80. Kapitel ~ Zwei Brüder

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80. Kapitel ~ Zwei Brüder

Ein Junge mit rabenschwarzem Haar und durchdringlichen blauen Augen steht vor dem verglasten Hauptquartier der Ken. Sein Körper ist muskulös, er ist groß gewachsen. Das typische Anzeichen für einen Ferox. Er zögert, fühlt sich unentschlossen, ist unsicher.

Dafür das er ein wirklich hübscher Junge ist sieht er nicht danach aus.
Viel eher sieht er traurig aus, völlig mitgenommen, mit den dunklen Ringen unter den Augen und dem traurigen Gesichtsausdruck.

Der Schmerz in seinem Inneren ist so groß und erdrückend.
Dustin weiß einfach nicht wie er damit umgehen soll. Allys Verlust ist schmerzlich und sitzt viel zu tief. Er würde alles dafür tun, um sie zurück zukriegen. Doch das ist nicht möglich.

Schließlich kann man einen Toten nicht wieder auferstehen lassen. Bei seinen Gedanken schnürrt sich seine Kehle umangenehm zu.

Er hätte ihr sagen sollen, wie wichtig sie ihm ist. Sicher wusste sie es, aber gehört hat Ally es nie aus seinem Mund.


Dustin fährt sich mit den Händen über die Augen und hält einen Moment inne. Die Tränen brennen in seinen Augen, doch er schafft es sich zurück zuhalten und nicht auf offener Straße loszuheulen.

Seiner Meinung nach hat er sowieso schon alles verloren, was ihm jemals wichtig war. Sein neues Zuhause, bei den Ferox, die Freunde die er dort hatte und vorallem Ally. Seine beste Freundin und irgendwie auch seine Gefährtin. Er vermisst sie so sehr, dass es sich anfühlt, als würde er zerreißen.


Unbeholfen macht er ein paar weitere Schritte auf das riesige, verglaste Haus zu. Wenn er sowieso nichts mehr hat, wieso dann nicht einfach reingehen?
Sich den Ferox-Verrätern anschließen, die nun alle für die Ken arbeiten? Nachdenklich beißt er sich auf die Unterlippe.
Allein schon der Gedanke daran ist falsch, vollkommen daneben. Wieso sollte er das tun? Hat er die Ken jemals verstanden, würde er sie jemals unterstützen?
Während Dustin so da steht und vor sich hingrübelt, wird ihm mit jeder Sekunde klarer das diese Entscheidung falsch wäre. Mehr als das. Es wäre ein fataler Fehler.

Ihm ist klar, dass Ally nie wollen würde, das er sich den Ken anschließt. Wenn sie noch leben würde hätte sie es niemals getan, hätte nicht mal mit dem Gedanken daran gespielt.
Der dunkelhaarige Ferox wendet sich kopfschüttelnd ab und rennt los. Er rennt, als würde sein Leben davon abhängen. Die Gassen und Straßen, die Häuser fliegen nur so an ihm vorbei. Seine Muskeln brennen. Er schwitzt, ihm ist heiß. Dennoch hört er nicht aufzurennen.



Sein Weg führt ihn zurück zu dem Haus seines Bruders. Aspen Jacobsen hat sich vor vier Jahren für eine Fraktion entschieden und lebt noch jetzt glücklich mit diesem Entschluss. Ganz im Gegensatz zu seinem kleinen Bruder ist er bei den Candor geblieben.
Er wäre nie damit klar gekommen mit Lügnern zu tun zu haben, denn er ist felsenfest davon überzeugt, dass die Menschen in den anderen Fraktionen dreiste Lügner sind, völlig unaufrichtig. Und irgendwiefern hat er damit sogar recht.

Dustin hämmert außer Atem und völlig ungeduldig gegen die Tür.
"Aspen!", schreit er. "Aspen, mach die Scheißtür auf!"
Nachdem Angriff der Ferox auf die Altruan ist er bei seinem großen Bruder untergekommen und dafür ziemlich dankbar. Er wohnt in einem kleinen Häuschen, nicht fern von Hauptquartier der Candor selbst.

Ein groß gewachsener Junge, der viel Ähnlichkeit mit Dustin, hat öffnet die Tür.
Die selben hellblaue Augen, die gleiche Körperhaltung, die selben weichen Gesichtszüge. Nur das er dauerhaft ernst drein blickt. Die Haare schimmern in einem ebenso rabenschwarzem Ton, sind jedoch länger.

Aspen ist durch und durch ehrlich und trotzdem gibt es immer an einem Punkt an dem er schwach wird, den Lügen voll und ganz verfällt. Es ist allen Menschen untersagt ihr Ergebnis des Eignungstestes preiszugeben, aber seine Eltern, die vollblütige Candor sind und es auch immer mit Überzeugung bleiben werden, erkundigten sich danach. Da sie ziemlich streng sind und keine Antwort nicht gelten gelassen hätte, hat er ihnen einfach ins Gesicht gelogen.
"Candor.", hatte er gesagt. Nicht das sein Testergebnis nicht eindeutig war. Nicht das er Eigenschaften der Ken und der Candor besitzt. Nicht das man ihm leise zu flüsterte, er sei ein Unbestimmter.

Die Tür wird mit einem starken Ruck aufgerissen und Aspen erscheint mit genervten Gesichtsausdruck. "Bist du wirklich zu blöd, um den Schlüssel mitzunehmen, wenn du gehst?"
Dustin schenkt seinem Bruder ein mitgenommenes Lächeln. "Ja, scheinbar bin ich das."
Mit diesem Worten drängelt er sich an seinem Bruder vorbei ins Haus, durchquert den Flur und gelangt so in das schwarz-weiß eingerichtete Wohnzimmer und flätzt sich in typischer Feroxmanie auf die Couch. Die Füße streckt er auf dem kleinen Tisch davor.

"Füße runter.", mahnt Aspen ihn. Er rollt mit den Augen und tut wie ihm geheißen.

Dustins Bruder geäugt ihn ein klein wenig argwöhnisch und stemmt die Hände in die Hüfte.
"Wo hast du dich überhaupt rumgetrieben?"

"Bin nur ein bisschen rumgelaufen.", antwortet Dustin schnell, da er das Gefühl hat bei der Körperhaltung Aspens gleich laut loszulachen. "Und du?"

"Im Hauptquartier gab es Heute ein Verhör.", erklärt er. Bei dem Gedanken an die ganzen Dinge, die gesagt wurden, wird ihm ganz komisch.

"Und?", harkt Dustin nach und hebt die Brauen. Einige Ferox halten sich momentan bei den Candor auf, ebenso wie er. Doch er ist nicht wie sie im Hauptquartier, sondern kapselt sich lieber ab.
Jedes Mal wenn er etwas von neuen Ferox hört, denkt er automatisch an Ally. Dabei ist es so zwecklos. Sie ist tot, es ist unmöglich, dass sie dort wäre.
"Ein Junge und zwei Mädchen.", erzählt Aspen weiter.
Hoffnungsvoll sieht Dustin ihn an. "Wie sahen sie aus?"

Verwirrt hebt Aspen die Brauen. "Warum willst du das wissen?"
"Ist doch egal. Es waren Ferox, es kann sein das Freunde von mir dabei waren."

"Hmm, okay. Lass mich überlegen."

Ein paar Sekunden steht Aspen da und erinnert sich an das Aussehen der Mädchen.
"Die eine hatte kinnlanges dunkelblondes Haar. Sie hatte drei Schwalben auf dem Schlüsselbein tätowiert."
Dustin nickt, das ist nicht Ally. Wieso mache ich mir überhaupt solche Hoffnungen?, fragt er sich und schüttelt kaum merklich den Kopf. Doch als sein Bruder fortfährt wird er wieder hellhörig.
"Die andere hatte blondes Haar, so richtig kurzes Haar. Sie hatte große, blaue Augen. Die hat man sogar auf die Entfernung gesehen."
"Weißt du ihren Namen noch?", fragt er hastig. Das Kribbeln in seinem Bauch wird unerträglich. Er hat keine Ahnung was er sagen, oder tun soll. Ally hat kein kurzes Haar, natürlich nicht, aber das mit den Augen ist schon relativ passend. Aber das könnte auch auf ein Dutzend anderer Mädchen zu treffen.
"Nein.", sagt Aspen kopfschüttelnd.
"Andere Auffälligkeiten?" Dustin spricht so schnell, seine Stimme überschlägt sich beinahe.

"Hmm." Er presst die Lippen aufeinander. "Lass mich überlegen."
Der jüngere Bruder tippt ungeduldig mit den Fingern auf seinen Knien herum. Er fühlt sich, als würde er jede Sekunde platzen.
"Sie hatte auch Tatoos. Auf der Schulter, einen Baum oder sowas. Und am Arm, da so am Handgelenk, das Zeichen der Ferox."

"Ally.", wispert Dustin leise. Das muss sie sein. Es geht gar nicht anders. Ohne ein weiteres Wort zu seinem Bruder, springt er auf und stürmt davon.
Wenn sie es wirklich ist wird sie sicher noch im Hauptquartier der Candor sein.

Schweratmend und mit brennenden Beinen kommt er in der Empfangshalle zum Stehen. Der schwarze Marmor lacht ihm entgegen. Er stürmt einfach los, läuft durch die Gänge, ohne das man ihn abfängt. Schließlich ist er immer noch in seine Feroxkleidung gehüllt, hier kann er quasi ein und ausgehen.

Von seiner besten Freundin gibt es jedoch keine Spur. Verzweiflung packt ihn. Du wusstest es doch besser. Du Vollidiot, sagt er sich selbst. Er fühlt sich leer und schlecht, will nur noch weg.
Wie schon so oft in letzter Zeit steigen ihm Tränen in die Augen und er kann nicht viel dagegen ausrichten, als sie hastig fort zu blinzeln.


Seine Schritte führen ihn ebenso schnell weg, wie sie gekommen sind. Dustin rennt und rennt, bis er wieder bei dem Hauptquartier der Ken ankommt.

Sein Entschluss steht fest.  

Willenlos | Divergent / Die Bestimmung ✔Where stories live. Discover now