boy in the stars || h.s. ✓

By dezemberwind

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Er war der Sternenjunge, der bis in den Himmel stieg und dann herunterfiel." More

prelude
prolog
1 | sirius
2 | canopus
3 | arcuturus
4 | wega
5 | capella
6 | rigel
7 | prokyon
8 | archernar
9 | beteigeuze
10 | hadar
11 | altair
12 | acrux
13 | aldebaran
14 | spica
15 | antares
16 | pollux
17 | formalhaut
19 | deneb
20 | regulus
21 | adhara
22 | Castor
23 | gacrux
24 | shaula
25 | bellatrix
26 | elnath
27 | miaplacidus
28 | alnilam
29 | alioth
30 | mirfak
epilog
danksagung

18 | becrux

262 42 115
By dezemberwind

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| 18 |

b e c r u x

oktober 2027

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„Hazza? Was ist, wenn ich nie jemanden finde, der mich überhaupt liebt?"
„Unmöglich, Lottie. Falls sich niemand anderes opfert, bleibe immer noch ich."

Charlotte war überrascht, dass sie überhaupt noch in den Rock passte, den sie vor Jahren einmal von Harry geschenkt bekommen hatte. Gemeinsam mit der weißen Bluse, die sie bei so vielen ihrer Dates getragen hatte, einfach weil sie wusste, wie sehr ihr Sternenjunge sie daran liebte.

Sich nun wieder in diesem Outfit zu sehen, das so viele Erinnerungen mit sich trug, ließ sie heftig nach Atem ringen. Mit einem Schluchzer riss sie sich die Kleidung wieder vom Leib, mit zittrigen Fingern, die die Knöpfe gar nicht schnell genug öffnen konnten und tränenerfüllten Augen, die sich weigerten, sich überhaupt noch einmal ansehen zu wollen. Voller Schwung warf sie sowohl Rock als auch Bluse nach ganz hinten in den Kleiderschrank, so tief vergraben und nicht in der Versuchung, sie je wieder hervorzuzaubern.

Alles an diesen Klamotten schrie den Namen ihres Sternenjungens und das konnte sie nicht ertragen. Schon gar nicht heute, an diesem Abend, an dem sie ihn aufs Äußerste verraten würde. Auch wenn das letztendlich sein eigener Wunsch war, kam sie nur schwer mit dem Gedanken zurecht. Mit einem anderen Mann auszugehen, fühlte sich an, als würde sie Harry hintergehen und nie im Leben hätte sie das freiwillig getan.

Aber Charlotte liebte ihren Sternenjungen. Sie liebte ihn genug, um seine Bitte zu respektieren und genug, um sich schließlich doch in ein Kleid zu zwängen, ein wenig zu weit, dass sie bisher bloß einmal auf einem Geburtstag vor vielen Jahren getragen hatte. Harrys Finger hatten nicht über ihre Seiten gestrichen, während sie es trug, es war ein reiner Mädchenabend gewesen, und alleine das machte es ertragbar, das Kleidungsstück überzuziehen.

Sie strich mit langsamen Fingern über den schwarzen Stoff, der ihre Kurven betonte, die sie an manchen Tagen schon längst vergessen hatte. Es war nicht mehr wichtig, nicht wirklich. Doch heute machte sie sich zum ersten Mal wieder Gedanken um ihr Aussehen und sie kam sich vor wie ein Teenager, während sie sich kritisch im Spiegel betrachtete.

Der Stoff war ein wenig nach oben gerutscht und sie zog ihn wieder zu Recht, bis sie kombiniert mit ihrer Lieblingshandtasche wirklich ausgehfertig aussah. Oder zumindest so sehr dahin kam, wie es möglich war.

Unsicheren Schrittes lief Charlotte hinunter ins Wohnzimmer, nackte Füße auf kaltem Fußboden, der sich so vertraut anfühlte wie kaum etwas anderes. Einen Augenblick blieb sie in der Tür stehen, ihr Gewicht auf ihr rechtes Bein verlagert, den Kopf ein wenig schief, während sie auf das Schauspiel sah, das sich ihr bot.

Noah Styles wedelte mit Begeisterung seinen Controller durch die Gegend, während die Virtual Reality Brille ihm fast von der Nase rutschte. Das war ein Anblick, an den Charlotte Styles durchaus gewohnt war, in den wenigen Stunden der Woche, in denen er tatsächlich mit seiner Konsole spielen konnte.

Louis jedoch war ebenso sehr engagiert in dem Spiel, dass sie sich nur schwer ein Lachen verkneifen konnte. Voller Inbrunst ließ der Sänger seinen Controller durch die Luft fahren und fluchte genervt, als er scheiterte. „Was für ein Schwachsinn ist das eigentlich? Du hast den Fernseher bestochen, Kumpel, gib es schon zu!"

„Habe ich nicht, Onkel Lou! Du bist einfach zu schlecht!" Lachend hüpfte Noah auf dem Sofa auf und ab, etwas, was ihm eigentlich verboten war, was er auch nur allzu gut wusste. Als er sich die Brille abnahm und seine Mutter im Türrahmen stehen sah, setzte er sich sofort schuldbewusst hin.

Mit Noahs Hundeblick konnte ihm man nur schwer etwas abschlagen, aber weil Harry diesen Blick ebenfalls bis aufs Äußerste perfektioniert hatte, hatte Charlotte jahrelange Übung darin. Sie sah ihren Sohn streng an, bis dieser schließlich die Füße verschränkte und sie entschuldigend ansah.

„Tut mir leid, Mummy."

Die Worte veranlassten Louis dazu, sich ebenfalls die Virtual Reality Brille von der Nase zu schieben und zu Charlotte herüberzusehen. Er stieß gehörig Luft aus und wackelte dann mit den Augenbrauen, während er sie musterte.

„Kann ich das anziehen?" Unsicher biss das Mädchen mit den Sternenaugen sich auf die Unterlippe, während sie ihre Finger nur schwer davon abhalten konnte, den Stoff nach unten zu ziehen. Das Kleid war wirklich verdammt kurz, wahrscheinlich sogar viel zu kurz für ihr Alter. „Zu viel, oder? Und viel zu kurz, oder? Und wahrscheinlich hätte ich doch eine Hose anziehen sollen?"

„Kann dir das nicht egal sein?", entgegnete Louis grinsend. „Du willst dieses Date doch nicht einmal wirklich."

„Aber ich versuche es Hazza zuliebe, okay?" Charlottes Finger verhakten sich in ihrer Tasche, auf der Suche nach ein wenig Halt, den sie doch nie wieder bekommen würde, seitdem Harry zum Sternenjungen geworden war. Von einem Augenblick auf den anderen hatte sich alles geändert, die Welt hatte sich neugeordnet und sie war auf sich alleine gestellt gewesen. „Also bin ich zu alt für dieses Kleid?"

Mit einem Lächeln schüttelte Louis den Kopf. „Nein, du siehst verdammt gut aus. Wäre ich nicht schon verheiratet und du nicht die Frau meines besten Freundes, dann hätte ich dich jetzt glatt dazu aufgefordert, mit mir auszugehen."

Lachend sah Charlotte zu ihm herüber, dankbar dafür, dass er ihr zumindest ein wenig die Sorgen nahm. „Wer weiß, vielleicht hätte ich unter anderen Umständen sogar ja gesagt. Aber das mit uns hätte ohnehin nicht funktioniert.

Louis nickte grinsend. „Du hast Recht. Das mit uns wäre ein Desaster geworden. Aber du siehst wirklich fantastisch aus."

„Wie Schneewitchen", kommentierte Noah mit heller Stimme und zog prüfend Kreise um Charlotte, um das Kleid auch von allen Seiten sehen zu können.

Lächelnd sah das Mädchen mit den Sternenaugen zu dem Kleinen herunter. „Ist das gut, Großer?"

Noah nickte strahlend, woraufhin Charlotte ihm sanft durch die Haare strich. „Kriegt Mummy noch einen Kuss?"

Der Lockenkopf streckte seine kleinen Arme in die Luft und sie beugte sich zu ihm herunter, bis sie auf Augenhöhe waren.

„Sie brav, ja? Ärgere Lou nicht zu sehr", meinte sie lächelnd, nachdem Noah ihr einen Glückskuss gegeben hatte. Und noch einen weiteren, damit das Glück auch wirklich funktionierte.

„Oh doch", zwinkerte Harrys bester Freund. „Bitte leb mal ein bisschen, Kumpel."

Augenrollend stupste Charlotte den Älteren an und sah dann wieder zu Noah herunter. „Hör nicht auf Lou, Großer. Er ist irgendwann in seiner Entwicklung stehengeblieben."

Lachend zog der Sänger sie in eine Umarmung und drückte sie einmal fest an sich, bevor er sie wieder losließ. „Viel Spaß, Lottie."

Sie winkte den beiden noch einmal zu und ging dann langsamen Schrittes in den Hausflur herüber, wo sie zunächst in Highheels aus vergangenen Tagen schlüpfte und sich dann doch für die schwarzen Ankleboots entschied. Die hochhackigen Schuhe gehörten einem anderen Leben an, einem, das sie schon lange hinter sich gelassen hatte und sie hatte nicht vor, sich heute zu verstellen.

Charlotte atmete noch einmal tief durch, dann öffnete sie die Haustür und wartete, bis sie sich mit einem Knall wieder hinter ihr schloss, eine so klare Linie zwischen davor und danach, dass es sie bis ins Herz schmerzte. Sie wartete einen Augenblick, einen weiteren, während sich alles in ihr nach Harry sehnte, erst dann schaffte sie es, ein paar unsichere Schritte in Richtung des schwarzen Mercedes zu machen, das vor ihrer Einfahrt stand.

Der Wagen wirkte luxuriös, aber unauffällig und das erleichterte Charlotte, denn sie hatte es schon immer gehasst, wenn Leute mit ihren Autos prahlen mussten. Niall hatte sich vor Jahren einmal einen orangenen Lamborghini gekauft und als sie ihn darin gesehen hatte, hatte sie nur den Kopf schütteln können. Seitdem er verheiratet war, war er glücklicherweise wieder zur Vernunft gekommen, vielleicht auch ein wenig durch den Einfluss seiner Ehefrau, die Charlotte wirklich gerne mochte. Da sie in Irland lebten, sahen sie sich nicht oft, aber Niall schickte regelmäßig Geschenke für Noah und telefonierte liebend gerne mit dem Kleinen.

Unsicher ließ das Mädchen mit den Sternenaugen ihre Fingerknöchel gegen das Glas des Wagens klopfen, woraufhin sich der Insasse in ihre Richtung drehte und das Fenster herunterkurbelte.

„Du musst Charlotte sein?", fragte er mit einem Lächeln auf den Lippen.

Sie nickte. „Ja, die bin ich, aber Lottie ist mir lieber, wenn du nichts dagegen hast."

„Lottie", wiederholte er lächelnd und streckte ihr dann die Hand entgegen. „Ich bin Adam. Freut mich dich kennenzulernen."

Etwas unbeholfen schüttelten sie sich die Hände, die Begrüßung noch erschwert durch das Verrenken, dass er zustande bringen musste, in dem er seinen Arm aus dem Fenster herausstreckte. Doch damit schien er kein Problem zu haben, Adam lachte nur, als sich ihre Hände das erste Mal verfehlt hatten und sein Lachen war ansteckend, sodass Charlotte ebenfalls miteinstimmte.

„Steig doch ein, bevor dich Louis wieder ins Haus zerrt", schlug Adam dann vor.

Das Mädchen mit den Sternenaugen hatte einen verwirrten Ausdruck, bis ihr heutiges Date schließlich in Richtung des Hauses nickte. Louis Tomlinson stand völlig unbekümmert in der Haustür und winkte ihnen frech zu, bevor er ein paar eindeutige Handbewegungen machte, die Charlotte die Röte ins Gesicht zauberten.

„Manchmal hasse ich ihn wirklich", meinte sie seufzend, als sie sich auf den Beifahrersitz des Mercedes fallen ließ und dann die Autotür vorsichtig hinter sich zuzog. Früher einmal hatte sie sie immer achtlos zugeknallt, aber das Leben hatte sie gelernt, dass man nie vorsichtig genug sein konnte. Sonst folgte eine stille Explosion und nahm alles, was wichtig war.

„Louis kann wirklich speziell sein", lachte Adam. „Sollen wir losfahren?"

Das Mädchen mit den Sternenaugen holte einmal tief Luft, um sich auf das kommende Date einzustellen und nickte dann. „Gerne."

Während der Motor des Autos röhrend zum Leben erweckt wurde, musterte Charlotte Adom von der Seite und hoffte, dass sie sich damit unauffällig genug anstellte. Mit seinen dunkelblonden, kurzen Haaren und den warmen Augen erinnerte er sie ein wenig an Liam, den sie in den letzten Jahren  ebenfalls viel zu selten gesehen hatte. Sie hatte sich in ihrem Haus verkrochen und nur Louis hatte sie wirklich hinaus ins Leben ziehen können.

Ihr heutiges Date hatte eine sportliche Figur, was das weiße Hemd nur noch betonte und sie konnte die einzelnen Schultermuskeln durch den Hemdkragen erahnen, der ein wenig verdreht war. Der Stoff wirkte zu zerknittert, als das er das Hemd vorher extra noch einmal gebügelt haben konnte und das machte Adam in ihren Augen gleich viel sympathischer.

Kurz fragte Charlotte sich, ob Eleanor extra einen anderen Typ Mann als Harry ausgewählt hatte oder es schlichtweg Zufall war, doch eigentlich war das auch egal, solange es sich so abspielte. Ihr Herz schmerze ohnehin schon, da hätte sie es nicht ertragen, mit jemanden auszugehen, der auch nur im entferntesten Ähnlichkeit mit Harry hatte.

Außerdem hatte sie einmal auf blonde Typen gestanden, bevor ihr Sternenjunge sich in ihrem Herzen einnistete und damit all ihre Aufmerksamkeit bekam. Hatte sie vorher noch braune Augen geliebt, hatte Charlotte seit diesem Tag an nur noch an seine grünen denken können. Er hatte sie von Grund auf verzaubert und sie hatte es geliebt.

„Ist es in Ordnung, wenn ich das Radio andrehe?", fragte Adam schließlich, als sie die kleine Ortschaft verließen.

„Klar." Erleichtert nickte Charlotte, denn sie hasste nichts mehr als Stille. Heute erinnerte diese sie nicht nämlich bloß schmerzlich an Harrys Abwesenheit, sondern auch daran, dass sie überhaupt keine Ahnung hatte, was sie in den folgenden Stunden erwartete. Leider waren ihre Datingerfahrungen bisher nahezu alle ein komplettes Desaster gewesen und die fünfzehn Jahre ohne Kennenlerntreffen ließen sie auch nicht gerade sicherer werden.

„Eleanor sagte, dass du keine besonderen Wünsche hast, was wir unternehmen?" Fragend sah Adam kurz zu ihr herüber, musterte sie mit seinen braunen Augen, bevor er den Blick wieder auf die Straße richtete, die langsam breiter wurde, je weiter sie sich von dem Dorf entfernten, dass zu Charlottes neuer Heimat geworden war.

„Ich wusste bis vor einer Stunde nicht einmal etwas von unserem Date", gab das Mädchen mit den Sternenaugen zu und biss sich dann sogleich auf die Zunge, weil sie befürchtete, dass sie das besser erst gar nicht erwähnt hatte.

Doch Adam grinste bloß. „Umso besser, dann habe ich den Überraschungseffekt auf meiner Seite."

Seine Worte brachten Charlotte zum Lachen und sie war wahrscheinlich am meisten davon überrascht, dass es wirklich von Herzen kam.

„El hat Recht. Ich bin wirklich offen für alles", ließ sie ihn dann wissen.

„Ich habe gedacht, dass wir etwas Essen gehen könnten?", schlug Adam vor. „Es hat ein neues Restaurant im Westen Londons aufgemacht, zu dem ich schon seit Wochen hin will."

Zugegebenermaßen, ein Restaurantbesuch zählte bisher nicht zu den ersten Dates, die Charlotte Styles in ihrem Leben gehabt hatte. Sie waren einfach viel zu teuer gewesen zur damaligen Zeit, als sie als Jugendliche jeden Cent zusammensuchen musste. Viel prägnanter waren dort kurze Besuche im Schwimmbad, eine Fahrradtour oder auch hemmungsloses Rumknutschen im Bett, während die Eltern ahnungslos eine Etage weiter unten ihren Tee tranken. Aber ihre letzten Dates waren auch bereits Jahrzehnte her, damals, als sie noch zur Schule gingen und sie nicht einmal gemerkt hatte, dass die Liebe, die sie für Harry empfand, doch ein wenig mehr war, als man normalerweise für seinen besten Freund übrig hatte.

Ihr letztes erstes Date war ihr Sternenjunge gewesen, der ihr einen Sternenhimmel in seinem Zimmer bastelte und ihr dann etwas vorsang, bevor sie sich einen Film anschauten. Wobei sie ehrlich gesagt vom Film nicht allzu viel mitbekamen, waren sie doch viel zu gefesselt von den Lippen des anderen.

Alleine bei dem Gedanken daran weinte ihr Herz bittersüße Tränen.

„Kommst du aus London, Adam?", fragte Charlotte höflichkeitshalber und weil sie die Stille noch mehr fürchtete als sonst irgendetwas. Das Schweigen erinnerte sie immer daran, dass es eigentlich mit Harrys Worten gefüllt werden sollte.

„Nein, aber ich wohne bereits seit einigen Jahren dort und Little Venice hat es mir wirklich angetan", erzählte er bereitwillig. „Warst du dort schon einmal? Dort fahren wir nämlich hin."

„Ja", meinte Charlotte und biss sich dann kurz auf die Unterlippe, bevor sie weiterredete, ihre Finge verkrampft und in ihre Tasche gekrallt. „Ich habe auch einige Zeit lang in London gewohnt."

Damals, als Harry noch lebte und über die Bühnen flog und alles in Ordnung war.

Damals, als Harry der hellste Stern am Himmel war und das nur auf übertragende Weise.

Damals, als das Licht noch brennte und sie geschützt war in ihrer rosaroten Welt, die noch nicht durch den stillen Knall zum Einstürzen gebracht worden war.

„Alleine oder mit Mitbewohnern?", erkundigte sich Adam.

Charlotte stockte und räusperte sich, während sie zwanghaft nach einem Wort suchte, dass Harry am besten beschreiben konnte. Kindheitsgefährte, Freund, Exmann, toter Ehemann – nichts davon traf es wirklich.

„Mit meinem besten Freund", murmelte sie schließlich, denn das hatte zu jeder Zeit ihres Lebens gestimmt, seit dem Tag, an dem sie Harry das erste Mal begegnet war.

„Seid ihr noch befreundet oder habt ihr euch zerstritten und du bist deswegen aus London weggezogen?", fragte Adam ehrlich interessiert.

„Nein, wir –" Charlotte schluckte. „Das ist ein wenig kompliziert."

Daraufhin erzählte er von seinem besten Freund, als würde er spüren, dass sie Ablenkung brauchte und das Mädchen mit den Sternenaugen war ihm wirklich dankbar dafür. Daraufhin folgte ein Gespräch über die Hauptstadt Englands und ihre Lieblingsunternehmungen dort, wo Charlotte sich dabei erwischte, wirklich Spaß zu haben. Adam war ein angenehmer Begleiter, drängte sie nicht und versprühte sanften Witz, der die Fahrzeit im Flug vergehen ließ.

Als sie schließlich vor einem kleinen Restaurant im Little Venice hielten, direkt in der Nähe des berühmten Kanals, der vor Boten wie immer wimmelte, freute sich das Mädchen mit den Sternenaugen beinahe auf das Essen. Einzig der Gedanke an Harry ließ ihr Herz wieder nach unten sinken, doch sie versuchte, das zu verdrängen und lachte besonders bemüht, als Adam eine Geschichte zum Besten gab.

„Woher kennst du Eleanor?", fragte Charlotte schließlich, als sie längst bestellt und beide ein Glas Wein vor sich stehen hatten. Sie hatte aussuchen dürfen und war leicht überfordert, dennoch dankbar für das Angebot, denn sie hasste nichts mehr, wenn Männern einfach der Ansicht waren, dass ihre Begleitungen direkt ihren Geschmack übernehmen mussten.

„Eleanor und ich haben vor Jahren mal gemeinsam in einer Agentur gearbeitet", erzählte  Adam und ließ sein Glas zwischen den Fingern kreisen, eine Angewohnheit, die ihr Sternenjunge ebenfalls einmal gehabt hatte und die sich nun wie tausend Nadelstiche in ihr Herz bohrte. „Ich war für den Einkauf verantwortlich und sie unser damaliges Model. Wir haben seitdem immer mal wieder kleine Jobs zusammen gemacht und sind in Kontakt geblieben. Wie könnte ich auch nicht, denn Eleanor ist wirklich toll."

„Das ist sie wirklich", lächelte Charlotte.

Er nippte einen kleinen Schluck Wein. „Und ihr? Woher kennt ihr euch?"

„Eleanor ist die Frau des besten Freundes meines besten Freundes."

Lachend sah Adam sie an. „Das hört sich kompliziert an."

„Ist aber eigentlich ganz einfach", versicherte sie ihm grinsend und steckte sich dann eines der Brotscheiben in den Mund, an denen sie nie vorbeigehen konnte, auch wenn sie verdammt gut wusste, dass sie schon keinen Hunger mehr haben würde, wenn das Hauptgericht aufgetischt wurde. Aber das Leben war viel zu schnell zu Ende und man musste alles so schnell wie möglich genießen, bevor man es dann verpasste.

„Dien bester Freund scheint übrigens beeindruckend zu sein, wenn du so viel von ihm erzählst", meinte Adam grinsend.

Mit einem traurigen Lächeln auf den Lippen nickte Charlotte, während alles in ihr Harrys Namen schrie. „Das ist er wirklich. Der beste überhaupt."

„Hat er was dagegen, dass wir miteinander ausgehen?"

„Nein, das würde er nie haben", entgegnete sie und ließ die Wahrheit ein wenig zwischen ihren Fingern zu etwas Neuem werden. „Er hat mich sogar zu diesem Date überredet."

Adam zwinkerte ich zu. „Ich hoffe, du bereust es noch nicht?"

„Nein, bisher noch nicht", meinte das Mädchen mit den Sternenaugen, auch wenn das nicht ganz der Wahrheit entsprach. Aber es war nicht Adams Schuld, dass ihr Herz nicht zur Ruhe kam und tausend Tränen weinte. Außerdem war er ein wirklich angenehmer Begleiter.

„Eleanor hat mich gewarnt, dass du nicht einfach sein würdest", erwiderte Adam mit einem ehrlichen Lächeln, um ihr zu zeigen, dass er das keinesfalls böse meinte. „Aber ich würde sagen, dass das total gelogen ist. Denn ich habe bisher wirklich Spaß."

Vorsichtig musterte Charlotte ihn. „Was genau hat El denn noch von mir erzählt?"

„Dass du eine super Frau wärst, die jeder Mann haben sollte."

„Und das alleine hat dir gereicht, um dich auf ein Blinddate einzulassen?", erkundigte sie sich nicht gänzlich überzeugt.

Lachend zwinkerte er ihr zu. „Überrascht dich das?"

„Ja, irgendwie schon", gab sie mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen zu.

„Ich bin immer für Überraschungen zu haben und in meinem Liebesleben läuft es momentan nicht wirklich, also dachte ich mir, dass ich dringend mal wieder ausgehen sollte", erzählte Adem. „Leider habe ich viel Arbeit, zu wenig Zeit."

Charlotte biss sich auf die Unterlippe. „Bei mir läuft es in letzter Zeit auch nicht so."

Das war die Untertreibung des Jahres, aber sie wollte nicht, dass er schreiend wegrannte, wenn er merkte, was für ein hoffnungsloses Desaster sie wirklich war. Ihr Leben war ein Scherbenhaufen, der einzige Lichtblick Noah Styles.

„Auch zu viel Arbeit?", fragte Adam mit sanfter Stimme.

Sie zuckte bloß mit den Achseln und schwieg dann. Klammerte sich unsicher an das Weinglas, auf der vergeblichen Suche nach Halt. Zugegebenermaßen, dieses Date lief besser als die meisten in ihrem Leben und Adam war ein wirklich netter Kerl, aber das Gefühl, hier völlig fehl am Platz zu sein, hatte sich dennoch tief in ihrem Herzen eingenistet.

Es fühlte sich falsch an hier zu sitzen und doch immer noch an ihren Sternenjungen zu denken.

Zu ihrem Glück war das der Augenblick in dem das Essen gebracht wurde und Charlotte stürzte sich nahezu euphorisch auf ihre Pasta, um nicht reden zu müssen. Während sie aßen, gewann sie langsam ihre Fassung wieder und zwang ein bemühtes Lächeln auf ihre Lippen, als sie den Nachtisch ablehnte, weil sie Adam nicht das Gefühl geben wollte, dass er kein netter Mann war. Denn das war er, er war absolut wundervoll und in jedem anderen Leben hätte sie sich niemand anderen gewünscht.

Doch in diesem Leben gab es Harry Styles und damit war jede andere Chance auf Glück nicht möglich. Glück war immer nur ihr Sternenjunge gewesen und würde es auch bis in alle Ewigkeit sein. Ihr größtes Glück und ihr hoffnungsloser Untergang.

„Was machst du eigentlich so beruflich, Charlotte?", fragte Adam, während er sein Vanilleeis löffelte und sie ihn möglichst unauffällig dabei beobachtete, weil sie nie verstanden hatte, wie man diese Sorte mögen konnte, wenn es doch so viel auffälligere gab, die nur darauf warteten, gegessen zu werden.

„Lottie", erinnerte sie ihn.

„Lottie", wiederholte er lächelnd.

Sie nippte an ihrem Weinglas, in der Hoffnung, dass der Alkohol sie vielleicht Harrys Augen vergessen lassen würde. Doch sie waren zu grün, zu allgegenwärtig und würden doch nie wirklich aus ihren Gedanken verschwinden können. „Ich bin Fotografin."

„Das ist cool", entgegnete Adam mit ehrlichem Interesse. „Was genau fotografierst du denn?"

„Ich habe hauptsächlich Konzertfotografie gemacht, aber mittlerweile auch viele Potraits."

Er ließ sein Weinglas erneut zwischen den Fingern wandern und sah sie beeindruckt an. „Ist es nicht total schwer, in Konzertfotografie reinzukommen?"

„Ist es", bestätigte das Mädchen mit den Sternenaugen und zuckte dann mit den Achseln. „Ich hatte einfach Glück. Mein erster Freund ist Musiker gewesen und da hat sich dann alles einfach so entwickelt."

Es tat ihr im Herzen weh, Harry als ihren ersten Freund hinabzustufen, war er doch eigentlich so viel mehr und gleichzeitig auch der einzige Mann, der je für sie gezählt hatte. Aber noch mehr würde es wehtun, seine ganze Geschichte zu erzählen. Dazu war sie im Augenblick nicht bereit, also verschwieg sie es.

„Hast du so auch Louis kennengelernt?", erkundigte sich Adam.

Sie nickte. „Harry Styles war derjenige, den ich kannte. Er war mit Louis in One Direction."

Den ihr Herz in- und auswendig verstand, selbst nach all den Jahren immer noch.

„Tragisch, was mit ihm passiert ist", murmelte Adam. „Krebs ist immer schlimm, aber ihn so fallen zu sehen. Einfach tragisch."

„Ja, das ist es", flüsterte Charlotte und konnte nur mit Mühe die Tränen zurückdrängen. Zittrig holte sie Luft. „Vielleicht sollten wir jetzt lieber gehen."

Adam winkte die Kellnerin heran und bestellt die Rechnung. Er gab ordentliches Trinkgeld und verabschiedete sich dann mit einem Lächeln bei ihrer Bedienung, bevor er dem Mädchen mit den Sternenaugen in ihre Jacke half. Stumm ließ sie es geschehen und folgte ihm dann aus dem Restaurant, während sie immer noch die Tränen zurückdrängen musste. Es war nicht fair, der Abend war so schön gewesen und alleine dieser eine Satz hatte sie wieder in die Vergangenheit geworden. Noch schmerzvoller als sonst.

Es gab immer Momente, in denen sie fasst vergaß, dass die ganze Welt Harrys tiefen Fall verfolgte. Manche neugierig, einige höhnisch, andere wie Adam mit tiefem Mitgefühl. Die letzten waren ihr am Liebsten, aber dennoch brach es ihr jedes Mal das Herz, wenn der Fall ihres Sternenjungens zur Sprache kam.

„Wir könnten auch noch einen Cocktail trinken gehen, wenn du willst? Ich fahre dich selbstverständlich zurück und könnte einen alkoholfreien trinken", schlug Adam vor, als sie schließlich vor seinem Auto zum Stehen kamen.

„Tut mir leid, aber ich kann das hier nicht", murmelte Charlotte mit einem entschuldigen Lächeln. „Es liegt nicht an dir."

Adam nickte seufzend. „Tut es schon, aber das ist okay. Ich komme damit klar."

„Nein, liegt es wirklich nicht", versicherte sie ihm und legte ihm eine Hand auf den Unterarm, weil sie wirklich wollte, dass er ihr glaubte. „Es liegt wirklich nicht an dir. Ich weiß nicht, wie viel Ellie dir über mich erzählt hat, aber mein Ehemann ist – Harry Styles war mein Ehemann."

Es brauchte keine Sekunde bis sie das Verständnis in Adams Augen aufblitzen sah, direkt gefolgt von Bestürzung und Mitleid. Dennoch legte sich ein Lächeln auf seine Lippen und Charlotte war ihm dankbar dafür. „Das wusste ich nicht, Lottie. Tut mir furchtbar leid."

„Das muss es nicht", murmelte sie und lehnte sich seufzend gegen das Auto. „Ich und Harry hatten immerhin eine schöne Zeit, bevor alles zu Ende ging. Aber ich bin immer noch nicht über ihn hinweg. Außerdem habe ich einen Sohn und momentan einfach keine Kraft zum Daten. Und nichts davon ist deine Schuld." Sie schwieg einen Moment und schenkte Adam dann ein kleines Lächeln. „Ich wollte dir das erst gar nicht erzählen, aber ich will, dass du weiß, dass es wirklich nicht an dir liegt. Du bist ein wundervoller Mann und in jedem anderen Leben hätte ich mich wahrscheinlich direkt in dich verliebt. Danke für den schönen Abend."

Das Mädchen mit den Sternenaugen wandte sich ab und wollte zu dem Taxistand herübergehen, um sich eine Fahrgelegenheit zurück nach Hause zu organisieren. Es würde ein Vermögen kosten, aber wenn sie eines hatte im Leben, dann war das Geld. Viel zu viel davon und sie würde alles Geld der Welt ohne zu Zögern eintauschen, wenn sie dadurch Harry wiederbekommen würde.

„Warte, Lottie! Warte", rief Adam und als sie sich umdrehte, sah sie, wie er eilig auf sie zulief. „Wir könnten trotzdem noch einen Cocktail trinken. Nicht als Date, aber vielleicht willst du einfach mal reden? Einem Fremden das Herz auszuschütten, kann manchmal wirklich helfen."

Ein kleines Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. „Bist du denn noch ein Fremder? Wir haben gerade zusammen Abend gegessen."

„Noch fremd genug, um als halber Fremder durchzugehen." Er zwinkerte ihr zu. „Also was ist?"

Sie zögerte nicht, sondern nickte einfach. „Ich bin dabei."

Also gingen sie wieder ihres gemeinsamen Weges. Adam führte sie zu einer kleinen Bar, die zu ranzig wirkte und damit schon wieder als cool durchging. Außerdem versprach er, dass es dort die besten Brownies gab und mehr brauchte es nicht, um Charlotte zu ködern.

„Willst du reden? Über Harry? Oder lieber schweigen?", fragte Adam sie mit sanfter Stimme, als der Barkeeper ihnen beiden ein alkoholfreies Bier vor die Nase stellte.

„Reden wäre schön", murmelte Charlotte. „Ich rede selten offen über Harry, weil ich die Menschen, die ich liebe, nicht traurig machen will. Und weil sie selbst alle genug damit zu kämpfen haben."

„Ich höre gerne zu. Also, nur zu."

„Es wird aber wahrscheinlich ziemlich traurig werden."

Adam legte seine Hand auf ihren Arm und lächelte ihr zu. „Auch okay. Hauptsache dir geht es besser."

Charlotte ließ ihren Zeigefinger über die Macke in dem Holztisch wandern, so verletzlich und dennoch irgendwie unversehrt. Sie suchte nach Worten, musste lange auf die Suche gehen, doch schließlich platzte sie einfach mit allem heraus, dass sich schon seit Ewigkeiten in ihrem Herzen eingenistet hatte.

„Weißt du, ich erwische mich einfach so oft dabei wie ich Harry Kleinigkeiten erzählen will. Ich habe die Worte dann immer auf den Lippen, aber wenn ich mich dann umdrehe, ist Hazza einfach nicht da", murmelte sie und schluckte, bevor sie weitere Worte aus ihren Käfigen befreite. „Und Hazza hat so viel verpasst. Das erste Lachen unseres Sohnes, seine ersten Schritte, sein erstes Wort. Und während mein Herz in diesen Momenten immer vor Freude platzt, fühle ich mich irgendwie auch schuldig. Denn Hazza hätte das erleben sollen, er hätte es mehr verdient als jeder andere und doch bin ich es, die all das Glück erfahren darf, während es ihm viel zu früh gestohlen wurde."

Charlotte redete, während Adam ihr stumm zuhörte und es half unwahrscheinlich sehr. Sie erzählte von den Momenten, in denen sie sich so sehr nach Harry sehnte, dass ihr Herz schmerzte und von den Tagen, an denen sie vor Panik gar nicht aufstehen will. Sie erzählte von den kleinen Augenblicken und all den Details ihres Sternenjungens, die sie nie vergessen würde.

„Wenn Harry jetzt hier wäre, was würdest du ihm dann sagen wollen?", fragte Adam nach Stunden, in denen sie ihm das Herz ausgeschüttet hatte.

„Ich würde ihm sagen, dass er gefälligst nach mir sterben soll", schluchzte Charlotte und jetzt kamen die Tränen unaufhaltsam. „Denn noch einmal würde ich es nicht ertragen, ihn zu verlieren. Einmal war schon zu viel."

Adam zog sie in ihre Arme und sie presste ihr Gesicht in seinen Pullover, zwang sich, einen Augenblick lang nicht einzuatmen, denn sobald sie es tat, konnte sie nicht mehr so tun, als wäre es Harry, der sie festhielt.

Sie weinte, weinte und weinte. Und während sie weinte, da wurde ihr bewusst, dass sie nie wieder jemanden auf die Art würde lieben können, wie sie ihren Sternenjungen liebte.

_________________

Ihr Lieben,

mir tut es wirklich so sehr leid, dass es hier nicht schneller voran kommt. Ich werde mich in Zukunft wirklich bemühen, hier weiterzuschreiben, denn ich glaube, dass ich mittlerweile die Kraft dazu habe.

Was haltet ihr von Charlottes' Date?

Mögt ihr Adam?

Liebsten Dank euch allen für die ganze Unterstützung und vor allem lieben Worte! Jedes Vote ist für mich eine solche Motivation, Kommentare ohnehin. Ich freue mich übrigens auch, von den stilleren Lesern zu hören. Gerne auch konstruktive Kritik, wenn euch etwas nicht gefällt.

Ich wünsche euch eine tolle Woche!

Bis zum nächsten Mal.

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