Serendipity || h.s. ✓

By dezemberwind

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„Er war ihr Abenteuer und ihr Untergang zugleich." Harry Styles hat genug von der Liebe. Doch dann befindet e... More

vorwort
prelude
prolog
1 | sonorous
2 | languid
3 | quiescent
4 | murmur
5 | halcyon
6 | plethora
7 | caprice
9 | maladroit
10 | coruscate
11 | dulcet
12 | desultory
13 | radiant
14 | Susurration
15 | suffuse
16 | ebullient
17 | penumbra
18 | felicity
19 | coalesce
20 | surreptitious
21 | effervescent
22 | mellifluous
23 | pyrrhic
24 | cynical
25 | inexorable
26 | resonant
27 | evocative
28 | felicity
29 | resplendent
30 | petrichor
31 | enchanted
32 | vestige
33 | beguile
34 | afar
35 | enrapture
36 | moiety
37 | amorphus
38 | crescent
39 | shriek
40 | zenith
41 | coarse
42 | dalliance
43 | inexorable
epilog
danksagung

8 | nebolous

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By dezemberwind

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| 8 |

n e b o l o u s

november 2012

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Allison || Der Pfannkuchen mit Nutella ist die Bestechung, die mich darüber hinwegtröstet, dass ich selbst jetzt noch mit Jillian und meinem Dad in seinem Arbeitszimmer hocke. Wir tüfteln bereits seit Stunden an dem Filmkonzept meiner besten Freundin, das sie bei dem Filmfestival für Nachwuchstalente einreichen will. Mittlerweile ist es bereits dunkel draußen.

So dunkel, dass ich mich schließlich schwerfällig auf die Beine bewege, kurz auf den Fußballen wippe und dann die Deckenleuchte anschalte, die mit einem Pappmaschee verkleidet ist, das eine Spiegelreflexkamera darstellen soll. Zumindest ist das der Plan meines zehnjährigen Ichs gewesen, doch Kunst ist nicht meine Stärke, weswegen man das Pappmascheewerk erst nach Erklärung versteht. Ich bin keine Meisterin handwerklichenrTätigkeiten, stattdessen weiß ich es, mit Worten zu malen.

Mit einem Surren springt die Lampe an und taucht das kleine Zimmer in gelbliches Licht. Erst jetzt wandelt sich die Umgebung wieder in den farbenfrohen Mix mit unzähligen Theoriebüchern zur Kameraführung und praktischen Projekten, die mein Vater am Wochenende zuhause bearbeitet anstatt in dem professionellen Studio, mit dem er sich bereits vor meiner Geburt selbstständig gemacht hat. Doch Wochenenden gehören der Familie, weswegen Dad höchstens in diesem Arbeitszimmer ein paar Handgriffe tätigt.

Jillian und mein Vater sind so in ihre Diskussion vertieft, dass sie nicht einmal merken, dass ich mich kurz vom Tisch wegbewegt habe und es plötzlich hell geworden ist.

Ich setze mich im Schneidersitz wieder neben meine beste Freundin auf das kleine Sofa Sofa und beuge mich neugierig in Richtung der Zeichnungen, die sie in den letzten Stunden per Hand skizziert haben. Langsam nimmt das Projekt Gestalt an, die Szenen stehen und es werden die einzelnen Aufnahmen gezeichnet, die Jillians Drama letztendlich visuell darstellen sollen.

„Was hältst du davon, wenn du die Kamera ein wenig mit einem semitransparenten Tuch abhängst, um ein wenig mystisches Feeling zu erzeugen?", schlägt mein Vater vor, während er sich über Jills Notizen beugt. „Durch eine geringere Belichtungsdauer könnte man ebenfalls ein paar Schlieren erzeugen."

Meine beste Freundin nickt und zupft nachdenklich an den Fäden ihrer Destroyed Jeans, die an den Knien mittlerweile fast auseinanderfällt. „Oder wir könnten von Zeitlupe plötzlich auf Schnelldurchlauf umschalten, um die Verzweiflung der Frau besser darzustellen."

Ich höre bloß mit einem Ohr zu, denn das meiste ihrer Fachsprache durchschaue ich ohnehin nicht. Meine Hauptaufgabe ist es gewesen, das Drehbuch auf Logikfehler zu überprüfen und die Texte zu überarbeiten. Die grafische Darstellung werde ich nicht wirklich mit Ideen beeinflussen können, sind es doch mein Dad und Jillian, die selbst im Schlaf noch eine Kamera in der Hand halten.

„Aber vielleicht sollte ich auch die Unterlegenheit des Mannes noch einmal mehr betonen? Wir könnten die Vogelperspektive bei seinen Werken nutzen und die Frau von unten filmen, um ihre Dominanz darzustellen", schlägt Jill vor.

Mein Vater zieht das Drehbuch näher an sich heran und murmelt die Worte flüsternd in die Luft, um ein Feeling für die Szene zu bekommen. Einen Augenblick lang ist es still, bis er schließlich bedächtig nickt. „Das könnte wirklich gut funktionieren, J. Du musst nur aufpassen, dass du die Szenen dann hinterher gut zusammenschneiden kannst, wenn du mehrere Takes aufnimmst."

Dad legt das Drehbuch beinahe auf seinen Nutellapfannkuchen, weswegen ich es schnell zur Seite ziehe und die kleinen Ölflecke abwische. Manchmal ist er so in seiner Traumwelt verschwunden, dass er nicht mehr wirklich auf die Realität achtet.

„Ist es überhaupt erlaubt, dass Dad dir so sehr hilft? Ich dachte, das Projekt ist nur für Nachwuchstalente ausgeschrieben", meine ich schließlich, als die beiden eine halbe Stunde später über die besten Farbschema der Szene diskutieren.

„Dein Dad hilft ja bloß. Die Ideen habe ich alleine entwickelt." Jillian zuckt mit den Achseln. „Du weißt doch, wie wichtig das Projekt für mich ist, Ally. Da werde ich alle Hilfe brauchen, die ich kriegen kann. Wenn ich platziert werde bei dem Festival, dann erhöht das meine Chancen ungemein, an der UCLA angenommen zu werden."

Das Filmstudium in Los Angeles ist schon seit Jahren ihr Traum, für den sie alles gibt. Ihre Familie schwimmt nahezu im Geld, aber dennoch will meine beste Freundin nicht in das Familiengeschäft einsteigen, dass sich in den letzten Jahren zu einem Milliardenkonzern entwickelt hat. Für Jill gibt es bloß die Option Film und dafür würde sie töten, nur um das Ziel zu erreichen.

Ich beneide sie dafür, dass sie so klar weiß, was sie mit ihrem Leben anfangen will.

„Ich kann es kaum erwarten, endlich am Strand zu leben und den ganzen Tag warmes Wetter zu haben in Los Angeles, während ich mich gleichzeitig meinem Hobby widmen kann", schwärmt sie lächelnd und stuppst mich dann an. „Warum bewirbst du dich nicht auch auf der UCLA? Dann könnten wir das Abenteuer gemeinsam erleben."

Ich beiße mir auf die Unterlippe. „Ich will lieber in England bleiben. Außerdem könnte ich mir ein Studium in den USA überhaupt nicht leisten. Das wird hier schon schwer genug werden."

Es raschelt, als mein Dad seinen Stuhl näher in meine Richtung schiebt und mich mit einem dieser ernsten Blicke ansieht, die man ansonsten nie in seinen Gesichtszügen findet. „Mach dir nicht so viele Sorgen, Ally. Wir werden dein Studium hier schon finanziert bekommen."

Jillian legt mir den Arm um die Schulter und zieht mich an sich. „Wenn du wirklich ein wenig Hilfe brauchst, dann kann mein Dad dir sicherlich auch etwas leihen."

Ich weiß, dass das Angebot lieb gemeint ist, weswegen ich ihr ein Lächeln schenke. Die Wahrheit ist jedoch, dass ich nie Geld von jemandem annehmen werde und stattdessen lieber zehn extra Schichten arbeite. Es ist nicht so, dass meine Eltern arm sind, aber alleine ein Studium in England schluckt gerne fünfstellige Summen pro Semester und so viel wirft das Fotogeschäft meines Dads nun auch nicht ab. Deswegen werde ich mich zumindest bemühen, für meine Lebenserhaltungskosten selbst aufzukommen, sobald ich studiere.

„Was ist mit dem Ende? Habt ihr da schon diskutiert wie ihr die Gedanken der Frau darstellen wollt?", will ich vom Thema Studium ablenken, weil ich diese Diskussion mit allen bereits zu oft geführt habe..

Meine beste Freundin sieht nicht einmal auf die bekritzelten Blätter, sondern mustert mich nachdenklich. „Ich verstehe, dass du nicht den ganzen Ozean zwischen dir und deiner Heimat haben willst. Aber sag mir wenigstens, dass du dich nicht bloß an der UoM bewirbst?"

„Nein, natürlich bewerbe ich mich nicht nur in Manchester", beruhige ich sie. „Das ist viel zu risikoreich, falls ich nicht angenommen werde."

Das ist die Wahrheit, weswegen ich bei meiner UCAS-Bewerbung alle fünf möglichen Bewerbungsplätze ausgefüllt habe. Ich setze nie alles auf eine Karte, sondern brauche die Sicherheit eines Plan Bs. Auch wenn ich nicht leugne, dass ich am liebsten in meinem Elternhaus wohnen bleiben und jeden Tag zur University of Manchester pendeln würde.

„Du wirst locker angenommen werde, Ally", meint Jillian lächelnd und nickt dann in Richtung der Papiere. „Was würdest du denn für das Ende vorschlagen?"

Ich zucke mit den Achseln. „Ihr seid die Filmkenner und habt viel mehr Ahnung."

„Ich will aber deine Meinung hören", entgegnet meine beste Freundin und sieht mich wartend an. Sie gibt mir die Zeit, meine Gedanken zu sammeln und ich tue ihr den Gefallen.

Mit meinen Fingerspitzen hebe ich das Blatt Papier mit den Notizen für die letzte Szene noch einmal in die Luft und lasse die Worte vor meinen Augen Wirklichkeit werden. Wenn ich die Augen schließe, dann ist es beinahe wie eine Geschichte zu schreiben, ohne die Worte wirklich aussprechen zu müssen. Das ist mein Gebiet. In der Stille kann ich Wörter tanzen lassen, doch sobald sie in die Wirklichkeit entlassen werden sollen, verstummen sie plötzlich und verschwinden wieder in die Dunkelheit.

„Das Ende ist tragisch, weil sie schließlich doch beide alleine enden. Aber vielleicht ist es genau das, was sie brauchen, wisst ihr?", entlasse ich meine Gedanken schließlich in die Freiheit. „Vielleicht waren ihnen nur ein paar Jahre bestimmt, bevor der Knall kam, der sie zerfetzte. Aber das bedeutet doch trotzdem nicht, dass sie nicht alleine glücklich sein können ohne den anderen."

Mein Vater nickt nachdenklich, während er sich meine Worte durch den Kopf gehen lässt. „Also würdest du vorschlagen trotz der Tragik auch das Happy End für beide zu betonen?"

Ich lege den Zettel mit den zerstörten Träumen der Charaktere, die letztendlich doch wieder neue gewinnen, vorsichtig wieder auf dem Tisch ab, um den wir drei uns versammelt haben.

„Träume können sich ändern, oder? Es ist nur wichtig, dass man nicht aufhört zu träumen und genau das würde ich als Ende hervorstreichen", erwidere ich. „Aber das ist nur meine Sichtweise."

„Doch, ja. Das ist eine super Idee, Ally." Jillian sieht mich begeistert an. „Ich könnte die beiden visuell darstellen, wie sie in der letzten Aufnahme in andere Richtungen geben und trotzdem mit bunten, krachenden Farbspielen arbeiten. Das ist ein super Kontrast und lässt einiges an Interpretation offen."

Während wir weitere Zeit das Filmprojekt diskutieren, inhaliere ich meinen dritten Pfannkuchen mit ordentlich Nutella, denn ich brauche eindeutig einen Zuckerschock, um meine Konzentration oben zu halten. Als meine Mutter schließlich an die Zimmertür klopft, haben wir die letzte Szene endlich ausgearbeitet und diskutieren bloß nur noch, wann genau man am besten drehen könnte.

Die Hauptrolle habe ich direkt abgelehnt, aber Seth hat sich bereit erklärt, den männlichen Part zu übernehmen und unsere Schulfreundin Emily wird den weiblichen spielen.

„Klopf, Kopf", meint meine Mum lächelnd. „Die Jungs und ich wollen uns jetzt Black Swan ansehen zum Wochenendabschluss. Wollt ihr mitschauen?"

„Ich wäre dabei", entgegne ich und sehe dann fragend zu Jillian herüber, was jedoch eigentlich bloß Formsache ist. Meine beste Freundin würde nie Nein zu einem Film sagen. „Was ist mit dir?"

Sie nickt begeistert und auch mein Vater stimmt schließlich zu.

„Ich mache uns dann etwas Popcorn", beschließt er und erhebt sich beschwingt von dem Armsessel, den er in den letzten Stunden eingenommen hat. Sollte ich dieses Haus je verlassen, werde ich meinen Dad immer in diesem Sessel vor Augen haben, umgeben von tausend Fotos und mit einem sanften Lächeln im Gesicht, das für mich als Kind ganze Kriege beenden konnte.

„Wir räumen eben noch auf", meine ich zu meiner Mum, die daraufhin nickend wieder verschwindet, um schon einmal meinen Brüdern im Wohnzimmer Gesellschaft zu leisten.

„Hast du dich schon entschlossen, auf welchen Unis du dich jetzt bewerben wirst?", fragt Jill mich möglichst beiläufig, während wir die Papierfetzen im Arbeitszimmer zu bändigen versuchen.

Ich kann mir nur schwer ein Grinsen verkneifen, denn ich durchschaue ihre Art, mir meine Gedanken entlocken zu wollen sehr wohl. Doch wie so häufig hat sie letztendlich Erfolg damit.

„Manchester definitiv. Dann noch Leeds, Liverpool sowie Westminster und Kings in London", zähle ich meine Wahlen auf, die wir bald an die Studienverteilungsplattform einreichen müssen. „Das ist zumindest bisher der Plan. Wer weiß, vielleicht entscheide ich mich noch einmal spontan um."
Jillian verdreht lachend die Augen. „Du machst nie etwas spontanes, Ally. Alles in deinem Leben ist komplett durchgeplant."

„Vielleicht ändere ich das aber mal", entgegne ich bloß halb scherzend. Ich spiele schon lange mit dem Gedanken, mich einfach einmal aus der Komfortzone zu werfen, um zu sehen, ob ich in der wirklichen Welt überhaupt lebensfähig wäre. Doch meine Angst vor dem Risiko hat mich bisher zurückgehalten.

„Ich bin eindeutig dafür", meint Jill lächelnd. „Und wenn es nicht ein anderer Ort zum Studieren ist, dann einfach dadurch, dass du mich in LA besuchen kommst."

Ich nicke zustimmend. „Auf jeden Fall. Dann können wir Cocktails am Strand schlürfen und so tun, als würden wir in einem Hollywoodstreifen mitspielen."

Die Plastikhülle in ihren Händen knistert, während sie vorsichtig die Notizen des Filmprojekts darin verstaut und sich versichert, dass wir wirklich alles wichtige Beisammen haben. Jillian ist ansonsten genau wie ich nicht die Ordnung in Person, aber wenn es um ihre Filme geht, handelt sie mit einer so ernsthaften Sorgfältigkeit, dass sie selbst meiner Mutter Konkurrenz machen kann.

„Wer weiß, vielleicht müssen wir in zehn Jahren den Hollywoodfilm nicht nur spielen, sondern können uns meinen ersten eigenen ansehen", erwidert Jill mit träumenden Augen.

Ich lächele und ziehe sie in eine Umarmung. „Ganz bestimmt. Das wirst du schon schaffen und ich werde bei der Premiere direkt in der ersten Reihe sitzen."

„Ich hoffe es", murmelt sie leise und während die Worte bloß flüsternd durch das Arbeitszimmer meines Vaters fliegen, das an manchen Tagen meine Flucht von der Welt ist, entsteht einer der wenigen Momente, in denen ich sehen kann, dass ich nicht die einzige bin, die nachts aufgrund von Zukunftsängsten manchmal nicht in den Schlaf finden kann.

„Das wird schon werden, Jilly."

Sie nickt gegen meine Schulter gelehnt und als wir uns wieder voneinander lösen, hat sie ein Lächeln im Gesicht. Vorbei ist die Unsicherheit, zurück das Mädchen mit den großen Träumen.

„Habe ich dir eigentlich schon von Kate Abott erzählt, Ally?"

Ich ziehe sanft die Tür des Arbeitszimmer hinter uns zu, bevor wir uns auf den Weg ins Wohnzimmer machen. „Nein, hast du nicht. Wer ist das?"

„Abott hat in diesem Indiefilm von Steve Parlor die Hauptrolle gespielt, von dem ich dir letzte Woche vorgeschwärmt habe", berichtet mir Jill und lässt sich neben Seth eines der Sofa im Wohnzimmer fallen, der eilig zur Seite rückt, um nicht von ihr zerquetscht zu werden. „Sie ist so wahnsinnig gut. Noch ist sie total unbekannt, aber ich bin überzeugt davon, dass sie den richtig großen Durchbruch schaffen wird und ich würde alles dafür geben, mal mit ihr einen Film drehen zu können."

Drake sieht neugierig von seinem Handy auf. „Ist sie heiß?"

Ich haue meinem jüngeren Bruder leicht gegen das Schienbein und musterte ihn genervt, während ich mich neben ihn setze. „Leb deine perversen Fantasien woanders aus, Kleiner."

„Entschuldige wenn ich mich für das weibliche Geschlecht interessiere", meint er mit einem frechen Grinsen und schiebt mich weiter von sich weg. „Mach dich nicht so breit, Ally."

Jillian sieht lachend zu uns herüber und ich beneide sie darum, dass sie den Platz neben Seth erwischt hat.

„Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber Kate Abott ist ein wenig zu alt für dich, Buddy", zieht Jill Drake auf.

„Liebe kennt kein Alter", entgegnet er sofort schlagfertig, denn so ist er nun einmal. Mein kleiner Bruder ist bekannt dafür, keine Schlacht ohne das letzte Wort beenden zu können.

„Außer es bringt dich ins Gefängnis", wirft Seth trocken ein und nimmt sich dann seelenruhig ein M&M aus der Tüte, die auf dem Wohnzimmertisch Platz gefunden hat. „Möchte auch jemand eins?"

Drake und ich kämpfen um den Inhalt, bis meine Mutter mit einem warnenden Blick ins Wohnzimmer kommt. Sofort lassen wir die Tüte auf den Couchtisch zurückfallen.

„Wir haben Gäste", ermahnt Mum uns.

Ich bin mir nicht sicher, ob Jillian überhaupt noch als Gast zählt, wenn man bedenkt, wie oft sie hier unangekündigt auftaucht und sich selbstverständlich am Kühlschrank bedient. Dennoch nicken wir alle eilig, weil mit meiner Mum und ihren Hausregeln nicht zu spaßen ist.

„Wir wollten Jill gerade bloß ein M&M anbieten", meint Drake mit einem charmanten Lächeln und hält meiner besten Freundin die Tüte entgegen. „Möchtest du eines, Jillian?"

Ich entfalle in einen Hustenanfall, um mein Lachen zu vertuschen. Seths Bemühungen bloß nach draußen zu sehen, lassen mich vermuten, dass es ihm genauso geht.

„Danke, Buddy", meint Jill lächelnd und klaut sich gleich eine Handvoll der Schokobonbons. Dann dreht sie sich in die Richtung meines älteren Bruders, der an seiner Gummibärchentasse nippt, die wie immer mit Brombeertee gefüllt ist. „Sethie, hast du nächstes Wochenende Zeit für den Film? Wenn Emily auch kann, könnten wir da mit dem Dreh anfangen."

„Klar", stimmt Seth zu, nachdem er kurz seinen Terminplan durchgegangen ist. „Ich muss Samstagmorgens ins Studio, aber danach stehe ich ganz zu eurer Verfügung."

Drake pfeift anzüglich, was uns anderen bloß ein Augenrollen entlockt. Den schlaksigen Teenager kann man in den wenigsten Fällen ernst nehmen.

„Bist du auch dabei, Ally?"

Irritiert sehe ich zu Jill herüber. „Ich schauspielere doch nicht einmal."

„Aber ich brauche meine beste Freundin für Zweitmeinungen. Außerdem bist du super darin, Geschichten zu durchdringen." Sie beißt geräuschvoll auf ein M&M, das daraufhin in ihrem Mund explodiert. „Also, kannst du?"

„Natürlich. Es ist ja nicht so, als wären meine Wochenenden je durchgeplant", erwähne ich augenverdrehend. „Ich werde da sein."

„Popcorn ist fertig", ruft mein Vater vergnügt und stellt die Schale auf den Tisch, woraufhin meine Brüder und ich uns direkt auf den Inhalt stürzen. In unserem Haus muss man schnell sein, wenn es um Süßigkeiten geht.

Sobald mein Dad sich gesetzt hat, drückt meine Mutter auf Play und die ersten Bilder Black Swans schimmern über unseren Fernseher, während Jill begeistert Hintergrundwissen über die Produktion des Thrillers mit uns teilt.

Während die Balletttänzerin in dem Streifen eine Runde durchs Studio dreht und ich bereits schon nicht mehr richtig hinsehen kann, weil Filme dieser Art mich grundsätzlich an meine Grenzen bringen, klingelt mein Handy. Erleichtert hüpfe ich vom Sofa hoch und freue mich über die Ausrede, den gruseligen Stellen für einen kurzen Moment entfliehen zu können.

„Entschuldige, da muss ich kurz rangehen", murmele ich und bekomme von allen Seiten die Geste, bloß zu verschwinden und still zu sein, während die Fünf nahezu im Bildschirm verschwinden zu scheinen.

Augenverdrehend flüchte ich in den Flur und schließe die Wohnzimmertür hinter mir, bevor ich das Gespräch annehme.

„Hallo?"

„Hey, hier ist Harry."

Vor Schreck rutscht mir fast das Handy aus der Hand, denn ich habe nicht damit gerechnet, überhaupt je wieder von ihm zu hören. Ich habe unsere Begegnung als Flucht aus der Wirklichkeit für ein paar Stunden abgeschrieben, bevor das Leben wieder seinen gewohnten Lauf genommen hat. Genau das ist der einzige Grund gewesen, warum ich ihm überhaupt so viel Persönliches erzählt habe damals in diesem Morgen in meinem Lieblingscafé.

„Wer?", entgegne ich schließlich, weil ich noch nicht ganz überzeugt bin, dass mir niemand einen Streich spielt.

„Harry Styles?" Ich höre, wie er zittrig Atem holt. „Ich habe dir auf die Schuhe gekotzt."

„Ja, ich erinnere mich", entgegne ich, denn diese Situation ist so bizarr gewesen, dass ich sie mein Leben lang nicht vergessen könnte. „Viel verwunderlicher ist es jedoch, dass du das auch noch tust. Du bist so betrunken gewesen, dass ich gedacht hätte, du hättest einen Filmriss von der Nacht."

Ein leichtes Trippeln ist zu hören und ich sehe mich kurz im Flur um, bis mir bewusst wird, dass die Schritte von seiner Seite kommen.

„Ich habe nichts vergessen, Al", versichert er mir. „Vor allem den Morgen danach nicht."

Ich weiß nicht, ob ich ihm glauben soll oder er mir eine weitere Lüge erzählt, doch eigentlich ist es auch vollkommen egal. Es ist nicht wichtig, wie viele Erinnerungen er noch mit mir an diese regnerische Nacht abseits der Realität teilt, in der ich mich einmal etwas gewagt habe.

„Wieso rufst du an, Harry?"

Die Schritte werden lauter und ich hoffe sehr für ihn, dass er sich alleine in dem Zimmer befindet, denn wenn selbst ich die Bewegung hören kann, muss es sich auf seiner Seite der Leitung anfühlen wie ein Orkan.

„Ich sollte dich anrufen, wenn ich heile zuhause angekommen bin."

„Das ist Wochen her", entgegne ich anklagend. „Du hast das Versprechen gebrochen."

Kurz schweigen wir, während bloß ein Kreischen aus meinem Wohnzimmer zu vernehmen ist.

„Es tut mir leid, Al", murmelt er schließlich, was das zerstörte Versprechen dennoch nicht wieder zusammenklebt. Das ist das Gefährliche an den Worten, die man anderen gegenüber entstehen lässt. Man kann sie nicht wieder zurücknehmen und wenn man sie unter seinen Fingerspitzen zerbricht, dann sind sie für immer gebrochen.

„Ehrlich gesagt ist das auch bloß der vorgeschobene Grund, warum ich dich anrufe", murmelt er schließlich und stolpert leicht über die ersten Wörter, bevor die anderen sich eine sichere Brücke in die Freiheit bauen. Sie stürzen hastig über mich hinein.

„Was willst du von mir, Harry?", frage ich seufzend.

„Ich fand dich nett und wir haben uns gut verstanden, oder?"

Der Holzboden fühlt sich trotz der Kuschelsocken an meinen Füßen kalt an, als ich bedacht durch den Flur tapse und mich schließlich auf die Treppenstufe setze.

„Ja, doch das haben wir", gebe ich zu. „Aber das ist doch bloß ein einziger Morgen gewesen. Wir kennen uns ja nicht einmal wirklich."

„Ich würde dich aber gerne näher kennenlernen, Al."

Schweigend male ich mit den Fingerspitzen Muster auf das Holz des Treppengeländers, das dringend einmal wieder gestrichen werden müsste. Ich weiß nicht, was ich sagen soll und ich hasse es. Solche Situationen lassen mein Herz panisch schneller schlagen und während ich verzweifelt nach Worten suche, die ich letztendlich nicht einmal kenne, wahrscheinlich nie kennen werde, nimmt Harry mir die Entscheidung ab.

„Hast du morgen schon was vor?", fragt er mich.

„Morgen ist Montag."

Er lacht leicht. „Und danach ist Dienstag. Wird das jetzt ein Quiz?"

„Nein", grinse ich. „Ich meinte damit nur, dass ich montags wie jeden Wochentag zur Schule gehe."

Die Schritte in seinem Zimmer werden langsamer, bis er schließlich wirklich zum Stehen kommt. Die plötzliche Ruhe wirft mich völlig aus der Bahn.

„Ich meinte danach."

„Nein, bisher eigentlich nicht", gebe ich zu, denn abgesehen von Treffen mit Jillian und meinen Tanzstunden haben meine Wochen nicht viel Abwechslungsreiches zu bieten.

„Ich bin momentan wieder bei meinen Eltern, also ganz in der Nähe", meint Harry und holt dann stockend Atem. „Wir könnten was unternehmen, wenn du Lust hast?"

Mein Zeigefinger klopft langsam gegen meinen Oberschenkel, während ich über seine Worte nachdenke. Ich brauche Zeit für eine Antwort, muss meine Gedanken wirbeln lassen, bevor ich schließlich weiß, was ich sagen werde.

„Was werden wir denn machen?", frage ich schließlich.

„Lass dich überraschen, Al."

Ich beiße mir auf die Unterlippe. „Ich stehe nicht wirklich auf Überraschungen."

„Wer bitte mag keine Überraschungen?", meint er perplex.

„Ich", entgegne ich überzeugt, denn ich hasse die Ungewissheit vor den Antworten und bin außerdem viel zu ungeduldig, um auf die Lösung zu warten. Nicht die beste Mischung, wenn es um Überraschungen geht.

„Nun, da hast du leider Pech, denn ich liebe sie", zieht Harry mich auf. „Also wirst du dich wohl überraschen lassen müssen."

Mein Finger stockt, bevor er weiter seine Kreise zieht. „Okay. Aber mit der Bedingung, dass ich ein Veto habe."

Sein lautes Lachen dringt in meine Ohren. „Ich werde dich schon nicht von einem Haus runterspringen lassen."

„Du hast mir letztes Mal gesagt, dass du mich dazu bringen wirst, mehr Risiken einzugehen. Wer weiß, was für eine Fantasie du hast", murmele ich mit roten Wangen.

„Da bin ich auch immer noch für", entgegnet er. „Aber ich rede über kalkulierbare Risiken. Komm schon, Al. Lass dich überraschen."

Es dauert einige Sekunden, in denen meine Gedanken schreien und laufen und schweigen, mein Herz klopft und aussetzt, meine Finger sich bewegen, bis sie schließlich still sind. Dann nicke ich. Einmal, zweimal, bis mir einfällt, dass Harry mich gar nicht sehen kann.

„Also gut. Ich bin dabei", entgegne ich. Was für andere Leute bloße eine beiläufige Zustimmung ist, ist für mich ein riesiger Schritt in Richtung des Unbekannten. Aber noch halte ich mich weit genug vom Abgrund entfernt, sodass ich nicht fallen kann.

„Das freut mich. Dann sehen wir uns also Morgen?"

Meine Mundwinkel verziehen sich in die Höhe. „Ja, morgen ab vier kannst du mich abholen."

„Dann bis Morgen, Al", erwidert Harry. „Gute Nacht."

„Gute Nacht", entgegne ich.

Er hat aufgelegt, bevor ich meine Entscheidung überdenken kann. Aber vielleicht ist das auch gut so, denn ich bin mir nicht sicher, ob ich meine Worte nicht noch zurückgezogen hätte.

Harrys Styles ist erneut wie ein Wirbelsturm in mein Leben gestürzt und ich werde von seiner Kraft mitgerissen ohne mich dagegen wehren zu können. Er ist das Unbekannte, das Risiko, alles was ich sonst so fürchte, doch irgendwas bringt mich bei ihm dazu, mich in das Abenteuer zu stürzen.

Ich hoffe bloß, dass er nicht hinterher alles in Flammen aufgehen lassen wird.

_________________

Ihr Lieben,

Ich habe momentan während der Woche leider noch kein Internet, weswegen es das neue Kapitel erst heute gibt.

Irgendwelche Vermutungen, welche Unternehmung Harry für die beiden plant?

Glaubt ihr, dass das Treffen stattfindet?

Vielen Dank übrigens für all eure Votes und vor allem Kommentare! Das freut mich immer sehr! Wenn euch die Geschichte gefällt, dann lasst es mich doch bitte wissen.

Bis zum nächsten Mal.

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