53. Knallende Türen

Beginne am Anfang
                                    

Was auch immer sie wissen wollte; Ich hatte vermutlich keine Antworten.

Schweigend liefen wir zum Unterricht und ich war glücklich, dass sich hier unsere Wege schon wieder trennten. Für mich stand jetzt Chemie an. Eines der wenigen Fächer in denen ich meine Ruhe hatte. Normalerweise war Linda auch in diesem Kurs, ich hatte sie sogar hier kennengelernt, aber heute war sie nicht anwesend. Also genoss ich zwei Stunden Ruhe. Danach stand nämlich Englisch an.

Dort wartete normalerweise die bittere Kombination Julie & Manon auf mich, doch als ich den Raum betrat unterhielten die beiden sich zivilisiert. Manon lächelte mir kurz zu, während meine Schwester mich glücklicherweise ignorierte.

Die restlichen Stunden vergingen wie im Flug. Elaine sah ich kein einziges Mal. Sonst lief man sich immer über den Weg. Heute nicht. Was mir damit im Zusammenhang auffiel: Louis sah ich heute auch nicht mehr.

Stirnrunzelnd und verwirrt stand ich nach Schulschluss am Ausgang und wartete. Elaine tauchte nicht auf. Vielleicht war sie schon weg. Missmutig lief ich zu meinem Auto und wartete dort auf Julie. Währenddessen spielte ich mit dem Gedanken, einfach abzuhauen und sie den Bus nehmen zu lassen.

Als ich sie nach fünf Minuten innerlichem Konflikt auf mich zulaufen sah bereute ich es, es nicht durchgezogen zu haben. Sie hatte einen merkwürdigen Gesichtsausdruck auf. Ich konnte ihn nicht lesen.

Neugier brachte mich dazu doch noch ein Gespräch mit ihr anzufangen, also fragte ich: „Was ist los?"

Julie hielt kurz inne, musterte mich, und blickte dann in die Ferne. „Ich habe heute mit Elaine geredet. In der Pause."

Ah. Dann hatte ich sie wahrscheinlich nicht gesehen, weil sie mit Julie abhing, die ich heute so gut es ging gemieden habe. Na gut.

„Worum ging's?"

Zugegeben, die Aussage machte mich etwas nervös, aber merkwürdigerweise spürte ich sofort, wie meine Laune sich hob. Falls es um gestern ging, dann hätte ich nämlich auch ein paar Fragen, die ich El nicht unbedingt persönlich stellen wollte.

„Sie hat mir erzählt, dass ihr gestern eine Art Date hattet. Naja, natürlich hat sie es nicht so genannt, aber ihr seid essen gegangen, wart zusammen shoppen und habt dann in der Bude ihres Opas geraucht, bis ihr dicht genug gewesen seid um rumzumachen."

Ich zog meine Schultern zusammen und wandte den Blick ab. Julie fuhr fort: „Elaine hat auch gesagt, dass sie den ersten Schritt gemacht hat, weil ich erstmal dachte, dass du Scheiße gebaut hast."

Ungläubig blickte ich sie wieder an. „Du denkst, ich würde El high machen und dann ihren Zustand ausnutzen?"

Julies Meinung interessierte mich sonst nie, aber dieses Thema war mir dann zu ernst.

„Nein", entgegnete sie. „Eher dass du selber zu high warst um noch im Klaren darüber zu sein, was du tust."

„Wie bitte? Glaubst du etwa, dass ich ein Drogenproblem hätte, oder was? El und ich wussten beide was wir tun, wir haben schließlich kein Crack geraucht." Ich konnte den empörten Ton in meiner Stimme nur bedingt unterdrücken. Meine Verwirrung kam jedoch weitaus klarer zum Ausdruck.

Julie legte den Kopf schief. „Erinnerst du dich etwa nicht mehr daran, als du verkatert in deinem Auto, welches quer auf einem Tankstellenparkplatz stand, und mit Glitzer im Gesicht sowie bunten Haaren aufgewacht bist?"

Damals hatte ich aus Versehen mehr Drogen genommen als ich vertrug. Ich dachte, zwei Pillen gingen klar und war so weggetreten, dass ich mir den Rest auch gegeben habe. Daran erinnere ich mich zwar nicht mehr, aber so müsste es gewesen sein.

Das erklärte ich Julie jedoch nicht. Ich versank in Gedanken, bis sie mich meinem sanften Seufzer dabei störte und näher trat.

Komischer Weise war sie sehr ruhig, als sie ihre nächste Frage stellte: „Was war deine gestrige Intention?"

Meine Intention? „Ich war nicht derjenige, der sie geküsst hat", wich ich ihr aus, doch Julie lachte nur spöttisch.

„Du hast den Kuss aber erwidert. Die halbe Nacht lang."

Schwerschluckend blickte ich weg und fuhr mir durchs Haar. „Hat sie dir etwa jedes Detail erzählt?"

Julie verengte die Augen. „Nur dass ihr stundenlang rumgemacht habt. Wieso? Sind andere nennenswerte Dinge passiert?" Sie klang fast schon panisch, als sie die letzte Frage stellte.

Ich schüttelte den Kopf. Julie brauchte echt nicht alles zu wissen.

„Carter!", fuhr sie aus und senkte wieder die Stimme. „Habt ihr... Seid ihr so weit gegangen...?"

Gott, verzeih mir, wenn ich bald meine eigene Schwester überfahren sollte. Ich weiß nicht, wie lange ich diesen Drang noch unterdrücken kann.

„Glaubst du nicht, dass sie dir das erzählen würde?", erwiderte ich nur. Natürlich hatte ich nicht mit Elaine geschlafen.

Julie fasste sich ans Herz. „Vielleicht bereut sie es? El ist nicht der Typ, der außerhalb von Beziehung so weit geht."

„Keine Sorge, ist sie auch nicht. Aber ziemlich komisch, dass du dich so um ihre Jungfräulichkeit sorgst."

Da das Gespräch für mich beendet war drehte ich mich weg und stieg in mein Auto. Julie murmelte irgendwas und eilte zur Beifahrerseite. Während der Fahrt nach Hause hing sie die ganze Zeit am Handy. Ich versuchte nicht nachzufragen, ob sie mit Elaine schrieb, da Julie ab und zu Blicke in meine Richtung warf, die ich wieder nicht deuten konnte.

Zuhause zog ich mich erstmal um und warf mich direkt ins Bett. Es war 16 Uhr und ich hatte bisher nur einen Proteinriegel gegessen. Dad war nicht da und Mum war etwas stinkig, weil ich ohne was zu sagen verschwunden war, nachdem ich auch noch geschwänzt hatte. „Du wirst zwar bald 19 und ich weiß von den Kindern meiner Freunde, dass sie auch zu solchem Verhalten neigen...", hatte sie gemeckert. „Aber du lebst noch bei uns, also sag wenigstens Bescheid, wenn du die Nacht wegbleibst."

Bisher war es eigentlich nie ein Problem gewesen, wenn ich mal unangekündigt verschwand. Keine Ahnung, warum sie plötzlich anders empfand.

Müde ließ ich meinen Blick durch mein Zimmer wandern. In der Ecke lagen immer noch die McDonald's Tüten, die ich gekauft hatte, um den betrunkenen Amor zu füttern. Vielleicht meinte Mum ihn mit „Kinder ihrer Freunde", die so drauf waren wie ich. Wer aber ließ seinen 17-jährigen Sohn bitte regelmäßig saufen gehen? Ich hatte das Gefühl, dass Amor nicht die Freiheiten haben sollte, die seine Eltern ihm gaben. Zumindest in diesem Bereich.

Seufzend wechselte ich meine Position und dachte weiter über mehr oder weniger wichtiges Zeug nach, bis ich irgendwann einschlief. Wer nachts nur knapp zwei Stunden schlief, da er anderweitig beschäftigt war, der verdiente ein ordentliches Nickerchen.

BorderlineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt