Der Schrecken Der Nacht (I)

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Es ist Nacht und doch keineswegs dunkel. Licht scheint hell durch das Bullauge und erleuchtet die Gesichter meiner Mannschaft in unserer kleinen Kabiene. Wir alle spüren die Spannung, die in der Luft liegt. Stille vor dem Sturm. Bald wird der Moment gekommen sein, auf den wir so lange hingearbeitet haben. Das einzige Ziel unserer Ausbildung fast in Sichtweite. Es fühlt sich seltsam an.

Alle sind still. Sven, Julia und Ron schauen nach draußen. Zoe erscheint noch kleiner als sonst, fast unsichtbar. Sogar Judith und Mark, die sonst immer laut sind, halten sich heute Nacht zurück. Wir alle wissen, dies ist definitiv das Ende unserer Kindheit. Und doch werden manche von uns wohl auch nicht mehr erwachsen werden.

Aber solchen Gedanken sollte ich, unser Truppenkommandant, mich nicht hingeben. Grübeln wird uns nicht weiterhelfen. Wir sind bestens vorbereitet und nur wer Zuversicht besitzt, kann siegen.

Allerdings bin ich heute nicht zu glücklicheren Gedanken als diesen im Stande. Es gibt im Grunde nichts anderes, woran ich denken könnte, als den uns bevorstehenden Tag. Also schaue auch ich durch das Bullauge unseres Schiffes nach draußen. Wir haben Glück, das Schauspiel vor unseren Augen mit ansehen zu können. Die Truppen mit einer Kabiene an Bakboord können nur das dunkle Ufer sehen. Wobei mir das vielleicht auch lieber wäre. Es würde mir vielleicht etwas mehr Ruhe und Zuversicht geben als dieser Anblick. Und doch kann ich meine Augen nicht davon abwenden.

Hunderte um hunderte Schiffe, hell erleuchtet, liegen im Meer vor Anker. Eine Kriegsmacht, dessen Ende nicht in Sicht ist. Und es kommen ständig neue Schiffe hinzu. Nicht etwa über das Wasser. Nein, an langen Stahlseilen werden sie aus dem Himmel hinabgelassen. Dieses ganze riesige, wachsende, leuchtende Heer liegt dort still und wartet.

Wir, mit unseren wendigen Segelbooten, fahren über den schmalen Streifen zwischen ihm und der Küste. So klein und verwundbar. Das Monster liegt dort und man wundert sich, warum es noch keine Klaue ausgestreckt und die kleinen Insekten, die ihm da vor dem Kopf herschwirren, gefangen hat. Warum es uns passieren lässt. Ja, wir haben das internationale Seerecht auf unserer Seite. Und doch ist es verwunderlich.

Allerdings habe ich schon vor langer Zeit aufgehört, mich über die Beschlüsse unserer Ausbilder und Generäle zu wundern. Ihre Befehle zu befolgen, so sonderbar sie auch manchmal erscheinen mochten, hat uns noch nie geschadet. Außerdem sind wir längst nicht so verwundbar wie es scheint. Es gibt einen Grund, warum ausgerechnet wir in diese Schlacht geschickt wurden, obwohl wir fast noch Kinder sind. Nämlich weil wir fast noch Kinder sind. Denn darin liegt unsere größte Kraft und unser größtes Geheimnis.

Judith räuspert sich, als ob sie etwas sagen möchte, aber bleibt dann doch still. Ich weiß, es ist nicht leicht für sie, die immer in Aktion sein möchte. Aber der letzte Befehl unserer Generäle war es, zu warten. Also werden wir hier bleiben müssen, bis wir mehr erfahren, so schwierig das auch sein mag.

Mittlerweile warten wir schon wirklich lange. Wie lange, kann ich genau nicht sagen. Mir ist jegliches Zeitgefühl abhanden gekommen, so gleichförmig, abwartend, seltsam ist diese Nacht. Meine Gedanken kreisen um den nächsten Tag, aber irgendwie bin ich auch entspannt. Dies ist unser Schicksal, es führt kein Weg vorbei. Und doch macht mich das Ausbleiben von weiteren Befehlen langsam nervös. Sollten wir nicht bald unsere Anweisungen bekommen für Morgen?

Ich gehe die kleine Treppe hinauf, öffne die Tür unserer Kabiene und schaue auf den Flur. Keine Menschensseele ist zu sehen. Seltsam, normalerweise gibt es immer ein paar Wächter. Ich trete einen Schritt hinaus und blicke mich noch weiter um. Nur die Leuchtstoffröhren, die sich im Fußboden spiegeln, und die langen Wände, gesäumt von Türen wie die unsere, sind zu sehen. Rechts enden sie bei der Treppe, die sich nach oben und unten schraubt, links bei der Doppeltür, die zur zentralen Halle führt.

Die anderen schauen mich fragend an und ich sage ihnen, dass keiner zu sehen ist. Verunsicherung macht sich auf ihren Gesichtern breit und sie fragen mich, war wir nun tun sollen. Ich hole schon Luft um eine Antwort zu geben, von der ich selbst noch nicht weiß, was sie beinhalten wird. Doch dann, nur zu hören wegen der fast erstickenden Stille. Von links.

Ein Schrei.

Ich sehe was, was du nicht siehstWhere stories live. Discover now