27. Attraktive Morde

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Meine Wunden schmerzten mehr denn je und der Blutgeschmack auf meiner Zunge wurde immer intensiver. Jeder Atemzug der schlafenden Dämonen hörte sich so an, als würden sie mir ins Ohr schreien und der Geruch ihrer Kleidung ging mir nicht mehr aus der Nase.

Das galt leider genauso für ihre Achseln. Uwahhh.

Wann würde das endlich aufhören? Ich wollte nicht mehr. Ich wollte ins Bett. Oder zu Nagisa. Oder zu Nagisa ins Bett. Irgendwas davon.

Ich versuchte von der Karte mit den Lichtpunkten wegzusehen und mich nur auf Nagisa zu konzentrieren. Mit zwei Augen, so, wie es sonst für mich Normalität gewesen wäre.

Nach ein paar Versuchen funktionierte es tatsächlich. Ich betrachtete Nagisas friedliches Gesicht und entspannte mich langsam wieder.

Sein Duft und sein Geschmack waren mir vertraut. Außerdem hörte sich sein Atem leise und sanft an und die vielen Muster seines Anzugs hatte ich noch nie auf diese besondere Weise gesehen. Erst jetzt erkannte ich, dass er aus feinen, zusammengenähten Schuppen bestand, wie bei einer Schlangenhaut.

Traurig aber wahr - bei den vielen Sinneseindrücken wirkte Nagisa wie eine Rose zwischen Unkraut. Wenn mich das auch irgendwie nervte.

Er ist zu leise.

Das hasste ich an seiner Spezies. Es war genau der Grund, weshalb er mir ein Jahr lang hatte folgen können, ohne bemerkt zu werden. Die Schritte der Schlange waren lautlos. Das machte sie als Killer nur noch unberechenbarer.

Wieder glitt mein Blick zu der Karte. Sie war in meinem Gehirn verankert wie ein sechster Sinn. Ich legte seufzend den Kopf zurück und schloss die Augen. Diese ganze Reizüberflutung ermüdete mich. Noch durfte ich aber nicht schlafen, da kam was, ich konnte es fühlen.

Mein Körper begann zu prickeln. Langsam ließ der Schmerz in meinem Rücken nach, sowie in den anderen Stellen, die bis vorhin noch so höllisch wehgetan hatten. Als würden sich meine Wunden schließen. Ich schlug die Augen auf und musterte meine Hand.

Korrektur - sie verheilte tatsächlich.
Fasziniert beobachtete ich, wie sich die Wunde Schicht um Schicht verschloss. Mein Blut war nicht mehr silber. Es war so gold wie Ichor.

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,,-rma? Karma! Komm schon!"

Etwas rüttelte meine Schulter. Ich blinzelte und hob den Kopf.
,,Verdammt." Karasuma seufzte erleichtert. ,,Ich dachte schon, du schaffst es nicht."
,,Uh- hä?"
,,Komm, steh auf."

Er packte meinen Arm, legte ihn über seine Schultern und zog mich kräftig auf die Beine. Ich taumelte. Seltsam, obwohl ich unverwundet war, war mein Körper schwer wie Blei. Ich konnte mich kaum bewegen.

Was soll das jetzt?

,,Du musst dich hinlegen", erklärte Karasuma neben mir. ,,Deine neuen Kräfte sind deinem Körper fremd. Er muss sich erstmal daran gewöhnen."

Ich hielt mir die Ohren zu. Er redete leise, und doch kam es mir vor, als würde er brüllen.
,,Wie lange war ich weg?", brachte ich heraus.

Diesmal flüsterte er: ,,Ich bin nicht sicher, wir waren alle bewusstlos. Ich habe davon gehört - die Druckwelle geht vom Thron aus, um den neuen König zu schützen. Wenn sie nicht alle im Raum ausgeknockt hätte, hätten dich die Dämonen in deinem Zustand sofort töten können."

,,Ah. Wie solidarisch", hauchte ich und sah zum Thron. Er hatte die Farbe gewechselt. Aus dem langweiligen Lila - der Farbe meines Vaters - war ein edles Rot geworden.

Besser so.

,,Wo ist Nagisa?"
Er musterte mich ernst, bevor er in die Mitte des Raumes deutete.

Die Dämonen waren verschwunden. Abgesehen von Nagisa, Nagini und uns zwei befand sich keiner mehr im Saal.
,,Er ist noch nicht bei Bewusstsein. Die Druckwelle hat ihn stärker getroffen als uns, wahrscheinlich weil er so klein ist."

Karasuma ging mit in die Knie, als ich mich vor Nagisa kauerte. Angestrengt hob ich seinen Kopf an und legte ihn auf den Bauch der Python. Sie züngelte, als wäre sie genervt darüber Kopfkissen spielen zu müssen, doch ich sah, wie beschützerisch sie ihn an sich drückte.

,,Jemand soll sich um ihn kümmern", murmelte ich und strich Nagisas Haare aus seinem Gesicht. ,,Jemand, dem ich vertrauen kann. Kannst du das organisieren?"
,,Klar", sagte Karasuma.

,,Danke. Bis dahin passt die Schlange auf ihn auf. Um die muss sich auch jemand kümmern." Ich rieb meine Augen.
,,Du gehörst ins Bett", erinnerte er mich.
,,Ja, ja."
Wir standen auf und steuerten auf mein Zimmer zu.

Es war still, bis sich Karasuma räusperte. ,,Also . . ."
,,Hm?"
,,Ich hab ein paar Fragen."
,,Okay. Wird das jetzt ein Interview?"
Er erwiderte mein Lächeln nicht. ,,Wer ist dieser Schlangenjunge?"

,,Du meinst Nagisa? Wir sind zusammen."
,,Wie bitte?" Wir blieben stehen.
Ich zog argwöhnisch eine Augenbraue hoch. ,,Was? Hast du was dagegen?"

Ich wollte mich schon aus der Stütze befreien um alleine weiterzugehen, doch er hielt mich fest. ,,Nicht weil er ein Junge ist. Aber dass es ausgerechnet er ist . . ."
,,Wieso? Ich dachte, ihr kennt euch."

,,Ja. Der Kleine war nie zu übersehen. Immer in deiner Nähe, mit der großen Python, und . . ."
Er hielt inne.

,,Und was?", hakte ich nach.
Seine dunklen Augen musterten mich besorgt. ,,Erinnerst du dich an die Dämonen, gegen die du früher so oft gekämpft hast?"

Ich grinste schwach. Zu gut.
Früher, wenn mir langweilig war, hatte ich als Lieblingsbeschäftigung Dämonen zu einem Kampf provoziert.

,,Tot", riss mich Karasuma aus meinen Erinnerungen. ,,Sie sind alle tot."
,,Was?"

Er nickte düster. ,,Nach einem Kampf habe ich einen Freund auf der Krankenstation besucht. Oder wollte es. Nagisa war bereits dort, ich habe gesehen, wie er ihm die Kehle aufgeschlitzt hat. Die Vorherigen starben am gleichen Tod."

Ich verzog das Gesicht. ,,Du machst doch Witze."
,,Ich wünschte es."
,,Dieser Idiot. Er hat ernsthaft jeden umgebracht, mit dem ich interagiert habe?"

Kein Wunder, dass er meinen Vater töten wollte . . .

,,Bei mir hat er es auch versucht", fügte er hinzu. ,,Wäre ich nicht stärker als er, hätte er es geschafft. Seine Mordlust ist außergewöhnlich. Jemandem wie ihm bin ich noch nie über den Weg gelaufen."

,,Ich weiß, was du meinst."
Wir schwiegen einen Moment lang.
,,Hat er was gesagt, als er dich angegriffen hat? Erklärt wieso, oder sowas?", erkundigte ich mich schließlich.

Karasuma blieb vor meiner Zimmertür stehen. ,,Ich wollte die Chance nutzen, um ihn danach zu fragen. Aber er hat sich geweigert zu antworten. Deshalb musste ich ihn gehen lassen."

,,Und du hast ihn nicht zum Reden gezwungen?", stichelte ich.
Er warf mir einen matten Blick zu. ,,Nein."

Ich lachte tonlos auf und umschloss die Türklinke, viel zu schwach, um sie eigenhändig runter zu drücken. ,,Ich sag dir, warum er es getan hat. Die Morde, meine ich."

Seine Augenbrauen hoben sich neugierig. ,,Aha?"
,,Er hat eine Obsession."
,,Obsession?", wiederholte er. ,,Was genau meinst du?"

,,Hehe. Nagisa hat mich ein ganzes Jahr lang durch die Hölle verfolgt, wollte sich an meinem Vater rächen, weil dieser mich gefoltert und seine Familie tyrannisiert hat und jetzt erzählst du mir, dass er nebenbei alle getötet hat, die mir zu nah kamen. Kannst du es dir nicht denken?"

Karasuma öffnete meine Zimmertür, ignorierte die Schlangenhaut auf dem Boden und schleppte mich aufs Bett zu.
Er sah fast verwirrter aus als vorhin. In diesem Thema war er so begriffstutzig.

,,Mord aus Liebe", fügte ich seufzend hinzu.

,,Hm. Wirklich gesund klingt das nicht gera-" Er erstarrte.
Ich legte den Kopf schief. ,,Ist was?"
,,Kann ich fragen, wieso du so grinst?"
,,Oh, das? Ich bin gerade gut drauf."
,,Gut drauf?"

,,Jaa." Ich gluckste. ,,Nagisa ist irgendwie . . . einfach so süß."

Durch die Hölle mit dir - Karmagisa (laufend)Where stories live. Discover now