Ich habe Spaß daran in den Tod zu springen

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Mal wieder eine nächtliche Schreib-Challange mit trollollollokkkk, zu genau dem Satz der im Titel steht :)

Es ist ein regnerischer Tag. Grau und unfreundlich, so dass nur die wenigsten sich auf die Straße trauen.
Eigentlich gehöre ich, in der viel zu dünnen, blauen Jeansjacke und den Turnschuhen nicht einmal dazu, doch das Schicksal scheint das wohl anders zu sehen.
Den Bus, der mich vor circa zehn Minuten mitnehmen sollte, hatte ich nur noch von hinten gesehen, als er spritzend durch eine riesige Pfütze am Straßenrand fuhr, und kurz darauf schlingernd um die Ecke bog.

Das Drama endet vorläufig hier, während ich völlig durchnässt durch den Regen laufe, scheinbar dazu verdammt den perfekten Pechtag zu durchleben, nachdem ich heute Morgen verschlafen hatte, von meinem Chef vorgeworfen bekam wichtige Unterlagen verloren zu haben und mich in der Mittagspause per Telefon mit meinem Vater in die Haare gekriegt hatte.

Ich laufe geduckt an einer Hauptstraße entlang und beobachte mit einem Auge die, verschwommen an mir vorbei huschenden Rücklichter der Autos. Ich biege nach rechts ab, gerade die Straße runter liegt der Kanal, ich kann ihn nicht sehen, dazu liegt er zu tief zwischen den Betonwänden, die ihn eingrenzen, doch ich höre die Wassertropfen auf die Oberfläche platschen.

Vor mir spannt sich ein hoher Brückenbogen über den künstlichen Fluss, ein Schild verkündet mir, dass der höchste Punkt der Brücke ganze zwölf Meter über dem Wasser schwebt. Zügig betrete ich die Brücke und sofort hört sich das platschende Aufsetzen meiner Füße hohler an und ein leiser Ton des minimal schwingenden Metalls unter mir ist zu hören.
Ich hebe den Blick, nur für einen Moment, länger lässt es der mir entgegenkommende Regen nicht zu. Augenblicklich bleibe ich stehen, sehe nocheinmal hin um mich zu vergewissern. Doch dort steht tatsächlich jemand.

Ein junger Mann, er trägt einen Anzug, darunter ein Hemd mit einer dunkelblauen Fliege und seine langen Haare kleben ihm nass im Nacken, ganz so als sei er entweder gerade aus dem Kanal geklettert oder stünde schon seit Stunden hier im Regen. Doch er steht nicht auf der Brücke, wie es vielleicht ein Passant machen würde, der trotz des Regens auf das unruhige Wasser schaut, er steht hinter der Brüstung, so als wolle er jeden Moment, an dem Keiner vorbei kommt, hinunter springen wollen.

„Entschuldigung, ich...“, meine Stimme versagt. Ich hatte einfach drauflos geredet, um ihn abzulenken ohne darüber nachzudenken was ich tat, geschweige denn was ich sagen wollte. Fast schon genervt dreht er sich zu mir herum. Doch so abschätzig seine Stimme auch klingt, es ist unverkennbar in sein Gesicht geschrieben, dass er geweint hat. Dunkle Schatten liegen unter seinen Augen und er wirkt gehetzt, verzweifelt irgendwie völlig hoffnungslos.
„Was wollen sie? Ist es nicht offensichtlich, dass ich mich längst entschieden habe? Mich hält hier nichts. Warum gehen sie nicht einfach weiter ihres Weges und drehen sich nicht um, das würde es uns Beiden, bevorzugt aber ihnen leichter machen.“

Irritiert starre ich ihn an, doch im nächsten Augenblick fängt sich mein Geist wieder. „Und sie sind sich sicher, dass Selbstmord eine Lösung ist?“
„Nein, anders herum. Ich bin mir sicher, dass es keine Lösung ist. Aber das macht es auch nicht besser. Es ändert nichts, verstehn sie?“
Ich überlege, bevor ich zugeben musst, dass ich das nicht tue.
Er seufzt. „Sie müssen es auch gar nicht, das macht es ihnen nur einfacher weiter zu gehen.“
„Ich kann doch nicht einfach weiter gehen, wenn das bedeutet, dass sie sich umbringen. Ich sollte lieber die Polizei rufen und so lange mit ihnen reden, bis die Einsatzkräfte sie da runter holen.“
„Nun das funktioniert nun nicht mehr, ich weiß jetzt was sie vorhaben.“, er zuckte die Schultern und wandte seinen Blick wieder aufs Wasser.
„Wie wäre es, wenn wir „du“ sagen? Das ist irgendwie einfacher.“
„Am Ende verkraftest du meinen Tod nicht, weil ich dir innerhalb dieser sehr irrelevanten Minuten zu wichtig geworden bin.“, er schnaubte.
„Aber warum muss es denn der Tod sein? Es gäbe sicherlich bessere Möglichkeiten.“

Plötzlich verliert seine Stimme all den Sarkasmus, der zuvor noch in ihr gelegen hatte und die Verzweiflung die ihm immerfort ins Gesicht geschrieben steht, tritt deutlicher hervor den je. „Gibt es nicht, glauben sie mir. Sie können sich nicht vorstellen, wie es ist alles zu verlieren. Und das meine ich sicherlich anders als sie es sich jetzt denken. Ich kann nie wieder zurück. Nicht nur weil es so verdammt unwahrscheinlich ist, auch weil nichts mehr übrig sein wird. Sie sind alle... tot.“, das letzte Wort kommt fast tonlos über seine Lippen, wie ein eisiger Lufthauch, der mir erst zu zeigen scheint wie verzweifelt man sein muss, um hier zu stehen.

„Und wissen sie was?“, fährt er leise fort. „Ich kann nicht einmal sterben um all dem zu entkommen, jedes Mal wieder, denken ich, ich hätte es geschafft und dann stehe ich wieder da. Es sieht alles anders aus, aber es ist immer noch das Selbe, es ändert nichts an dem was passiert ist.“

Ich weiß nicht was ich antworten soll, andere hätten ihm eine psychisch Störung unterstellt, ein Trauma oder so, doch auf mich wirkt er erschreckend klar.

„Mittlerweile habe ich Spaß daran in den Tod zu springen, weil die letzten Sekunden, bevor man aufschlägt jedes Mal wieder die süße Hoffnung mit sich bringen, es sei vorbei.“, er zittert stark, ich kann nicht sagen ob aus Kälte oder aus Angst, vielleicht beides.

Es vergehen Sekunden, stille, schleichende Sekunden die genau so gut hätten Minuten sein können. Vorsichtig greife ich nach seiner Hand. Sie ist eiskalt und knochig. „Komm zurück auf die Brücke. Bitte.“, sage ich leise. Er bleibt stehen, völlig starr, bis er die Hand, mit der er sich gehalten hatte, vom Geländer löst. Statt dessen lässt er sich von mir halten, während er vorsichtig über die Brüstung steigt.

„Und jetzt?“, fragt er flüsternd. „Wie wollen sie denn bitte etwas ändern?“

Ich ziehe die Schultern hoch. „Vielleicht kann ich nichts ändern, aber du kannst mir erzählen was überhaupt los ist. Bestimmt tun ein warmer Kaffee und trockene Kleidung auch ganz gut. Wenn wir keine Lösung finden, dann... dann bleibt immer noch die Brücke.“

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Der junge Mann, erzählte mir eine unfassbare Geschichte. Eine Geschichte über sogenannte Zeitenspringer, die bei ihrem Tod nicht starben sondern durch die Zeit fielen, irgendwo hin, ohne zu wissen wo sie herauskommen würden. Er kam, laut seinen Erzählungen, aus dem 19. Jahrhundert. Seine Familie war, genau wie er, bei einem Feuer ums Leben gekommen, nur dass sie keine Zeitspringer waren. Den Rest konnte ich mit denken.

Er blieb zwei Tage, zwei Tage in denen ich nicht sagen konnte ob es ihm besser ging oder er nur seine Gefühlswelt vor mir verbarg, am Morgen des dritten Tages war er verschwunden, wer weiß wohin.

Ich hatte keine Ahnung ob ich ihm glauben sollte, jeder Andere hätte mich für verrückt erklärt, doch ich fand eine Nachricht vor meiner Tür, geschrieben mit Tinte auf Pergament, in großen geschwungenen Lettern und unterzeichnet mit „Manuel“

Vielleicht nur ein schlechter Scherz, vielleicht aber auch eine unglaubliche Geschichte.

OneshotzeugWhere stories live. Discover now