6 | rigel

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r i g e l

juni 2022

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Charlotte Styles wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, als Noah begann, die Chipstüte über ihrem Badewasser zu entleeren. Die Wanne, eigentlich viel zu groß für eine Person, quietschte leicht, während sie sich aufsetzte und ihren Sohn anstarrte.

„Was machst du da, Großer?"

Er strahlte sie an. „Suppe, Mummy."

Seufzend entschied Charlotte, dass ihr Badeexperiment gescheitert war. Sie hatte es geliebt gemeinsam mit Harry stundenlang einfach nur in dem warmen Wasser zu liegen, während er sie festgehalten und einige Melodien gesummt hatte. Heute jedoch war Harry nicht da, die Wanne fühlte sich leer an ohne ihn.

Dann gab es noch einen weiteren Faktor, der ihr Badeerlebnis einschränkte, denn Noah war überhaupt kein Fan davon, sich in der Badewanne zu entspannen und begann schon zu kreischen, sobald sie sich ihm mit einem Waschlappen näherte. Als Kompromiss hatte sie ihn mit einer Chipstüte und seinen Spielzeugautos auf dem gefliesten Boden platziert, in der Hoffnung, ihn so gleichzeitig im Auge behalten zu können, während sie sich wenigstens für eine Stunde vom Stress des Alltags entspannen wollte. Augenscheinlich hatte ihr Sohn dieses Spiel allerdings für zu langweilig befunden.

„Willst du mich etwa essen?", fragte sie grinsend, während sie sich aus der Wanne hievte.

Noah quietschte verfügt, während er vor ihr davon rannte. „Ja, Mummy."

Lachend fing Charlotte ihren Sohn an und kitzelte ihn, bis er vor Freude kreischend um Gnade bettelte. Sie ließ ihn los, nachdem sie ihn noch einmal durch das Badezimmer gewirbelt hatte. Es tat gut das Kinderlachen durch die vier Wände fliegen zu hören, erinnerte sie daran, wie einfach die Welt doch einmal gewesen war.

„Ich schmecke ohnehin nicht so gut gekocht, Großer", erklärte das Mädchen mit den Sternenaugen grinsend, während sie sich abtrocknete. „Zu viele Knochen, zu wenig Fleisch. Außerdem bin ich viel zu winzig."

Noah ließ sein Feuerwehrauto ungeduldig über den Rand der luxuriösen Badewanne fahren, die einmal ein Vermögen gekostet hatte. Doch das störte Charlotte nicht, es war bloß materiell und es würde ohnehin niemanden interessieren, ob sich nun ein Kratzer dort befand oder nicht.

„Wie wäre es, wenn du schnell dein Spielzeug in dein Zimmer bringst?", schlug sie schließlich vor, als sie sich die Haare föhnte. Wirklich trocken waren diese selbst nachdem sie den Fön wieder aussteckte noch nicht, das waren sie nie, seitdem Noah auf der Welt war und sie niemanden hatte, der ihn beaufsichtigen konnte, während sie sich um sich selbst kümmerte. Also hatte das Mädchen mit den Sternenaugen sich angewöhnt, den Alltag pragmatisch zu gestalten.

Dennoch vermisste sie in Augenblicken wie diesen Harry, nicht einmal weil sie ihn so sehr liebte, sondern weil seine Hilfe durchaus wünschenswert gewesen wäre. Ein Kind alleine großzuziehen war nicht einfach und dennoch nicht vermeidbar gewesen. Das hatten sie beide gewusst, als sie sich für Noah entschieden hatten. Doch Charlotte hätte nie gedacht, dass es nicht bloß nicht simpel, sondern so furchtbar hart werden würde.

Sie hatte keine Ahnung gehabt anfangs, wie alle frischgebackenen Eltern. Doch während diese wenigstens einander hatten, hatte sie alles alleine herausfinden müssen.

„Noah? Wo bist du, Großer?", rief sie durchs Haus, während sie sich gleichzeitig das T-Shirt über den Kopf zog und in ihre Jeans schlüpfte.

„Aufräumen, Mummy", schrie er mit seiner hellen Stimme zurück.

boy in the stars || h.s. ✓Kde žijí příběhy. Začni objevovat