Wir hatten seit der letzten Pause keine mehr eingelegt und wanderten ununterbrochen weiter. Meine Beine taten mir mit jedem Schritt weh und die Fußsohlen brannten wie als wäre ich barfuß über einen Feuerameisenhaufen gelaufen. Ungewollt stöhnte ich erschöpft auf und blieb stehen. Jack, der dank den Schellen ohne mich nicht weiter konnte, drehte sich zu mir und sah mich genervt an. Es war bereits ein weiterer Tag vergangen, die Sonne hatte sich gezeigt und verschwand allmählich wieder hinter den dichten Bäumen. »Ich kann nicht mehr!«, jammerte ich.

Stöhnend warf Jack den Kopf in den Nacken. »So kommen wir nie an!«

»So komme ich nicht lebend an!«, entgegnete ich. »Bitte, nur eine kleine Pause.«, flehte ich beinahe schon.

Er stieß ein frustriertes Seufzen aus und nickte zu meinem Glück. »Zwei Stunden, dann geht's weiter.«

Ich versuchte ihm meine Freude darüber nicht zu zeigen und ließ mich auf den Boden fallen, ihn riss ich automatisch mit. Wütend schnaubte er, aber sagte nichts dazu. Mein Herz hatte einen Schlag ausgesetzt aus Angst er würde jetzt die Beherrschung verlieren und mich angehen. Allgemein zählte ich nur noch die Minuten bis er sich zu dem Farblosen verwandelte, den ich am ersten Tag kennengelernt hatte.

Schwer schluckend wich ich ihm soweit es ging aus und öffnete den Rucksack, um mir Wasser herauszuholen. Durstig leckte ich mir über die Lippen und kippte mir fast die halbe Flasche runter. Während mir die klare Flüssigkeit den Hals runter floss, schloss ich wohltuend die Augen. Dann legte ich diese wieder zurück und griff nach einem kleinen Brot, das mit Butter aufgestrichen war. Auch Jack hatte sich etwas zu essen genommen und mahlte.

Wir aßen schweigend, wir beide waren hungrig gewesen und hatten uns insgeheim nach einer Pause gesehnt. Ich fragte mich, wann er vorhatte so eine Pause einzulegen, wenn ich sie nicht jetzt vorgeschlagen hätte. Wäre er weitergelaufen bis uns die Beine nicht mehr tragen konnten?

»Du starrst schon wieder«, bemerkte er augenrollend obwohl er mich gar nicht ansah, aber diesmal klang es nicht gereizt, sondern mehr erschöpft.

Sofort sah ich weg, aber nach nicht mal ein, zwei Sekunden starrte ich ihn wieder an. »Darf ich dich was fragen?«, traute ich mich.

Wir waren zusammen gefangen in einer Situation, die wir beide nur gezwungenermaßen ertragen mussten. Da konnte ich diese Chance auch dazu nutzen, meine Neugier zu stillen.

Und bevor er verneinen konnte, fuhr ich fort: »Du meintest, dass man dich als Kind ausgesetzt hat.« Das hatte er mir in meiner ersten Nacht in seiner Hütte erzählt gehabt. »Was ist mit deinen Eltern?« Aus irgendeinem Grund glaubte ich nicht, dass sie mit ihm im schwarzen Viertel waren, wenn er als Kind von der Regierung ausgesetzt wurde, wie er doch so behauptete.

Gespannt wartete ich auf eine Antwort, aber er starrte stur das Brot in seiner Hand an und kaute auf einmal langsamer. Bis er es schließlich schwer runterschluckte und mich anschaute. Seine Augen waren düster und mit dunklen Schatten geschmückt, sie waren anders. Nicht die dunklen Augen, die mich am ersten Tag gegen einen Baum gedrückt und mir gedroht hatten. Nicht die Augen, die mich giftig und voller Zorn anfunkelten sobald sie mich erblickten. Sie waren düster, weil ich einen Schwachpunkt getroffen hatte ohne es beabsichtigt zu haben.

»Wirst du mir glauben?«, stellte er stattdessen eine Gegenfrage.

Verwirrt blinzelte ich. »Ist das wichtig?«

»Wenn ich schon darüber spreche, dann soll es nicht für eine ungläubige Violette sein, die nichts außer ihrer eigenen Wahrheit glaubt.«

Das hatte ich nicht erwartet, deswegen schwieg ich und verzog die Lippen zu einem schmalen Strich. Ich wusste nicht, ob ich seinen Worten glauben würde. Ich wusste es nicht und wollte ihn deswegen nicht dazu bringen darüber zu sprechen. Vielleicht reagierte er genauso empfindlich auf dieses Thema wie ich bei meiner Mum. Ich wusste wie es war, alleine um ein Elternteil zu trauern, Gefühle unter der Oberfläche zu halten, nicht mehr darüber zu sprechen und so zu tun als wäre alles gut. Wenn er mir die Wahrheit erzählte, dann wollte ich ihm glauben und ihn nicht auf diese Weise verletzen.

»Ich weiß nicht, was ich glauben kann und was nicht.«, sagte ich leise. Das war die Wahrheit. Er war immerhin ein Farbloser. Und irgendwie auch der Anführer der Farblosen.

Mein Verstand riet mir auf der Hut zu bleiben und ihm nichts abzukaufen. Aber in meiner Brust wurde es wärmer bei dem Gedanken mit jemandem zu reden, der verstehen konnte wie schwer ein solcher Verlust eigentlich war. Vorausgesetzt mein Gefühl stimmte und seinen Eltern war etwas Schreckliches widerfahren.

»Das dachte ich mir bei dir schon«, schmunzelte er mit einem traurigen Funkeln in den Augen.

Ich senkte den Blick, wartete bis er weiter aß, aber bei der Hälfte schien er satt zu sein, denn er brachte keinen weiteren Bissen mehr runter. Augenblicklich fühlte ich mich schlecht, weil meine Frage der Auslöser für seine trübe Stimmung war. »Ich will mich ein wenig hinlegen«, sagte ich mit einer fast heiseren Stimme.

Sofort verstand er meine Andeutung, legte seine Brotzeit endgültig weg und nahm mit einem deutlichen Abstand rechts von mir Platz. Unbehaglich legte ich mich auf den Rücken und dann auf meine linke Seite, um ihn nicht mehr sehen zu müssen. Meine rechte Hand legte ich dabei wieder an meinen Rücken damit seine Hand mir nicht zu nahe kam. Den Rucksack verwendete ich dabei als Kissen, der härter und unbequemer hätte nicht sein können.

Hinter mir raschelte es kurz, wurde dann wieder leiser bis plötzlich etwas unsanft auf mir landete. Die Thermodecke. Erst überrascht, dann verwirrt nahm ich diese in meine freie Hand und richtete mich an ihn.

Allein an meinem Blick verstand er. »Ich brauche es nicht.«, kommentierte er neutral und lehnte sich mit einem angewinkelten Bein an den Baum. Den freien Arm legte er auf sein Knie und die andere lag in meiner Nähe. Er starrte ins Dunkle und schenkte mir keinerlei Beachtung. Deswegen drehte ich mich wieder auf die Seite und deckte mich zu.

Mir fiel ein, dass er mich bereits letzte Nacht zugedeckt hatte ohne dass ich danach gefragt hatte und mein schlechtes Gewissen wurde größer als ich müde die Augen schloss und inständig hoffte, dass auch er ein wenig Schlaf bekam.

Bis 20 Uhr alle 2 Stunden ein Kapitel :)

Red Princess - Die Suche nach der Roten PrinzessinWhere stories live. Discover now