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Als ich fertig war, wurde Bilbo über seine Beobachtungen ausgefragt, die er während irgendeiner Erkundungstour gemacht hatte.

"Nur größer, viel größer!", erklärte er gerade.

"Was?", fragte ich nach. "Ein Bär!", sagte der Hobbit an mich gewandt. Leise flüsterte ich: "Beorn."

"Du kennst diese Kreatur?", fragte Bilbo ungläubig nach.

"Ich glaube er hat mich nicht allzugut in Erinnerung", meinte ich zerknirscht. Gandalf unterbrach uns: "Wir müssen hier weg, die Orkhorde ist uns dicht auf den Fersen! Es gibt ein Haus in der Nähe, das wir vielleicht als Zuflucht nutzen könnten."

"Wessen Haus? Freund oder Feind?", wollte Thorin grimmig schauend wissen.

"Weder noch. Er wird uns helfen, oder uns umbringen", antwortete Gandalf. Na super! Ich rollte mit den Augen. Ein super Tag! Oder mehrere Tage? Wer weiß wie lange ich ohnmächtig war.

Durch ein Loch in eine Höhle voll Orks, von denen gejagt, bedroht, fast gefressen, dann vor einem totgeglaubten Feind fliehen, fast sterben und jetzt würde ich auch noch Beorn begegnen müssen...

"Haben wir eine Wahl?" Ich wurde heftig aus den Gedanken gerissen, keinen Moment zu früh. Ein Brüllen erklang im Hintergrund und Gandalf antwortete: "Nein!"

Er drängte uns zusammenzupacken und wir rannten los, in Richtung Nordost. Die ganze Nacht, bis in den Morgen hinein, das Brüllen kam immer näher, egal wie schnell wir rannten. Ich war erschöpft und würde dringend etwas Pause brauchen, meine Verletzungen brannten, genau wie meine Lunge, lange schon war ich nicht mehr so weit gerannt.

Ich setzte nur noch einen Fuß vor den Anderen, blind vor mich hinstolpernd, wäre ich wenigstens nicht verletzt.

Endlich kamen wir Beorns Gehöft näher, auf den blühenden Feldern um uns schwirrten und brummten seine riesigen Bienen, in der Ferne sah ich sein Haus. Hinter uns hörte ich wieder das Brüllen, ich spürte förmlich den Atem in meinem Nacken, die Pranken, die auf den Boden donnerten.

Endlich erreichten wir das Tor, vor der Tür blieben dann aber alle stehen, bis Thorin den Riegel öffnete. Den Sinn verstand ich nicht wirklich, in dem Moment war es mir aber komplett egal.

In letzter Sekunde stürmten wir rein und knallten die Tür direkt vor Beorns Nase zu. Erschöpft ließ ich mich auf einen Haufen Stroh fallen und kam langsam wieder zu Atem.

"Jetzt dürften wir bis morgen früh Zeit haben, dann verwandelt er sich in einen Menschen zurück!", erklärte ich, "Also schlaft ein bisschen, wenn er uns nicht mag, müssen wir wieder rennen!"

Gandalf stimmte mir zu und alle suchten sich einen Platz im Stroh, das überall herumlag. Ich legte mich wie immer etwas abseits hin, entschied dann aber, weil ich nicht schlafen konnte rauszugehen und nach Beorn Ausschau zu halten.

Ich setzte mich auf eine Bank neben der Tür und sah in die Dunkelheit hinaus. Weit in der Ferne war noch Orkgeschrei zu hören, zu weit, als dass sie uns gefährlich werden könnten, zumindest jetzt noch.

"Du solltest schlafen!", riet Thorin mir und ich zuckte zusammen. Er konnte verdammt leise sein, wenn er wollte.

"Es ist zu viel passiert, in letzter Zeit. Mein Leben hat sich komplett verändert", meinte ich und starrte wieder ausdruckslos in die Ferne. Schweigend setzte er sich neben mich. Nach einer Weile fragte er: "Was hat sich verändert?"

Ich seufzte: "Wirklich alles, ich bin wieder mit Zwergen unterwegs, habe ein festes Ziel, bin nicht mehr allein, habe wieder einen Feind vor Augen. Ich kann immer noch nicht glauben, dass er überlebt hat. Ich hab selbst gesehen, wie du ihm den Arm abgeschlagen hast Das war das letzte Mal, dass ich zusammen mit Zwergen gekämpft habe." Eine Weile herrschte wieder Stille.

"Ich glaube ich erinnere mich an dich", meinte Thorin nachdenklich, "Es ist lange her, aber es gab einmal ein Mädchen im Erebor, das wie ein Mensch aussah. Ihr Mutter war eine Zwergin, sie starb bei der Geburt, eine Alte Zwergin hat sie aufgenommen. Was aus ihr wurde weiß ich nicht, ich sah sie nur ein paar Mal."

"Das war ich", sagte ich leise, "Ich war immer anders, keiner wusste warum. Der Sohn der alten Zwergin hat mir Kämpfen beigebracht, schlussendlich waren beide tot."

"Das tut mir leid", meinte Thorin und legte mir eine Hand auf die Schulter.

"Muss es nicht. Du hast mindestens genauso viel verloren. Mitleid bringt sie nicht wieder. Ich habe ihren Tod längst akzeptiert", antwortete ich und lächelte leicht, "Alles vergeht, alles verändert sich bis ins unkenntliche, wenn man es einmal verstanden hat, ist es leichter zu akzeptieren."

"Wer hat dir das beigebracht?", fragte Thorin, ebenfalls lächelnd, was ihn komplett anders wirken ließ, als normalerweise.

"Das Leben, das Leid und letztendlich das Weitermachen. Meine Erlebnisse. Ich musste alles akzeptieren. Meine Vergangenheit hat mich verändert, auch wenn ich es nicht wollte, und oft nicht nur zum Guten. Das hat sich in letzter Zeit geändert", flüsterte ich und lehnte mich zögerlich an Thorins Schulter.

"Die Reise hat dich verändert, die Gesellschaft hat dich verändert, zum Guten", meinte er ernst und lehnte seinen Kopf gegen meinen. Eine Weile saßen wir einfach nur so da, bis Beorns Brüllen in der Nähe erklang.

"Wir sollten wieder reingehen, ich will nicht als Bärenfrühstück enden", sagte Thorin und stupste mich an.

"Der Mensch würde mich wahrscheinlich auch gerne verspeisen!", meinte ich und ging ihm hinterher ins Haus.

Mal ein bisschen Schnulz, immer ist Beorns Haus der Platz dafür...

Es geht voran, schon fast im Düsterwald!

Lin, lonely fighterWhere stories live. Discover now