Schwimmunterricht

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(Kürbistumor)

Es war laut und still zugleich, Keiner sagte ein Wort, nur das Rascheln von Klamotten war zu hören, das Klappern und Knallen der Spindtüren und die rauschende Lüftungsanlage.
Jeder konzentrierte sich auf sich selbst, alles Andere wäre in der Sammelumkleide fehl am Platz.
Schnellstmöglich hatte ich die Schuluniform gegen die dunkelblaue Badehose mit rot hervorstechendem Schulwappen getauscht und verräumte zügig meine Sachen im Metallschrank.

Der unverkennbare Geruch von Chlor lag in der Luft und vom Gang her tönten strenge Schritte. Ich schloss den Spind und wartete.
Beinahe alle waren fertig, nur die letzten Jungen verstauten noch ihre Kleidung und Handtücher.
Ich ließ flüchtig den Blick über die Gesichter schweifen, bis ich an einem grünen Augenpaar hängen blieb, das mich frech anschaute.
Einen Moment lang schaute ich zurück, doch als ich förmlich spürte wie sich ein roter Schimmer auf meine Wangen legte senkte ich den Blick.

Die Tür wurde aufgerissen und sofort standen alle gerade vor ihrem Schrank, die Hände auf dem Rücken verschränkt und den Blick gerade auf unseren Trainer gerichtet.
"Abduschen und am Beckenrand aufstellen. Keine Trödelein."

Es war der selbe Befehl wie jeden Freitagmorgen um sechs Uhr.
In einer Zweierreihe liefen wir stumm zu den Duschen. Wie jede Woche zuckte ich kurz zusammen als das kalte Wasser meine Haut traf, dann lief ich auch schon weiter und stellte mich am Rand des Schwimmbeckens, neben den Anderen, auf.
Unser Trainer musterte uns und ordnete an: "Fünf Bahnen einschwimmen, ihr habt vier Minuten."
Mit seinem Pfiff sprang ich, genau wie alle Anderen, ins Wasser und begann zu kraulen.

Ich zog mich am Beckenrand hoch und stellte mich wieder auf, zwanzig Sekunden später ertönte ein weiterer Pfiff, gerade als sich der Letzte von uns aus dem Wasser zog.

Es war kalt, das Schwimmbad wurde nicht besonders beheizt und sobald man nass wieder an der kühlen Luft stand, sehnte man sich zurück ins eigentlich genau so kalte Wasser. Ich war dankbar, dass keiner meiner Klassenkameraden sich daneben benahm. Am Anfang hatten einige von ihnen gerne freche Kommentare gegeben und alle hatten das entweder durch extra Aufgaben oder Warten unter dem strengen Blick des Trainers ausbaden müssen.
Ich erinnerte mich wie wir ganze zwanzig Minuten hatten hier stehen müssen, als Manuel, der Junge mit den grünen Augen, seine langen Haare nicht zusammen binden wollte.
Ich mochte seine Haare, sie standen ihm, doch irgendwann hatte er begonnen sie nur noch in einem strengen Zopf zu tragen.

"Heute widmen wir uns dem Tauchen und als Abschluss geht es dann nochmal zu den Sprungtürmen."
Ich hatte kein Problem damit zu springen, doch ich sah wie einer von uns hinter dem Rücken die Fingernägel in die Handfläche drückte, um das angespannte Zittern der Finger zu verstecken. Auf dem blassen Rücken des Jungen, lag ein nasser Pferdeschwanz.

Unser Trainer kündigte unmissverständlich die erste Übung an und ich stellte mich hinter einem der fünf Startblöcke an.
Eine dreiviertelstunde lang übten wir Langstreckentauchen, holten Ringe vom Boden hoch und tauchten als Staffel in zwei Gruppen gegeneinander.
Ich konnte nicht umhin, immer wieder auf Manuel zu achten.
Er stellte sich gut an, war schnell und ausdauernd, doch an unserer Schule tat man gut daran immer alles zu geben. Die Lehrer waren streng und die Vorgaben nur mit Anstrengung zu erreichen. Die ganze Stunde lang sprach fast keiner ein Wort.
Zum Ende fiel mir jedoch auf wie Manu immer nervöser wurde.

"Alle rüber zu den Sprungtürmen. Wir haben nicht mehr viel Zeit!", befahlt der Trainer, er erklärte, dass wir jeder einmal springen würden, anders als die Stunden davor, jedoch aus zehn metern Höhe und nicht aus drei oder fünf.
Kurz ging er druch, was zu beachten war, dann schallte sein Pfiff durch das Schwimmbad und ordnete somit an, dass wir uns einreihen und springen sollten.

Ich suchte Manuel zwischen den Anderen. Er war leichenblass und schaute ängstlich hinauf zum Sprungbrett, die Fingernägel wieder in die Handfläche gepresst.
Wir hatten für gewöhnlich eine feste Reihnfolge in der wir uns aufzustellen hatten, Manuel stand laut dieser ein ganzes Stück hinter mir. Doch ganz bewusst ließ ich mich zurückfallen und ordnete mich möglichst unbemerkt direkt hinter dem Jungen mir Pferdeschwanz ein. Der Junge, dessen eigentlichen Platz ich jetzt belegte Schnaubte empört, sagte jedoch nichts dazu.

Die Ersten sprangen und landeten mit einem Platschen im Wasser, die gestrecken Füße vorran. Die Leiter rückte immer näher, bis Manuel vor mir schließlich begann hinauf zu steigen. Ich folgte ihm und mit jedem Schritt hatte ich Angst er würde aus Panik die nächste, metallene Sprosse verfehlen.

Als wir oben ankamen, mussten vor uns nur noch zwei Jungen springen. Manuel wandte sich zu mir um und funkelte mich mit seinen strahlend grünen Augen an, natürlich hatte er bemerkt, dass ich am falschen Platz stand.
Der Junge vor uns ging zur Kante des Brettes und schaute einen Moment lang hinunter.
"Keine Sorge, du schaffst das. Schau nicht nach unten, spring einfach. Es ist genau das Selbe wie mit drei metern. Innerhalb von Sekunden hast du es überstanden.", murmelte ich.
Ein Platschen ertönte, doch mein Vordermann ignorierte meine Worte, er starrte mich nur an. Seine Fingerknöchel traten weiß hervor, während er sich am schmalen Geländer festkrallte.
"Wird's bald!", schallte die tiefe Stimme unseres Trainers hinauf.
Manuel rührte sich nicht, also blickte ich ihm ein letztes Mal in die Augen und ging dann zügigen Schrittes an ihm vorbei. Ohne zu zögern sprang ich an der Kante ab und landete nur Sekundenbruchteile später im Becken.
So schnell es ging, kletterte ich aus dem Wasser, reihte mich ein und sah hinauf zu Manuel. Ich erkannte, wie er dort stand, sich die wenigen verirrten Haare aus dem Gesicht strich und sprang.

Nachdem wir fertig waren scheuchte uns der Trainer aus der Schwimmhalle. Um sieben Uhr dreißig würde der Unterricht beginnen, also blieben uns noch zwanzig Minuten. Genau wie die Anderen duschte ich schnell, trocknete mich ab und schlüpfte in die Schuluniform. Notdürftig föhnte ich meine Haare und beeilte mich zum Schulgebäude zu kommen.

Ich ließ den Blick über das Gelände schweifen, es war schon das dritte Jahr, das ich auf die Eliteschule ging. Anfangs hatte ich meine Eltern dafür verdammt, dass sie mich ausgerechnet hier aufs Internat schickten, doch mittlerweile hatte ich mich damit abgefunden. Die Schule lag im Norden Polens, ein ganzes Stück von der nächsten Stadt entfernt und galt als eine der besten Jungenschulen in ganz Europa, ihr Pendant war eine reine Mädchenschule im Süden von Frankreich. Ich verstand immer noch nicht warum diese Geschlechtertrennung existierte, doch unsere Lehrer führten das stets auf das lange Bestehen der Schulen zurück.

Ich wollte gerade die Treppen zum großen Eingangstor hinauf steigen, als mich jemand von hinten am Handgelenk fest hielt. Ich drehte mich um und starrte direkt in Manuels grüne Augen. Er hatte wohl keine Zeit gehabt sich die Haare zu trocknen, denn sein Zopf, der über der rechten Schulter lag, hatte bereits einen nassen Fleck auf seinem Hemd hinterlassen, trotz der dünnen Schneeschicht die wie jeden Januar alles bedeckte, trug er seinen Mantel nur über dem Arm.
"Ich eh... Danke, dass du mir geholfen hast."

Dort wo seine kalten, schlanken Finger um meine Hand lagen, schien meine Haut zu kribbeln und ich schaffte es nicht den Blick von seinem Gesicht zu lösen.
"Gerne.", lächelte ich etwas überfordert und überlegte fieberhaft ob ich noch etwas sagen sollte.
Doch Manuel nahm mir diese Entscheidung, indem er mich kurz angrinste und dann an mir vorbei die Treppe hinauf sprintete und im Schulgebäude verschwand, ab.
Schnell machte ich, dass ich ihm hinterher kam und lief durch die fast leeren Gänge zum Geschichtsunterricht.

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OneshotzeugWhere stories live. Discover now