speichel aufzunehmen und seine Lippen damit zu benetzen. Gleichzeitig leckt sie über ihre eigenen, die aufgrund von Hyaluron die perfekte Form aufweisen.

Owens miese Laune verpufft und er ertappt sich dabei, wie er seinen Mund noch ein Stück weiter öffnet, um Lindseys Finger mit seinen Zähnen triezen zu können.

„Wie wäre es, wenn du Myles einfach absagen würdest?", schlägt sie vor.

Mit der Erwähnung von Myles wird Owen an die vermeintlichen Spielchen von Lindsey erinnert. Ebenfalls an die jämmerliche Darbietung seines willenlosen Handelns. „Heute nicht! Du hast zehn Minuten, sonst fahre ich ohne dich!"

•••

„Sorry, für die Verspätung, aber wir -" Weiter kommt Owen nicht.

„Stopp!", bremst Myles seinen Kumpel aus. Mit einer abwehrenden Handgeste hält er Owen davon ab, mehr Details zu enthüllen, als er zu hören bereit ist. „Wir können es uns denken", schiebt er frustriert hinterher und lässt seine Aufmerksamkeit wieder dem Whiskey zukommen, der vor ihm auf der Theke steht. Hastig nimmt er einen Schluck, um die Bilder zu verdrängen, die sich mit Owens Erklärungsversuch aufgetan haben. Myles Vorstellung von gelungener Abendgestaltung liegt ganz sicher nicht darin, sich auszumalen wie das Pärchen, dessen Zusammensein er für ähnlich passend erachtet wie eine Essiggurke in seinem Whiskey, die Bettlaken zerwühlt. Zur Sicherheit, dass dieses unerwünschte Kopfkino im Keim ertränkt wird, setzt er einen weiteren, großzügigen Schluck hinterher. Somit steht sein Glas leer vor ihm und seine Kehle in Flammen. Doch er würde es nicht wagen, sich über diese brennende Begleiterscheinung zu beschweren. Alles ist besser, als sich seinen Kumpel und dessen aufgetakeltes Anhängsel beim Liebesakt vorzustellen. Schnell verwirft er das Wort Liebesakt, denn Myles ist sich sicher, dass diese Konstellation nichts mit Liebe zu tun hat. Zumindest nicht, was eine der beiden Seiten angeht.

Ida, die zu Myles' Rechten sitzt, erkennt ebenfalls den perfekten Zeitpunkt, um auf Alkohol zurückzugreifen. In nüchternem Zustand kann sie dieses kleingeistige Modepüppchen, das so viel Grips hat wie eine Wassermelone, unmöglich ertragen. „Shane! Machst du mir einen Rum mit Cola?", ruft sie, über die laute Musik hinweg, dem Barkeeper des Cai-Piranha zu. „Einen Doppelten!", setzt sie nach, um dem katastrophalen Frauengeschmack ihres besten Freundes Owen entgegenzuwirken.

Durch Nicken gibt der Barkeeper zu verstehen, dass er Kenntnis von der Bestellung genommen hat.

Natürlich steckt Lindsey nicht länger in ihren Yoga-Klamotten, sondern in einem enganliegenden Designerkleid, das jede Menge freie Haut offenbart. „Du hast mich nicht darüber informiert, dass die da auch hier sein wird", beschwert sie sich bei Owen und versucht noch nicht einmal ihre Abneigung, in Bezug auf Ida, zu verheimlichen. Um unmissverständlich klarzumachen, dass Owen zu ihr gehört, schmiegt sie sich eng an seine Seite. „Du hast gesagt, wir würden uns mit Myles treffen", fügt sie an, während ihr Augenmerk verstohlen in dessen Richtung abschweift.

Myles ist das komplette Gegenteil von Owen. Seine Haare sind mittelblond, leicht gewellt und schulterlang. Meist trägt er diese offen, hin und wieder zu einem lässigen Knoten zusammengebunden. Er punktet mit seinem frechen Charme, den er mit leuchtend nussbraunen Augen und einem verschmitzten Lächeln bewusst einsetzt. Die einzige Gemeinsamkeit mit Owen ist, dass er sich um Geld keine Sorgen machen muss. Sein Großvater hat ihm ein großzügiges Erbe hinterlassen, welches er gewinnbringend einzusetzen wusste, indem er seine eigene Firma gegründet hat. Als Händler für Motorboote verdient er, hier, in der Nähe des Strandes, gutes Geld.

Hätte Owen nicht auf sie reagiert, dann hätte Lindsey es durchaus in Erwägung gezogen, ihr Glück bei seinem überaus charismatischen Kumpel zu versuchen.

Wie so oft wundert sich Myles darüber, warum Owen keine Notiz von den Blickentgleisungen seiner Freundin nimmt. Wenn es ihm nicht derart unangenehm wäre, würde er seinen Kumpel nur allzu gern darauf hinweisen. „Noch einen!", bellt er stattdessen in Shanes Richtung und gestikuliert mit seinem leeren Glas.

Gegen die Regel, Ladys First, stellt Shane zuerst den Whiskey vor Myles ab, bevor er Ida den georderten Rum mit Cola serviert. Das hat den Grund, dass er ihr noch ein paar Worte zukommen lassen möchte. „Falls es sonst noch etwas gibt, womit ich dich aufmuntern kann, dann stehe ich zu jeder Zeit zu deiner Verfügung!" Bevor er sich wieder den unzähligen Bestellungen zuwendet, schenkt er Ida noch ein vielversprechendes Zwinkern. Liebend gern würde er wiederholen, was sich vor Kurzem zwischen ihnen abgespielt hat. Er kann Ida gut leiden. Mehr als das. Er ist verrückt nach ihr. Ihre natürliche Schönheit, die vollkommen im Kontrast zu ihrem aufständischen Look steht, hat ihn eiskalt erwischt und lässt ihn seither nicht mehr los.

Ida ist zierlich und hat ein liebreizendes Puppengesicht. Da sie deswegen oftmals falsch eingeschätzt wurde, hat sie inzwischen an ihrem Auftreten gefeilt. Ihre Haare sind zu einem wilden Bob geschnitten und pastellrosa gefärbt. Mit tiefschwarzem Eyeliner und Mascara sorgt sie dafür, dass ihre grünen Augen schillernder funkeln, als es ein Smaragd vermag. Ihre Jeans sind verratzt und ihre Tops meistens bauchfrei, sodass die vereinzelten Tattoos, die ihren Körper schmücken, für jedermann sichtbar sind. Gleichermaßen widersprüchlich, wie ihr Äußeres, verhält es sich mit ihrem Charakter. Sie beherrscht den liebenswerten Engel, ebenso wie den wortgewandten Teufel.

Die Ursprünge ihrer rebellischen Züge sind in ihrer Kindheit verankert. Idas Eltern sind, auf dem gemeinsamen Weg zur Arbeit, bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Damals ist sie fünf Jahre alt gewesen. Die Behörden haben die Waise zu ihrer Tante Josephine Draven geschickt. Bis zu diesem Zeitpunkt hat Ida noch nicht einmal gewusst, dass es diese Tante überhaupt gibt. Gegen ihren Willen ist sie zu der, über fünfhundert Kilometer entfernten, Unbekannten gezogen.

Josephines Gefühlslage hat sich nicht weitläufig zu der ihrer Nichte unterschieden. Sie ist aus Überzeugung alleinstehend und kinderlos gewesen. Der Gedanke, ein lautes Balg im Haus zu haben, das nichts als Ärger und Dreck macht, hat bei ihr nicht unbedingt für überschwängliche Euphorie gesorgt. Dennoch hat sich Josephine dazu verpflichtet gesehen, das Kind aufzunehmen. Aus irgendeinem Grund hat sie geglaubt, es ihrem Bruder schuldig zu sein. Auch wenn sie jahrelang keinen Kontakt zu ihm gepflegt hat.

Sowohl Nichte wie Tante sind auf die Herausforderung ihres Lebens gestoßen. Nach anfänglichem Trotz und streitbeladenen Kompromissen, hat Josephine erkannt, dass hinter Kindern sehr viel mehr steckt, als Ballast. Die Ruhe im Haus, während das Mädchen in der Schule war, ist ihr mit einem Mal nahezu gespenstisch erschienen. Und als Ida ihre Tante dabei erwischt hat, wie sie ihr einen Gutenachtkuss gegeben hat, als sie davon ausgegangen ist, dass sie schon schlafen würde, hat sie beschlossen, Josephine eine Chance zu geben. Obwohl beide versucht haben, sich mit Händen und Füßen dagegen zu wehren, haben sie sich den Zugang zum Herzen des jeweils anderen erkämpft. Es ist eine Bindung entstanden, die bis heute bedingungslos funktioniert. Noch immer wohnt die inzwischen Sechsundzwanzigjährige bei ihrer Tante und könnte es sich nicht anders vorstellen.

Mit gemischten Gefühlen verfolgt Ida jeden Handgriff des Barmanns. Shane ist toll. Wenn er könnte, dann würde er ihr die Sterne vom Himmel stehlen. Dennoch, oder gerade deswegen, wird Ida von ihrem schlechten Gewissen heimgesucht. Shane ist lediglich zweite Wahl. Ihr Herz hat sie an einen anderen vergeben, der gewissenhaft dafür sorgt, sich nicht neu verlieben zu können. Ihr Blick wandert schmerzlich zu Owen. Beinahe ihr ganzes Leben ist sie mit ihm befreundet. Die sozial gut gestellten Kontakte ihrer Tante und die Beziehungen zu den Rockwells haben Ida und Owen früh zusammengeführt und eine tiefgründige Freundschaft entstehen lassen. Für Ida gleichermaßen Fluch wie Segen, denn vermutlich ist es genau das, was verhindert, dass jemals mehr aus ihnen werden könnte.

Für die Gefühle, die Ida ihm entgegenbringt, ist Owen vollkommen blind. Er hat bereits mit ihr im Sandkasten gespielt, noch bevor ihm bewusst gewesen ist, dass es gravierende Unterschiede zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht gibt. Unendliche Male hat er sein Eis mit ihr geteilt und mit ihr im gleichen Bett geschlafen. Sie ist einer der wichtigsten Menschen in seinem Leben, ohne es auch nur eine Sekunde in Erwägung zu ziehen, sie als potenzielle Liebeskandidatin zu sehen.

•••

„Zale!", lässt Yarrow aufgeregt durch die Weiten des Ozeans schnellen. Er prescht mit seinem Körper durch die Fluten und lässt dabei immer wieder den Namen des Schwarmanführers verlauten. „Zale!" Yarrows eindrucksvolle Schwanzflosse, aus verschiedenen, schillernden Grüntönen, schlägt kraftvoll durch die gewaltigen Wassermassen. Um schnellstmöglich voranzukommen, liegen seine Arme stromlinienförmig an seinem muskulösen Oberkörper an. Seine blonden, mittellangen Haare passen sich, aufgrund der enormen Geschwindigkeit, seiner Kopfform an. Mit jedem Flossenschlag wühlt er das Ozeanwasser auf und lässt eine Spur aus weißen Sauerstoffblasen hinter sich zurück.

Zale hält sich in der Hauptgrotte jener Felsformation auf, die sich über wie unter dem Wasserspiegel in erstaunlicher Art und Weise erstreckt und dem Schwarm den perfekten Unterschlupf bietet. Die vielen naturgegebenen Winkel, Grotten und Höhlen erzeugen den erforderlichen Schutz, den der Schwarm braucht, um in Frieden vor der Menschheit leben zu können. Aufgrund der aufgewühlten Schwingungen, die immer näherkommen, spürt Zale, dass etwas innerhalb seines Schwarms nicht stimmt. Er schwimmt aus seiner Grotte und hält Ausschau, während er den Ruf seines Namens vernimmt. Seine enorme Größe und Kraft, seine autoritäre Ausstrahlung und sein Scharfsinn haben ihm dazu verholfen Anführer des Schwarms zu werden. Ihn umgibt etwas Düsteres, sodass es nicht oft vorkommt, dass sich jemand wagt, ihm zu widersprechen oder seine Entscheidungen in Frage zu stellen. Im Gegensatz zu den meisten Meermännern trägt Zale seine Haare lang bis zur Hüfte. Bis zu jener Stelle, an der sein menschenähnlicher Oberkörper endet und zu einer fischgleichen Schwanzflosse übergeht. Seine rabenschwarze Haarpracht, die vom Wasser getragen wird, lässt den Eindruck entstehen, eine finstere Krone zu tragen. Die Schuppen seiner Flosse sind aus tiefen Blautönen, die beinahe zu schwarz übergehen, vergleichbar mit einem bedrohlichen Gewitterhimmel. Die passenden Blitze scheinen in seinen wachen, ernsten Augen zu entstehen, die meist zu schmalen Schlitzen zusammengezogen sind. Sein Mund ist selten zu einem Lächeln geformt. Ebenso hart und kantig sind seine Gesichtskonturen. Alles zusammen verleiht ihm eine erhabene und ehrfürchtige Erscheinung. „Yarrow?", antwortet er besorgt auf die Rufe. Trotz seines Scharfsinns, oder genau deswegen, macht sich Zale nichts aus unnötigen Emotionen. Doch müsste er jemanden als Freund betiteln, dann würde die Wahl auf Yarrow fallen. In diesem Hauch einer Gefühlsregung findet sich der Grund, weswegen er diesen Meermann zu seiner rechten Hand ernannt hat. Diese spezielle Bindung verhilft dazu, dass er Yarrow, weit über den normalen Radius hinaus, wahrnehmen kann.

Nur wenig später erscheint Yarrow vor dem Anführer. Vollkommen außer Puste und zitternd am ganzen Körper. „Er ist weg", bringt er unter schwerer Atmung hervor.

Zales Gesichtsausdruck verzieht sich zu einem anklagenden Fragezeichen. „Wer ist weg?", donnert er.

„Der Mondstein", liefert Yarrow Aufschluss und ist auf das Schlimmste gefasst.

Obwohl Zales Ausstrahlung an Achtung und Respekt nicht zu übertrumpfen scheint, verdunkelt sich diese zu etwas, das an Ehrfurcht nicht zu übertreffen ist. „Chantara", speit er den Namen aus, den er hinter dem Vertrauensbruch vermutet. Seine Augenbrauen sind an der Nasenwurzel tief zusammengezogen, seine Augen funkeln bedrohlich und seine Kiefer sind hart aufeinandergepresst. Er sieht sich in den endlosen Wassermassen um. „Wenn ich dich in die Finger bekomme, werde ich dich höchstpersönlich zu Leviathan befördern und dafür sorgen, dass er keine Gnade über dich walten lässt. Ich werde all meine Kräfte einsetzen, dass deine schlimmsten Albträume Wirklichkeit werden", grollt er seine Verwünschungen, bezüglich Chantara, bis in die tiefsten Abgründe des Ozeans.

•••

„Guten Tag, ich kontaktiere Sie, bezüglich Ihrer speziellen Dienste, die Sie in Ihrem Hotel anbieten", erklärt der Anrufer, der sich vorerst nicht zu erkennen geben möchte und von einem Wegwerftelefon aus anruft, damit sein Anruf nicht zurückverfolgt werden kann. Es hat ihn einige Tage gekostet, den Mut aufzubringen, diesen Schritt zu wagen.

Am anderen Ende ist Gabriel Rockwell ganz Ohr, dennoch lässt er Vorsicht walten. Auch er hat für Telefonate dieser Art eine gesonderte Nummer, die er über einen ausländischen Proxy-Server laufen lässt. „Ich danke Ihnen sehr für Ihr Interesse", gibt er überaus freundlich zurück. „Was die speziellen Dienste angeht, sind Sie mit Sicherheit darüber informiert, dass dazu ein Passwort notwendig ist."

„Natürlich", bringt der Anrufer in sachlichem Tonfall entgegen. „Schwarze Lilie", haucht er aufgeregt in sein Telefon.

Gabriel lächelt zufrieden. Er bietet seine speziellen Dienste nicht des Geldes wegen an. Davon hat er bereits genug. Hierbei geht es um etwas vollkommen anderes. Macht, Anerkennung, Genugtuung. „Wie ich sehe steht einer geschäftlichen Verbindung nichts im Wege."

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