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Na toll, jetzt wusste Thorin mehr, als ich jemals verraten wollte, wahrscheinlich erzählte Elrond den Zwergen und Gandalf, und natürlich Bilbo, alles was er über mich erfahren hatte. Ich sah von einem der vielen Balkone von Bruchtal hinaus in die Nacht, und fragte mich schon wie sooft zuvor, wie es wohl gewesen wäre, wenn alles anders gekommen wäre.

Ich hörte wie jemand hinter mir hereinkam und fuhr mit meinem Schwert in der Hand herum.

"Ach, du bist es, Bilbo", sagte ich überrascht, "Willst du mich auch mit Frage bombardieren?"

"Du würdest sowieso nicht antworten. Ich wollte sehen, ob es dir gut geht. Du bist vorhin überstürzt aufgestanden. Und wenn du irgendwas loswerden willst, jeder aus der Gruppe wird dir zuhören!" Bevor ich antworten konnte war er schon wieder gegangen.

Am nächsten Abend zogen wir weiter, ohne Gandalf, der sich gerade in irgendeiner Besprechung befand, immerhin würde Elrond unser Verschwinden so nicht bemerken.

Nach ein paar Stunden befanden wir uns schon mitten auf einem Berg am Rand des Nebelgebirges und schlugen das Nachtlager auf. Ich distanzierte mich wie immer von der Gruppe und setzte mich auf einen Felsen, von dem aus ich einen guten Überblick hatte und sofort sehen würde wenn sich jemand dem Lager nährt.

Ich tat es mehr aus Gewohnheit als aus Furcht, es könnte wirklich jemand kommen. Am Tag würde man von hier aus bis Bruchtal sehen können.

Als ein Schatten sich meinem Beobachtungsposten näherte fuhr ich herum, wieder mit gezogenem Schwert.

"Ich bins nur", sagte Thorin und ich steckte mein Schwert zurück.

"Das hat mir schon oft das Leben gerettet", meinte ich trocken, "Und dir auch." Er hielt mir eine Schüssel mit Essen hin.

"Nachdem du dir ja nichts holst. Wie meinst du das?", fragte er, "Wie sollte das mir das Leben gerettet haben?"

"Auf dem Weg zu Bilbo hab ich ein paar Mal Orks überrascht, während du geschlafen hast."

"Danke."

"Ich mach das seit einer Ewigkeit. Also Orks jagen", ich zuckte mit den Schultern.

"Warum? Willst du nicht irgendwann etwas anderes machen?" "Wenn alle Orks tot sind", erwiderte ich knapp.

"Wie lange machst du das schon?" "Lange." Er stand eine Weile schweigend neben mir, während ich aß.

"Woher kommt dein Hass auf die Orks?" "Kennst du irgendjemanden der Orks mag?", stellte ich eine Gegenfrage und fügte dann leiser hinzu, "Aus dem gleichen Grund wie du."

Ich sah wieder in die Ferne. Warum sagte ich ihm so viel? Nicht einmal Elrond machte mich so gesprächig. "Moria", flüsterte Thorin und Wut schwebte in seiner Stimme.

Ich nickte kaum merklich und wir verfielen beide wieder in ein langes Schweigen. "Dann musst du wirklich ziemlich alt sein", stellte Thorin irgendwann fest, ich nickte und fügte leise hinzu: "Hundertneunzig, wie gesagt."

Ich merkte wie er mich verwundert ansah und dann wieder, wie ich, in die Ferne sah.

Am nächsten Tag begann der beschwerlichere Teil der Überquerung der Nebelberge, was besonders für den Hobbit sehr kräftezehrend war, dazu kam noch ein kalter, beißender Wind, wie er in diesem Teil des Gebirges immer wehte.

Ich bildete die Nachhut, was hieß, vor allem aufpassen, dass Bilbo nicht verloren geht, aber so konnte ich ganz entspannt laufen, da er sehr viel langsamer war als ich.

So entging ich auch weiteren Fragen, und konzentrierte mich nur auf den Weg. Als wir dann aber irgendwann Pause machten, da es schon spät geworden war, entging ich Fragen, indem ich mich abseits der Gruppe ausruhte.

Eine Weile ging das gut, doch schon am nächsten Abend leistete Thorin mir wieder Gesellschaft. "Legst du deine Waffen eigentlich nie ab?", fragte er belustigt, als er sah, dass ich in voller Waffenmontour war, obwohl ich mein Lager bereits aufgeschlagen hatte.

"Die Erfahrung hat mich schmerzlich gelehrt, es möglichst zu vermeiden", meinte ich, ging aber nicht weiter drauf ein. "Hast du früher im Erebor gelebt?", wollte er wissen. Wahrscheinlich wusste er die Antwort schon, aber, warum nicht nochmal fragen.

"Ja, was glaubst du denn? Bis ich fünfzehn war."

"Bis Smaug kam", stellte er fest, ich hatte schon fast vergessen, dass er wusste wie alt ich war. Warum konnte ich bei seinen Fragen nie die Klappe halten?

Ich nickte und wollte noch etwas hinzufügen, aber ich konnte mich noch bremsen.

"Viele sind dabei umgekommen", stellte Thorin fest. Ich nickte. "Fast alle die ich kannte." Auch die, die mich aufgenommen hatten, obwohl ich anders war, fügte ich still hinzu. Warum nochmal konnte ich nicht still sein?

All die Jahrzehnte wusste niemand mehr von mir als ich wollte, Elrond ausgenommen.

"Glaub mir, viele hatten dieses Schicksal, auch ich wurde von Smaug vertrieben. Ich verstehe, warum du Rache willst, aber lass dich nicht von Wut beeinflussen", gab er mir noch einen Rat, bevor er wieder verschwand.

Ich hatte schon vor langer Zeit einen Weg gefunden, mit Wut umzugehen und Trauer einzuschließen. Meistens half es, Orks oder ähnliche Kreaturen zu jagen, dann wurde ich konzentriert, nur auf die Jagd, abgelenkt von meiner Wut, und wenn genug Orks ihr Leben gelassen hatten ging es mir besser, ich hatte die Wut freilassen können und die Trauer tief in meinem Herzen eingeschlossen.

Doch mit jedem Gedanken, mit jedem Wort über meine Vergangenheit drohte dieses Schloss zu brechen, das fürchtete ich so sehr, dass ich gar nicht darüber sprach.

Lin, lonely fighterWhere stories live. Discover now