Kapitel 77

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Belle

»Sie sollten etwas zu sich nehmen.«, riet mir Andrew als ich wieder mein Gleichgewicht fand. »Ich begleite Sie zu ihrer Unterkunft und suche dann die Küche auf.«

Mich packte die Übelkeit. Ich ring mit mir selbst. Die Luft wurde dünner und fühlte sich kalt in meinen Lungen an. Ein ungutes Gefühl setzte sich mir in den Magen und hielt mein Innerstes in einer eisernen Faust umklammert. »Bring- Bring mich zu meinem Vater.« Ich musste zu ihm. Ich musste nach ihm sehen.

»Natürlich. Wenn Sie den Weg führen...« Meine Glieder zitterten. »Miss?«

Jack setzte sich in Bewegung. Er verabschiedete sich nicht von Layla, sondern kam geradewegs auf uns zu. Noch immer hielt ich mich an Andrew, um nicht auf die Knie zu fallen. Warum kam er? Warum gesellte er sich plötzlich zu uns? Wohin war er vor Kurzem verschwunden?

»Belle«, kam er vor mir zum Stehen. »Hast du kurz eine Minute?«

Krampfhaft versuchte ich mir nicht anmerken zu lassen wie sehr es mir zusetzte, dass er mich nicht nach meinem Wohlergehen fragte und nickte zögernd. Dabei rief ich mir wieder alles in Gedanken ein. Warum wir uns gestritten hatten. Warum wir getrennte Wege gingen. Warum er sich auf meine Seite geschlagen hatte. Nur um mein Vertrauen zu gewinnen. Die Erinnerung half mir meinen Blick zu kühlen, meine Augenbrauen in die Mitte zu ziehen und das Feuer in meinen Augen zu entfachen.

»Allein.«, setzte er mit einem kurzen Blick auf Andrew hinzu.

Ich verdrehte die Augen und überwand mich ihn loszulassen, um auf eigenen Beinen zu stehen. Doch Andrew blieb und schien auf einen Befehl meinerseits zu warten. »Ist schon gut.«, sagte ich daher und nickte in die andere Richtung. »Ich komme gleich nach.«

Andrew ließ sich nichts anmerken, aber entfernte sich mit langsamen Schritten von uns. Und wie ich bemerkte stellte er sich dahin, wo er uns noch beobachten konnte. Aber in weiter Entfernung.

»Wer-«

»Komm zum Punkt.«, unterbrach ich ihn.

Jack biss die Zähne zusammen, aber dann fiel sein Blick auf meine Halskette und sein Blick wurde weicher. Ich erwartete, dass er dazu einen Kommentar abgeben würde, aber er riss seine Augen davon und sah mich an. »Morgen findet das Treffen statt. Vielleicht wäre es sicherer, wenn du mir das Armband bis dahin übergibst.«

Ach da war ja noch diese Sache. Super. Meine Schläfen pochten und wurden von Sekunde zu Sekunde lauter. Traute er jetzt mir jetzt nicht einmal mehr das zu? »Ich- Das Armband bleibt bei mir.«, schluckte ich. Ich hasste es lügen zu müssen. Mir wurde schlecht.

Sichtbare Verwirrung kennzeichnete sein markantes Gesicht. »Was ist los?«

Sollte ich ihm davon erzählen? Mein Finger zuckte als ich mit dem Gedanken spielte. Aber was, wenn er mich verriet? Was, wenn er mir in den Rücken fiel? Wie sollte ich mich den anderen erklären? Ich brauchte noch ein wenig Zeit, um meine Worte zurecht zu legen. Genau als ich den Mund öffnete, um mir irgendeine Lüge auszudenken, kam er mir zuvor: »Es ist meine Schuld. Ich habe dein Vertrauen gebrochen, aber wenn es etwas ist wobei ich dir helfen kann... Dann lass mich dir helfen.«

Wie hatte er erkannt, dass ich vorhatte zu lügen? Seufzend senkte ich den Blick. Er hatte seine Hoffnungen in mich gesetzt. Und ich hatte versagt.

»Okay.« Jack bedrängte mich nicht und wandte sich stattdessen zum gehen, aber ich hielt ihn am Ellbogen zurück. Verwundert erwiderte er meinen Blick. Ich musste es ihm sagen. Ich musste mit jemandem darüber reden. Diese Last brachte mich beinahe um. Und vielleicht konnte er mir beistehen?

»Es- Ich habe das Armband nicht.« Mein Griff löste sich von ihm und verkrampfte sich in meinem Oberteil. Nur mit Mühe schaffte ich es nicht in Tränen auszubrechen. Es auszusprechen machte mir nur nochmal klar in welchem Schlamassel ich steckte. Was ich verbockt hatte.

Jacks Gesicht verzog sich in Überraschung. Es dauerte eine Weile bis die Bedeutung meiner Worte bei ihm vollständig ankam. »Das ist ...« Er suchte nach den richtigen Worten. »...ein Problem.«

»Das ist mir bewusst.« Nervös spielte ich mit meinen Händen. Morgen musste ich es allen erklären. Morgen würden mich alle vorwurfsvoll anschauen und den Kopf über die kleine unerfahrene Prinzessin schütteln. Warme Hände schlossen sich um meine und drückten sie. Diese Geste schenkte mir seltsamerweise Trost.

»Wir werden schon eine Lösung finden. Meinetwegen kehre ich zurück und stelle den Palast auf den Kopf um dein Armband zu finden. Mach dir nicht zu viel Gedanken darum. Du solltest etwas essen und dich ausruhen. Morgen wird ein langer Tag, aber wir schaffen das schon.«

Mein Kopf schoss hoch. Wir werden schon eine Lösung finden. Wir schaffen das. Wir. Mit diesem einzigen Wort fühlte ich mich auf einmal weniger einsam. Es fühlte sich an als hätte sich meine Last gerade geteilt. Aber das Problem bestand immer noch. Das Armband war immer noch verschwunden. Das Treffen stand noch bevor. »Wie soll das gehen, Jack? Alle haben mir vertraut. Alle haben seine Hoffnung in mich gesetzt und ich habe es vermasselt. Ich habe jeden im Stich gelassen. Ohne das rote Armband kann ich nicht viel bewerkstelligen! Wie soll ich mich der Öffentlichkeit ohne zeigen? Wie soll ich den anderen Anführern entgegentreten? Meine erste Aufgabe als die nächste Anführerin habe ich bereits verhauen.«

»Du wirst eine hervorragende Anführerin. Da bin ich mir sicher. Und ein Armband wird das nicht ändern. Du hast noch viel zu lernen, aber du bist zielstrebig. Ich glaube an dich.«, drückte er meine Hand. »Ich werde niemandem davon erzählen. Das ist deine Aufgabe, aber ich werde an deiner Seite stehen und dir Halt geben, wann immer du es benötigst.«

Darauf hatte ich nichts zu erwidern. In meinem Bauch tanzten die Glücksgefühle. Auch wenn ich es versuchte zu unterdrücken fühlte ich mich in seiner Nähe geborgen und in Sicherheit. Ich vergaß meinen Zustand, vergaß das, was zwischen uns vorgefallen war und schlang ohne groß nachzudenken meine Armen um ihn.

Sein betörender Duft stieg mir in die Nase als ich meinen Kopf auf seine Schulter ablegte. Jacks stocksteifer Körper entspannte sich nach einer Zeit und kräftige Muskeln hüllten mich ein. In dieser Umarmung spürte ich die Sehnsucht und das Verlangen, die uns beide plagten. Ich könnte ewig so verweilen. Meine Augenlider wurden schwerer und ich hatte Mühe wach zu bleiben. Die Dunkelheit zerrte an mir. Und ausnahmsweise kämpfte ich nicht mehr dagegen an.

Red Princess - Die Suche nach der Roten PrinzessinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt