Der Schrecken Der Nacht (III)

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Wir sind angekommen bei der Doppeltür die zur zentralen Halle führt und ich stoße sie auf. Das hätte ich nicht tun sollen.

Ein Großteil der Besatzung unseres Schiffes steht hier. Die ganze Halle voller Leute, aber niemand sagt ein Wort. Und als ich den Grund dafür sehe, verschlägt es auch mir die Sprache.

Vereinzelt in der Menge stehen große, weiße Gestalten. Sie erinnern nur entfernt an Menschen. Eher sehen sie aus wie runde, weiße Pfosten. Wie um ein Gesicht anzudeuten sind sie oben erst etwas schmaler, dann breiter und dann wieder schmaler. Und ab der Höhe, wo man Schultern erwarten würde, tragen sie weite, weiße Gewänder.

Bevor ich mich wundern kann, warum denn niemand etwas sagt oder tut, spüre ich es. Die Gestalten halten jeder einen langen, weißen Stock in den Händen - oder irgendwelchen anderen Gliedmaßen, die sie unter ihren Gewändern verstecken. Diesen Stock bewegen sie nun alle gleichzeitig in einer weiten Bewegung horizontal über die Menge. Und ich spüre die Kraft, die davon ausgeht.

Meine Knie beugen sich und kurz darauf knie ich mit allen anderen auf dem Boden der Halle. Ich sehe, wie sich manche versuchen, zu widersetzen. Dann beugt sich mein Kopf unterwürfig nach vorne und ich sehe nichts mehr als den harten Boden.

Was ist hier los? Solche Gestalten habe ich noch nie gesehen. Ich versuche, es zu begreifen, aber mein Kopf sagt nur "Error". Dies ist eine Situation, auf die uns keiner vorbereitet hat. Feindliche Wesen, die auf unser Schiff kommen und uns unterwerfen, ohne dass wir auch nur irgendetwas dagegen tun können.

Ich spüre, wie ihre Kraft versucht, auch in meinen Geist vorzudringen. Wie Gift, das in mein Hirn tropft, mich lähmen und gefügig machen soll. Ich versuche zu kämpfen. Innerlich. Doch ich merke, ich halte es nicht mehr lange durch.

Dann sehe ich etwas aus dem Augenwinkel. Zoe, die kleine Zoe, die mir immer das Gefühl gibt, sie beschützen zu müssen, hat sich ein kleines Stück nach vorne bewegt. Ihr Blick ist fest entschlossen, so entschlossen, wie ich gerne wäre. Sie schaut mich an. "Du kannst das," formen ihre Lippen. Das gibt mir die Kraft die ich brauchte. Ich bin nicht allein.

Ich richte meinen Kopf auf, und sehe, wie Andere dasselbe tun. Die Wesen haben Macht über uns, aber nur teilweise. Wir sind stark.

Eine Welle der Hoffnung durchflutet mich. Ich springe auf. Wir werden uns nicht kampflos bezwingen lassen. Zoe tut es mir gleich und bald knien immer weniger Menschen auf dem Boden. Ich möchte auf die nächstbeste Gestalt zugehen, doch plötzlich sind sie alle verschwunden.

Ich blicke mich ratlos um. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie einfach so verschwunden sind. In Luft aufgelöst. Und doch scheint es so zu sein. Leute klopfen sich die Knie ab, nehmen einander in den Arm. Der Schrecken steht ihnen noch in die Gesichter geschrieben, aber es scheint vorbei zu sein. Ich will dem allerdings noch nicht so recht glauben. Ich drehe mich zu Zoe, um sie zu fragen was sie von der Sache hält.

Doch bevor ich etwas sagen kann, schreit sie: "Pass auf!" Ich drehe mich wieder um und glaube fast, ich wäre in einem schrecklichen Albtraum gelandet.

Die weißen Gestalten sind zwar nachwievor verschwunden, aber an genau denselben Stellen sind andere Wesen aufgetaucht. Man könnte fast meinen, diese wären Menschlich, würden sie nicht alle exakt gleich aussehen.

Ihre Gesichter sind faltig, ihre Haut sonnengebräunt. Sie sehen alt aus, aber keineswegs schwach. Mich erinnern sie noch am ehesten an bösartige Onkel. Grimmig. Ich habe zwar noch nie einen Onkel gesehen - Familien gibt es schon lange nicht mehr - aber irgendwie drängt sich mir dieser Begriff auf. Egal.

Anders als die ersten Eindringlinge, scheinen diese uns nicht alle durch irgendeine Macht unterwerfen zu wollen. Bevor ich mir allerdings einen genaueren Überblick verschaffen kann, sehe ich, dass einer von ihnen von hinten auf Zoe zukommt. "Zoe!" Ich renne dazwischen. Wenn jemand es verdient, hier lebendig raus zu kommen, dann sie.

Der Onkel bleibt etwa drei Meter entfernt stehen und schaut mich an. Er hat keinerlei Waffen dabei. Eigentlich sollte es dann ja ein leichtes sein, ihn aufzuhalten. In den Übungssimulationen mussten wir meistens auch noch aufpassen, nicht von irgendwelchen Waffen getroffen zu werden.

Ich ziele auf seine Schulter und bewege meinen ausgestreckten Arm mit flacher Hand schnell schräg nach unten. Ich spüre die Luft wie immer an meiner Hand vorbei ziehen. Ich habe diese Bewegung schon hunderte Male ausgeführt, bis ich gelernt hatte, meine Absicht dahinter genau zu bündeln. Nicht zu stark, nicht zu schwach. Ich habe sie bis zur Perfektion geübt.

Darum bin ich verwundert, als ich keinen Schlitz in seinem Hemd sehe. Kein roter Fleck, der sich ausbreitet. Ich versuche es noch einmal, nun von links. Wieder geschieht nichts. Der Mann macht einen Schritt auf mich zu und ich beginne in Panik zu geraten. Warum hat meine Kraft keinen Effekt?

Meine ganze Ausbildung zielte darauf ab, sie kontrollieren zu lernen, sie zu stärken und zu richten. Sie einsetzen zu können ohne lange darüber nachdenken zu müssen. Diese geheime Kraft, die wir Kinder bis zu unserem achtzehnten Geburtstag haben. Die bis dahin immer stärker wird. Nicht umsonst sind gerade wir, die fast erwachsen sind, nun hier auf diesem Schiff.

Ich ziele immer schneller auf den Onkel, der langsam weiter auf mich zukommt. Von links, rechts, vorne, oben, unten. Meine Bewegungen werden immer unkontrollierter und ich habe das Gefühl, ich werde es nicht viel länger durchhalten. Mein Herz klopft in meinem Hals. Ich versuche ihn irgendwie zu treffen, aber es ist jeder Mal so, als würde ich auf einen Wiederstand stoßen. Was ist hier los?!

Es hat keinen Sinn, meine Kräfte weiterhin so zu verschwenden. Ich renne weg von diesem Wesen, am Rand der Halle entlang. Außer Atem schaue ich kurz auf meine kämpfenden Kameraden. Sie haben genau so wenig Erfolg wie ich.

Da sehe ich bei der nächsten Eingangstür eine lange Frau. Sie ist vollkommen in grün gekleidet. Sie wirkt elegant und selbstsicher. Ich habe sie noch nie gesehen.

Sie steht einfach nur dort, ihr Gesicht konzentriert auf das Geschehen in der Halle gerichtet. Dann merke ich, dass ihre Finger komplizierte Bewegungen machen. Sie murmelt etwas. Und ich verstehe plötzlich: sie muss diejenige sein, die diese Wesen kontrolliert.

Sie hat mich noch nicht bemerkt. Ich schleiche mich von der Seite an und nehme all meine übrig gebliebene Kraft zusammen. Ich konzentriere mich wie noch nie und bewege meinen ausgestreckten Arm. Jetzt oder nie!

Ich habe kaum zu der Bewegung angesetzt, als ich eine gewaltige Kraft spüre, die mich aufhält. Dieser Wiederstand ist größer als alles, was ich jemals erlebt habe. Es ist als würde mein Arm von meinem Körper gerissen und ich stürze nach hinten. Die Frau hat sich nicht einmal zu mir umgedreht.

Unsere Kraft, die in geheimen Laboren entwickelt wurde und die niemand außerhalb unserer Akademie kennen sollte, kann diesen Wesen und erst recht dieser Frau nichts anhaben. Wir dachten, der Feind wüsste nichts von unserer Geheimwaffe. Wo er doch mit seinem Heer aus stählernen Kriegsschiffen nichts als physische Stärke ausstrahlt. Da hat er uns wohl klug hinters Licht geführt.

Ich sehe noch gerade, wie die Männer, diese grimmigen Wesen, meine erschöpften Kameraden in Gruppen zusammentreiben. Ein paar Männer verschwinden in den Korridoren, wahrscheinlich um die Kabinen nach weiteren Leuten zu durchsuchen. Ich versuche noch einen Blick auf Zoe und die Anderen zu erhaschen, aber ich sehe sie nicht.

Dann wird mir schwarz vor Augen. Es ist vorbei.

Ich sehe was, was du nicht siehstWhere stories live. Discover now