"Ich frage mich manchmal wirklich, was in deinem Kopf so vorgeht."
"Der ist gut", unterbrach ich nach einer halben Ewigkeit die erdrückende Stille zwischen uns und nippte leicht an der Teetasse.
Die letzten Weingläser wurden von dem kleinen Sohn einer guten Freundin von mir kaputt gemacht, sodass uns nichts anderes übrig blieb, als den köstlichen Wein in Teetassen zu trinken.
Dafür saßen wir einigermaßen bequem auf der Couch, Seite an Seite und wussten irgendwie beide nicht, was wir jetzt sagen sollten.
Ich hatte tausende Fragen an ihn, brachte sie jedoch irgendwie nicht wirklich übers Herz.
Viel zu sehr fürchtete ich mich vor den Antworten.
"Mhh. Hat mir mal ein guter Freund, der mal Sommelier war, zu meinem Geburtstag geschenkt", erzählte er nur und hob dabei verschmitzt einen Mundwinkel.
Statt etwas darauf zu erwidern, betrachtete ich seine Gesichtszüge nur eingehend. Egal, wie sehr ich es versuchte, Hunter war und blieb ein einziges Rätsel. Ich hatte noch nicht mal eine Ahnung, was gerade in ihm vorging, so sehr verwirrte er mich. Manchmal war er kalt, wie eine schon längst zu Eis verzauberte Skulptur und dann grinste er schon wieder, so strahlend, dass selbst die Sonne eifersüchtig wurde.
Insgeheim genoss er es wohl, dass ich so unwissend war und er mich im Gegensatz einfach wie ein offenes Buch lesen konnte.
"Wo warst du?"
Die Frage klang zu meiner eigenen Überraschung betonend gleichgültig und nicht so angespannt, wie ich mich in meinem Körper fühlte.
Noch nicht mal jetzt, konnte er mir eine klare Meinung geben, aber wie aus dem Nichts verschwand sein Lächeln - und zurück blieb eine erschreckende Menge an Desinteresse.
"Bei meinem Bruder", erklärte er mir schließlich resigniert und zuckte bloß mit den Schultern.
Aber so einfach wollte ich ihn nicht davon kommen lassen.
"Bei dem Kerl, der auch letztens auf der Party war? Mit diesem Piercing in der einen Augenbraue?"
Wie hieß er denn noch gleich? Caleb, Cameron?
"Meinst du Cole? Ach was, der lebt noch bei Rafael, zu dem würde ich niemals gehen. Ich war bei Ash. Der Typ mit der Cap. Du weißt schon. Der stumme Kerl, der kaum noch etwas hört und somit auch nicht redet."
Bei seinen Worten klappte mein Mund gleichzeitig zum Weiten meiner Augen zu einem großen O auf.
Also hatte er an der Tür nur meine Lippen lesen wollen, um mich zu verstehen.
Und ich hatte ihn gleich als Perversling abgetan. Über andere Menschen sollte man wohl nicht frühzeitig urteilen.
"Wie viele Brüder hast du eigentlich?", fragte ich die nächst beste Frage, obwohl mein Mund fiel lieber ein 'Warum?' geformt hätte.
"Vier Halbbrüder. Cole, Ash und die Zwillinge Kyle und Keith."
Perplex blinzelte ich ihn an, erinnerte mich noch ganz genau an jeden anderen.
Alle fünf könnten unterschiedlicher nicht sein. Cole jagte mir auf jeden Fall die meiste Angst ein. Auch wenn Hunter nicht gerade ungefährlich wirkte, so war er es auf eine manipulative Weise, in dem er einfach ein schiefes Grinsen aufsetzte und niemand eine Ahnung hatte, was in seinen Gedanken gerade vorging. Bei Cole konnte ich mir noch nicht mal vorstellen, dass seine Mundwinkel sich jemals zu einem echten Lächeln gehoben haben. Der Cappy-Boy aka Ash hörte also kaum noch etwas und redete auch nicht. Dafür waren seine Augen warm und freundlich gewesen - außerdem trug er ein amüsiertes Grinsen auf den Lippen, als würde er ziemlich zufrieden sein mit seinem Leben. Ich hatte zwar keine Ahnung, wer von den Zwillingen Kyle oder Keith war, aber eins war sicher - selbst die unterschieden sich in jeder inneren Hinsicht.
Mal abgesehen auf ein paar Kleinigkeiten, sahen sich alle - die Zwillinge ausgenommen - auch nicht wirklich ähnlich
"Welcher Elternteil hat eine neue Beziehung angefangen?", fragte ich schließlich.
Überraschend fand ich sowas nicht mehr. Heutzutage ließen sich die meisten Elternpaare scheiden oder trennten sich schlicht und ergreifend. Ich empfand es ja schon als Wunder, dass meine Eltern noch zusammen waren.
Plötzlich entkam Hunter ein tiefes, verbittertes Lachen.
"Ich habe nur einen Elternteil, meine Mutter. Und die würde keineswegs eine neue Beziehung anfangen. Lieber trauert sie immer noch einem Mistkerl hinterher, der es nicht verdient hat. Dieser ist übrigens schon bei Ehe Nummero. 5. Falls du dich das fragst, dann ja, jeder Bruder stammt aus einer anderen Ehe. Auch wenn Kyle und Keith beide zusammen aus Ehe Nummer. 3 kommen. Können wir nur hoffen, dass ich nicht bald noch einen Halbbruder bekomme."
Okay, das hätte ich jetzt nicht erwartet.
Alle Jungs waren gar nicht mal so unterschiedlich alt.
Die Jüngsten konnten noch nicht mal einen Unterschied von zwei Jahren haben.
Das war doch krank. Die jetzige Ehe kurz nach der Geburt eines Kindes auflösen zu lassen, um kurz darauf eine neue Frau zu heiraten und bei ihr das Selbe abzuziehen.
Kein Wunder, dass Hunter seinen Vater nicht mehr offiziell als diesen ansah.
"Du stammst aus seiner ersten Ehe, oder?"
Dann müsste Hunter auch der Älteste sein. Vielleicht sahen deswegen die anderen so ein bisschen zu ihm auf.
Statt den Mund zu öffnen, nickte er einfach nur und schenkte sich noch etwas Wein ein. Seine Familie war wohl nicht sein absolutes Lieblingsthema.
"Was hatten diese Frauen hier eigentlich verloren?", wandte er sich nun zu mir.
Ein tiefes Seufzen erfüllte den Raum, als ich an diesen katastrophalen Abend zurück dachte.
Und er war noch nicht mal vorbei.
"Wir waren Essen. Erinnerst du dich noch an den Vorfall mit meinen gestohlenen Sachen? Ich war mit meiner Schwester und den anderen Brautjungfern gerade bei unserer Kleider-Wahl und da sind meine urtümlichen Klamotten und Gegenstände wie aus dem Nichts verschwunden. Na ja, wegen diesem dämlichen Vorfall meinte Shalby, uns alle als Wiedergutmachung zum Essen einzuladen."
Seine Stirn runzelte sich leicht in Falten, als er in seine Gedanken vertieft, mit dem Daumen immer wieder leicht an seinem Kinn entlang strich.
"Die verschwundenen Sachen...", fing er da schon wieder an, "Sind die eigentlich wieder aufgetaucht?"
Ach ja. Da war ja noch was.
"Oh ja, das sind sie. In einem Müllcontainer, total zerfetzt und kaum noch erkennbar. Dabei ist das Eigenartige, dass meine ganzen Wertsachen wie Kreditkarte und Geld mit zerstört wurden, als hätte es der Täter gar nicht auf die abgesehen, sondern auf etwas völlig anderes."
Langsam nickte er, sein Blick argwöhnisch über mich gleitend.
Was hatte er bloß?
Sollte mal jemand aus ihm schlau werden.
"Weißt du...ich frage mich manchmal wirklich, was in deinem Kopf so vorgeht."
Meine Stimme war leise, kaum hörbar, und doch weiteten sich seine Augen leicht, in aufkeimender Überraschung.
Sein Kopf lag in einer fast schon ratlos wirkenden Pose leicht schief, dass ihm eine Strähne seines dunklen Haares störrisch ins Gesicht fiel. Im seichten Licht meiner alten Stehlampe wirkte die Farbe viel weicher und nicht mehr so kalt wie tagsüber.
"Wie meinst du das?", fragte er schließlich, als ich darauf nichts weiter erwiderte.
Unwohl ließ ich meinen Blick hin und her schwenken, überall hin, nur nicht zu ihm. Hauptsache nicht zu ihm.
Natürlich konnte ich mich nicht zurückhalten. Ich sollte mal wirklich überlegen, bevor ich den Mund aufmachte.
"Ich würde wenigstens für einen kurzen Moment deine Gedanken lesen können. Du bist in so vielen Fällen unglaublich widersprüchlich, dass ich mich immer wieder frage, was von all deinen Reaktionen geplant und gespielt oder wirklich und ernsthaftig ausgeführt werden. Du warst jetzt einfach verschwunden und ich habe noch immer keine Ahnung wieso. In solchen Momenten würde ich am liebsten einfach in deinen Kopf gucken können, um nicht immer auf Teufel komm raus drauf los raten zu müssen."
Lange kam nichts von mir und am liebsten wäre ich jetzt ganz tief im Erdboden verschwunden, für meine peinliche Direktheit. Erst als ich es neben mir Beben spürte, wagte ich einen kleinen Blick nach links.
Ein großer Fehler.
Denn so bemerkte ich, dass dieser riesen Idiot gerade allen ernstes versuchte, ein lautes Lachen zurückzuhalten.
Ich schüttete ihm gerade mein Herz aus und er hatte nichts besseres zu tun, als halb am Versuch leise zu sein zu sterben.
Als ich jedoch laut empört aufschnaubte und vielleicht etwas zu fest die Teetasse auf den Tisch stellte, konnte er sich nicht mehr zurückhalten und fing voll Hals an, zu lachen. Da er währenddessen auch noch so stark bebte und zitterte, stellte auch er den Wein beiseite und hielt sich lieber seinen anscheinend schmerzenden Bauch.
Wie konnte ein einziger Mensch nur so krank sein?!
"Das ist jetzt nicht dein Ernst?!", fauchte ich erbost, aber ihn ließ das völlig kalt.
Wie hatte ich auch nur einen kurzen Moment so etwas wie Sympathie diesem Arschloch gegenüber empfinden können?
》♢《
"Du bist wirklich das Allerletzte, Hunter Wyler", zischte sie.
Ihre Gesichtsfarbe war schon tief rot angelaufen, was wirklich nur geschah, wenn sie gleich vor dem Explodieren stand. Also probierte ich mich möglichst schnell wieder zu fassen.
Diese Gesichtsfarbe hatte ich bisher nur zwei Mal schon gesehen.
Bei unserer ersten Begegnung im Aufzug - was mich mehr amüsiert als geschockt hat, denn wenn ich ehrlich war, kam sie so ziemlich kindisch und lächerlich rüber - und dann noch erst vor kurzem. Hier in der Küche.
Als ich zum ersten Mal bemerkt habe, dass ich sie langsam aber sicher weich bekam.
Oder sie mich...
Stur verscheuchte ich den wahnsinnigen Gedanken. Ich tat das alles nicht umsonst. Es war nun mal ein Teil meines Planes, denn es galt, zuverlässig auszuführen.
Sie gehörte zu meiner Rache dazu.
Dafür, dass sie der Auslöser meiner sieben-jährigen Hölle war.
Wart' es nur ab, Hathaway.
Ich werde dein Herz stehlen und es gleich mit dir mit vernichten. Du wirst bezahlen. Du und alle anderen.
"Tut mir leid", sagte ich schließlich, als ich mich einigermaßen eingekriegt hatte, um sie etwas zu beruhigen.
Beleidigt verschränkte sie die Arme vor der Brust und sah stur nach vorne.
Jetzt war sie wohl wirklich wütend.
Dieser Umschwung ihrer Gefühle war unglaublich.
In einem Moment warf sie sich förmlich in meine Arme, als könnte sie es nicht glauben, dass ich meine Zeit auch woanders als bei ihr verbrachte und dann wütete sie schon herum und schmollte wie ein kleines Kind.
Sollte mal jemand aus ihr schlau werden.
"Es ist nur...Ich hätte nicht erwartet, dass du dich trauen würdest, so etwas so direkt auszusprechen."
Erstaunlich, wie sehr man mit einem Satz lügen konnte. Aber niemals würde ich die Wahrheit preisgeben. Vor allem nicht gegenüber ihr.
Denn sie hatte genau das selbe ausgesprochen, was mir manchmal durch den Kopf schoss - nur auf sie bezogen.
Wenn man es ganz knapp halten wollte: Alicia war eine verwöhnte Zicke. Sie bekam schon ihr Leben lang alles was sie wollte und kannte es nicht anders. Außerdem wurde sie viel zu schnell eifersüchtig und aufbrausend.
Aber dann gab es noch diese kleinen Momente.
Zum Beispiel, wie sich ein Mundwinkel von ihr immer spielerisch hob, sobald sie jemanden neckte. Oder wie sich ihre Wangen in einen zarten Rotton färbten, wenn ich sie mal wieder in Verlegenheit gebracht habe. Oder wie sich ihr fröhliches Lachen in meinem Kopf fest setzte und mich zwang mir zu wünschen, es immer wieder und wieder zu hören.
Sie verwirrte mich - sei es auch nur ihr wahnsinniger Mut oder ihre rechthaberische Intelligenz, mit der sie mich manchmal überraschte.
Und das war nicht gut.
Ganz und gar nicht.
"Du bist ein schlechter Lügner", murmelte sie kaum hörbar, was mir jedoch ein Lächeln ins Gesicht zauberte.
Wenn sie nur wüsste...
"Und du bist eine kleine Diva. Und ziemlich direkt", erwiderte ich also nur, als sie sich mit einem bösen Blick zu mir wandte und mir dann einen kleinen Klaps auf meinem Oberarm verpasste.
"Ich sagte doch, du bist ein mieser Lügner", gab sie nur trocken von sich, aber spätestens als sie bemerkte, dass meine Mundwinkel nach unten gerutscht sind und ich mir mit einem unterdrückten Schmerzlaut meinen Oberarm hielt, wich der Wut eine langsam aufkeimende Sorge.
"Alles okay?"
Ganz und gar nicht, aber das musste sie ja nicht wissen. Ich habe mich nicht umsonst eine ganze Woche lang bei Ash und seiner Mom verschanzt, nur damit ich jetzt einen auf verweichlichte Memme zu machen.
"Reingefallen, meine Schönheit. So schlecht bin ich wohl doch nicht im Lügen", zog ich sie auf, damit sie keine Fragen mehr stellte.
Ich wollte nicht, dass sie sich unnötig aufregte. Dass sie herausfand, was mich mein Plan gleichzeitig kostete.
Anders als erwartet, zierte kein schönes Lächeln ihre Lippen. Stattdessen kniff sie die Augen misstrauisch zusammen und ließ ihren Blick einmal an mir herab gleiten, bis sie erschrocken nach Luft schnappte
Schneller als ich wirklich mitkommen konnte, stand sie schon vor mir, die Hände in die Hüfte gestützt und funkelte streng zu mir herab.
"Ausziehen! Sofort!"
Perplex klappte mir der Mund auf und ich schaffte es eine Weile nur dämlich und mit großen Augen zu ihr hochzustarren, als ich das Lachen dann doch nicht länger zurückhalten konnte.
"Meinst du nicht, es geht etwas zu schnell? Wir könnten ja erstmal 'ne Runde rumknutschen und dann gucken, wie es sich mit dem Ausziehen ergibt."
Wie zu meinem gewünschten Effekt fing ihr Gesicht gleich auf eine amüsierende Art zu glühen an, aber das hieß nicht, dass sie jetzt auch das Thema einfach so fallen ließ.
"Ich meinte das nicht als Scherz und das weißt du auch ganz genau! Also los! Aufstehen und Oberteil ausziehen!"
Ich fühlte mich eingekesselt, in einer gefährlichen Falle sitzend und hatte keine Ahnung, wie ich da wieder rauskommen sollte.
Verflucht sei diese Frau und ihr hübscher Sturkopf.
Genervt erhob ich mich dann doch und stand nun direkt vor ihr. Sie musste den Kopf leicht in den Nacken legen, so nah waren wir uns schon, aber das schüchterte sie zu meiner Enttäuschung nicht ein.
Wenn sie's sehen will, soll sie es halt sehen. Aber wenn sie denkt, ich würde jetzt den Mund aufreißen und mich bei ihr ausheulen, da hat sie sich geschnitten.
Mein Gesichtsausdruck war genauso grimmig wie ihrer, als ich mit mehreren schnellen Bewegungen mein Hemd aufknöpfte und es mir dann von den Schultern strich.
Für einen kurzen Moment trat Stille zwischen uns ein. Dann verließ ein halb überraschter, halb gequälter Ausdruck ihren Mund.
"Oh Gott."
Die Worte hingen als ein kraftloses Hauchen in der Luft herum, doch viel härter traf mich ihr Blick, als sie ihren Kopf schwach hob.
All die Ausreden, die Lügen waren wie ausgewischt, ich konnte ihr nur in das dunkle Braun ihrer Augen sehen, das nur so vor Leid strotzte.
Ich verstand nicht, was sie hatte, immerhin hatte man ihre Brust nicht so zerschunden. Auf sie hatte man nicht wie verrückt eingestochen, nur weil man bei seinem größten Rivalen und Erzfeind entdeckt wurde.
Wieso tat mir ihr wässriger Blick nur plötzlich mehr weh, als die vielen, frisch verbundeten Wunden?
"Wer...wer hat dir das angetan?", wisperte sie kaum hörbar und hob dann schon in Zeitlupe ihre Hand.
Kurz vor meiner Brust erstarrte sie, ehe sie sie ganz vorsichtig, als würde ich sonst unter ihren Berührungen zerspringen, die Ränder meiner Verbänder nachfuhr.
Ohne es zu wollen, versteifte ich mich und hielt den Atem an. Die Schmerzen waren erträglicher, ich hatte schon schlimmeres erlebt, aber ich wusste nicht, ob ich ihre Berührungen lange überstehen konnte.
Als immer noch keine Antwort von mir kam, nahm sie fast schon ruckartig ihre Hand wieder weg und vergrub das Gesicht in ihren Händen.
Leise konnte ich sie sowas wie "Und ich habe mich dich auch noch hastig entgegen geworfen" und ein "Wo bin ich nur gelandet?" hören, da hob sie wieder mit festem Blick ihren Kopf.
Doch bevor sie mich wieder mit unendlichen Fragen überhäufen konnte, kam ich ihr zuvor.
"Ich sollte mich wohl langsam anziehen. Es ist schon ziemlich kalt."
Zu meiner Enttäuschung erwiderte sie mein Lächeln nicht, während ich mir mein Oberteil schnappte und es mir anzog.
Für einen kurzen Moment standen wir uns einfach gegenüber, ihr Ausdruck so dunkel wie noch nie zuvor, bis ich mich abwandte und an ihr vorbei ging.
"Es ist spät. Ich glaube, wir sollten langsam beide schlafen gehen."
Ohne mich nochmal umzudrehen, verließ ich das Wohnzimmer und ging in die Vorhalle, um mir erstmal meine Jacke überzustreifen und dann in meine Stiefel zu schlüpfen.
Schuldgefühle nagten an mir, meine Gedanken drehten sich im Kreis.
Ich wollte nur noch raus hier, die Flucht ergreifen, wie ich es nur allzu oft tat.
An der Tür zögerte ich, trat dann aber den ersten Schritt raus, als ich nicht weiter konnte.
Aus einem plötzlichen Reflex heraus, sah ich nach hinten und bemerkte, dass meine schlimmsten Gedanken sich wirklich bewahrheitet haben.
Genau hinter mir stand Alicia und hielt mich fest. Eine Hand krallte sich an meinem Rücken in meine Jacke, die andere hatte sie neben sich zur Faust geballt.
"Wirst du...", sagte sie so leise, dass ich sie zuerst fast gar nicht verstanden hätte. Ich spürte ihren warmen Atem, als sie versuchte sich zu beruhigen, konnte ihren süßen, unverkennbaren Duft bis zu mir vorne riechen und aufeinmal hatte ich das Gefühl, mein Herz würde am liebsten aus meiner Brust direkt in ihre Arme springen wollen. "Wirst du mir jemals die Wahrheit über dich erzählen?"
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Wer konnte einem Menschen, der einen noch so durchdringend und flehend ansah, in die Augen gucken und ihm sagen, dass er seinen Tod bedeuten würde?
Also lächelte ich nur.
"Bestimmt", erwiderte ich auf ihre Frage, obwohl ich etwas vollkommen anderes sagen wollte und ließ sie dann wirklich zurück.
Ich werde dein Herz nicht stehlen.
Du wirst bezahlen.
Aber nicht so. Denn ich habe das Gefühl, je näher ich deinem Herz komme...
desto näher kommst du meinem.