30. Entzug

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(POV. Karma)

Nagisas Bestrafung entpuppte sich schnell als meine eigene. Ich verspürte das nervige Bedürfnis zu ihm zu gehen, mich bei ihm zu entschuldigen und das alles als Witz zu bezeichnen. Und es machte mich irre.

Ihm ging es da nicht viel besser. Er fragte alle zwanzig Minuten nach der Uhrzeit, heulte sich oft in den Schlaf - wobei er beim Versuch, keinen Mucks von sich zu geben, kläglich scheiterte - und fing manchmal aus dem Nichts an zu sprechen, einfach weil er wusste, dass ich zuhörte.

„Karma . . ."

„Mir ist kalt." (Dann bekam er eine Decke.)

„Gehört die Dusche eigentlich auch zum Entzugsraum? Oder nicht?"

,,Du bist ein Arschloch." (Bei diesen Sätzen hatten die Dämonen die Erlaubnis, ihn mit einem Kissen abzuwerfen.)

„Karma?"

„Karmaa~ . . ."

Zugegeben, es war ziemlich unterhaltsam. Vor allem wenn er danach knallrot anlief und seine Stirn gegen die Wand stieß, als rutschten ihm die Worte von selbst raus.

Mit seinen Babysittern klappte alles wie geplant. Sie hörten auf das, was ich ihnen sagte und gingen gut mit ihm um. Wie es aussah hatten sie viele Jahre ihres Lebens in der Menschenwelt verbracht.

Ich war froh über diese Stütze. So konnte ich mich meinen eigenen Problemen widmen. Meine Sinne machten mir immer noch zu schaffen, genauso wie die Opfer meines Dads.

Es waren weitaus mehr als zuerst gedacht. Lag vielleicht daran, dass das Herz beim Rest nicht mehr so lebendig in der Brust klopfte.

Ich hab nicht mal in Betracht gezogen, dass er Tote einfach verwesen lässt, ohne sie zu begraben.

Und es waren viele. Manchmal bereute ich es, jetzt so viel Verantwortung tragen zu müssen. Aber dafür konnte ich jeden herumkommandieren wie ich's wollte . . . und das machte es Wert. Hah.

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In der Nacht auf den vierten Tag weckte mich Nagisas Herzschlag. Er beschleunigte sich so plötzlich, dass es mich hochfahren ließ. Ich bekam Gänsehaut und konzentrierte meine ganze Wahrnehmung auf den Raum.

Er hockte auf der Bettkante, zitterte wie unter Strom und presste die Hand auf seinen Brustkorb, als würde er ersticken. Sein Körper strahlte eine ungeheure Todesangst aus, doch am meisten triggerte mich der Fakt, dass er meinen Namen sagte. Immer und immer wieder.

Alarmiert legte ich den Zeigefinger an meinen Kehlkopf. „Seht nach ihm, sofort."
„Ja", ertönte es müde in meinem Kopf.
Ich biss unruhig die Zähne zusammen, während ich verfolgte, wie ein zweiter Herzschlag den Raum betrat.

„Karma?", keuchte Nagisa.
„Ich bin's", sagte der Dämon.
„W-Wo ist er?!"
„Er macht sich Sorgen um dich."
„Wo-?!"

Es war, als würde er hören, was der Dämon sagte, es aber nicht verstehen. Irgendwie tat mir weh, wie panisch er das Zimmer absuchte und verkrampft die Arme um seinen Körper schlang. Ich wollte zu ihm.

„Was hat er?", fragte ich gestresst.
„Ich glaub ne Panikattacke", flüsterte der Dämon zurück. „Was soll ich machen?"
„Rede mit ihm", antwortete ich. „Du musst ruhig bleiben. Mach Atemübungen vor oder so. Er hyperventiliert. Und sag ihm . . . sag ihm, dass ich da bin."

Ich errötete. Wie peinlich.

Er kniete sich vors Bett und tat wie gesagt. Anfangs schien es überhaupt nichts zu nützen, doch dann normalisierte sich Nagisas Herzschlag ganz langsam wieder. Schweißgebadet klammerte er sich an die Decke und unterdrückte ein Schluchzen.

Durch die Hölle mit dir - Karmagisa (laufend)Where stories live. Discover now