Er schnaubte verächtlich. »Das habe ich ganz sicher nicht für dich getan. Ich brauche dich, um Matt aus dem Drecksloch zu holen, schon vergessen?«

Natürlich. Deswegen hatte er mich nicht einfach ausgehändigt. Er brauchte mich für seine Rettungsaktion. Wissend senkte ich den Blick. »Ich weiß«, murmelte ich leise. »Und ich werde dir helfen, versprochen.«

Selbstbewusst brummte er. »Oh, dafür werde ich sorgen, keine Angst.« Danach drehte er sich wieder weg und lief weiter.

Seufzend schulterte ich meinen Rucksack, den ich hatte liegen lassen und er mitgenommen hatte und folgte ihm.



Es fing an zu donnern, Blitze hellten immer wieder den Himmel auf und dann versank der Wald wieder in tiefer Dunkelheit. Ich zog mich so tief in der Decke zurück, dass ich mich kaum noch bewegen konnte. Aber auch das schaffte es nicht, mein Zittern zu unterdrücken. Diese Nacht war kälter als sonst. Nicht nur das Wetter machte mir zu schaffen, sondern auch dieses erbärmliche Erschüttern in meiner Brust. Es war als würde ich von innen heraus frösteln und zittern. Meine Zähne klapperten ununterbrochen aufeinander, auch wenn ich sie fest zusammen biss.

Die kleinen Wassertropfen, die sich letztendlich auch dazu entschlossen mich in dieser Nacht nicht schlafen zu lassen, brachten ein Fass in mir zum Überlaufen. Ich warf einen unsicheren Blick in Jacks Richtung. Er war gewaltig auf Abstand gegangen und saß an einen Baum gelehnt, schnitzte mit seinem Messer an einem Stock nach dem anderen und ignorierte mich gekonnt. Mein Angebot, die Decke zu teilen weil es diese Nacht zu kalt war, hatte er abgelehnt. Es allein für sich beansprucht hatte er aber auch nicht - was ich als ein gutes Zeichen deutete. Er schien immun gegen die Kälte, aber das kaufte ich ihm nicht ab. Kein Mensch konnte gegen eine solche Eiseskälte durchhalten. Wieso trug ich nur einen Pullover? Wieso hatte ich nicht an meinen Mantel gedacht gehabt?

Trotz dieser Entfernung konnte ich erkennen, dass Jack unter diesen großen Bäumen vom Regen verschont wurde. Ich hingegen bekam den ein oder anderen Tropfen ab obwohl es noch nicht schüttete. Aber auch wenn ich am Ende klitschnass wäre, würde ich mich nicht mehr in Jacks Nähe wagen. Nicht weil ich Angst vor ihm hatte, sondern weil ich mich für meine Dummheit schämte. Für meine Dummheit, die ihn so zugerichtet hatte. Sein Gesicht wies einige blaue Flecken auf, die morgen sicher schlimmer aussehen würden als heute und auch sein Gang hatte sich geändert. Er war schleppender.

Natürlich könnte ich tiefer in den Wald dringen damit mich die langen Äste der Bäume vor dem kalten Regen schützten, aber ich musste in Jacks Sichtfeld bleiben, sagte er, er würde mich diesmal nicht mehr aus den Augen lassen. Das hatte er gesagt, aber mich dennoch keines Blickes gewürdigt.

Mein schlechtes Gewissen plagte mich. Ich kam mir mehr als selbstsüchtig und gedankenlos vor, weil ich nicht an seinen Freund Matt gedacht hatte. Weil ich nicht daran gedacht hatte, welche Schwierigkeiten Jack dabei haben würde diesen sechzehn jährigen Jungen ohne mich zu befreien.

Unter der Decke rieb ich mir die Arme und presste die Knie enger an meinen Körper als sie schon waren. Meine Haare hatte ich unter die Kapuze gestopft, aber so langsam wurde meine Kleidung feucht.

Ich schloss die Augen, in der Hoffnung das Gewitter durch schlafen zu überstehen und morgen zu einem besseren Tag aufzuwachen. Aber als es lauter als je zuvor donnerte und nach wenigen Sekunden ein Blitz einschlug, riss ich die Augen wieder auf. Unwillkürlich hatte ich mich aufgerichtet und sah zu Jack. Doch wie die ganze Zeit über bereits, hatte er seinen Blick überall hingerichtet, aber vermied meine Richtung. Auch er hatte seine Jacke fest um sich geschlungen und saß nun Arme verschränkt da und starrte Löcher in die Leere. Sein Blick war düster.

Ob er es mir übel nahm? Dumme Frage. Natürlich tat er das. Ich nahm es mir selbst übel. Zwar aus einem anderen Grund als er, aber immerhin konnten wir uns einig darüber sein, dass ich einen dummen Fehler begangen hatte.

Ihm ging es mehr um seinen Freund, während ich an den Moment zurückdachte, in dem wir gemeinsam gelacht hatten. Ich dachte an den Moment zurück als er sich auf ein Gespräch mit mir einließ, um mich von meiner Angst und Panik zu befreien, um mich abzulenken. Ich dachte auch daran, dass er zuvorkommend genug war und mich nicht auf meine schwache Panikattacke angesprochen hatte.

Und was hatte ich getan? Ich hatte ihn angelogen.

Aber konnte er denn nicht verstehen, dass ich eine Gefangene war? Dass ich mich nach meinem Dad sehnte, dass ich nachhause wollte? Konnte er nicht einsehen, dass ich nicht ins schwarze Viertel gehörte? Jeder im schwarzen Viertel hasste mich ohne überhaupt zu wissen, dass ich die Tochter des Feindes war. Sie wussten es nicht und behandelten mich wie Dreck. Wie lange konnte ich dort überleben, wann würde die Wahrheit ans Licht kommen? Mit jeder Minute, die ich dort verbrachte, riskierte ich mein Leben. Sie würde mich niemals am Leben lassen. Sie konnten mich kaum jetzt ertragen. Mia hingegen fühlte sich dort pudelwohl. Sie wollte bestimmt auch zurück nachhause, aber machte das beste aus der Situation. Ausgerechnet Mia. Mia, die aus Angst kein einziges Wort über die Lippen gebracht hatte als man uns vor paar Wochen in dieser Schlucht fand. Wie konnte es sein, dass meine Anwesenheit sie unbehaglich auf dem Stuhl hin und her rutschen ließ, wenn doch ich auf ihrer Seite war und die Anderen unsere Gegner waren?

Vielleicht hatten sie sie bestochen oder gar bedroht? Wie lange würde sie mein Geheimnis noch hüten? Wie lange noch bis sie weich wird und alles ausplaudert?

Nein, ich konnte nicht zurück ins schwarze Viertel. Ich musste hier früher oder später weg. Und umso früher, umso besser.

Aber davor wollte ich helfen. Matt befreien und dann das Weite suchen. Das war der neue Plan und nichts würde mich davon abhalten nachhause zu gehen.




Ich wurde an der Schulter wach gerüttelt. »Wir gehen jetzt los, steh auf.«

Verschlafen gähnte ich ausgiebig und öffnete die Augen. Aber nur zu schmalen Schlitzen, da ich nicht wusste was mich gleich erwarten würde. Ich erkannte Jack, der sich gerade die Jacke überzog und auf mich wartete. Nun öffnete ich die Augen komplett und bemerkte sofort, dass ich nicht da war, wo ich gestern eingeschlafen war. Wie konnte ich überhaupt so schnell in einen Schlaf gleiten? Das letzte, an das ich mich erinnerte war, dass Jack noch immer hellwach in die Luft starrte und es anfing zu regnen. Aber da hatte mich auch schon die Erschöpfung der letzten drei Tage eingeholt. Bei Jack konnte ich mir sehr gut vorstellen, dass er die ganze Nacht nicht geschlafen und Wache gehalten hatte, da wir nun näher an dem blauen Viertel waren und die jugendliche Gruppe sich noch da draußen irgendwo aufhielt.

Ich streckte mich aus und nickte. Unsere Aufgabe fing jetzt erst an und ich hatte schon vieles vermasselt. Ich durfte mir keinen weiteren Fehler leisten, wenn ich wollte dass Jack mir wieder vertraute. Deswegen streifte ich die Decke von meinen Schultern und stand auf. Wieso ich plötzlich unter einem dieser riesen Bäume mit langen Ästen befand und warum ich trotz des Regens noch trocken war, fragte ich mich erst gar nicht, sondern warf mir meinen Rucksack um die Schultern und sagte nur: »Ich bin bereit.«

Das ist das Ende des Lesetags. Nächsten Freitag folgt wie gewöhnlich das nächste Kapitel.

Ich hoffe euch hat es gefallen. Würde mich sehr über eure Meinung über die bisherigen Kapitel freuen :)

Red Princess - Die Suche nach der Roten PrinzessinWhere stories live. Discover now