102. Kapitel ~ Überraschung

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102. Kapitel ~ Überraschung

Von einem sanften Schütteln an meiner Schulter werde ich geweckt. Verschlafen schrecke ich hoch, blinzle ein paar Mal. Mein Herz beginnt nervös zu klopfen, doch als ich in das weiche Gesicht von Lexi schaue, beruhige ich mich auf der Stelle.

"Du musst aufstehen.", sagt sie.
Mir über die Augen streichend, nicke ich. "Danke, dass du mich geweckt hast."
"Ich habe ja gesagt, ich mache dich rechtzeitig wach."
Die schwarzhaarige wirft mir einen kurzen Blick zu, ehe sie sich aufrichtet und anscheiend etwas zu essen organisieren will.

Gemeinsam essen wir eine Kleinigkeit.
Es herrscht eine merkwürdige Stille zwischen uns. Lexi wirkt zurückgezogen und so nachdenklich wie noch nie zuvor auf mich.
"Ich werde sie umbringen.", murmelt sie.
Mit gerunzelter Stirn sehe ich sie an und schiebe die Dose von mir. Hunger habe ich sowieso nicht mehr. "Wen?"

"Die Ferox-Verräter und West, Jeanine." Zuerst sage ich nichts, kriege jedoch auch keine Gelegenheit dafür. "Diejenigen die unschuldige Altruan und Unbestimmte getötet haben. Ich werde sie alle umbringen."

Mein Magen macht einen komischen Hüpfer, als ich den Hass in den Augen des hübschen Mädchens entdecke. Doch alles was ich tue, ist zu nicken.


Lexi begleitet mich noch bis in die Gassen der Fraktionslosen. Ich rümpfe die Nase, als der Gestank uns einhült, sie wiederrum verzieht keine Miene.

"Ich könnte dich begleiten.", schlägt sie vor. "Dann bist du nicht auf dich allein gestellt."
Ein kleines Lächeln zieht sich über meine Lippen. Ich bin ihr unendlich dankbar. Sie gehört zu den wenigen Menschen, die immer zu mir halten.
"Das musst du nicht.", antworte ich. "Du hast schon genug für mich getan. Ich will dich nicht in Gefahr bringen."

Augenblicklich schließen sich ihre Arme um mich und sie zieht mich in eine Umarmung.
"Dann pass' gut auf dich auf.", murmelt sie. "Ich will nicht irgendwann erfahren das auch du tot bist."

Ich schlucke schwer, nicke jedoch nur. "Geht klar."

Anschließend wende ich mich ab und verlasse mit schnellen Schritten die Gasse.

Es dauert eine ganze Weile bis ich das Viertel der Candor erreiche. Ich probiere mich so unauffällig wie möglich zu verhalten, doch meine Ferox-Kleidung verrät mich ohnehin.

Außerdem hängen an fast jedem Haus Fahnungsplakate, auf denen mein Gesicht prangt.
Die Situation scheint aussichtslos zu sein.

Immer wenn irgendwer mir entgegenkommt, senke ich den Blick- in der Hoffnung- man würde mich nicht erkennen.

Es ist ein Wunder, das ich noch nicht geschnappt wurde. Wie von der Tarantel gestochen laufe ich durch alle Straßen, die in der Nähe des Hauptquariers der Candor sind. Doch nirgendswo ist auch nur der Hauch einer Spur von Dustin.

Mein Herz sinkt mir in die Hose. Ein furchtbares Gefühl macht sich in meinem Magen breit.

Das ich ihn nirgends finde, kann nur eines bedeuten; Er wurde gemeldet und dann von den Ken geschnappt. Weiß Gott was jetzt mit ihm passiert.

Ich spüre die Tränen in meinen Augen, probiere sie zurückzuhalten, aber meine Verzweiflung ist zu groß. Denn genau jetzt ist das passiert, was ich nie wollte. Das, was ich immer verhindern wollte.

Wir sind voneinander getrennt und vermutlich ist er sogar schon tot. Dieser Gedanke bricht mir das Herz. Wären wir doch nur zusammen gegangen.


Besorgt und mit rasendem Herzen renne ich hin und her.
Es scheint eine halbe Ewigkeit zu vergehen, bis ich aufgebe. Das nützt so oder so nichts. Er wurde gefasst, vermutlich sogar umgebracht. Wahrscheinlich hat er es nicht mal bis zu seinen Eltern geschafft. Und mit mir wird bald das Gleiche passieren.

In eine der vielen Gassen halte ich inne, zwinge mich dazu ruhig zu bleiben.
Doch das meine Finger wie verrückt zittern und mir speiübel ist, kann nichts gutes bedeuten. Vor Aufregung drehe ich noch durch.

Angespannt ziehe ich die Schultern nach hinten und atme tief durch.
Anschließend trete ich aus der Gasse.

Laute Schritte und Stimmen lassen mich abprubt inne halten.

Hastig drücke ich mich so fest an die Wand wie ich kann und halte die Luft an. Das kann nichts Gutes bedeuten. Solche Geräusche geben nur Soldaten der Ferox von sich- das weiß ich mittlerweile.

Und ich behalte Recht; drei Ferox passieren mich. Allesamt mit dem blauen Band der Ken am Oberarm.

Die Luft bleibt mir im Halse stecken, ich glaube, ich muss mich gleich übergeben. Aber ich bin so perplex, das ich mich sowieso nicht rühren könnte.

Sie sind schon fast vorrüber, als einer der Jungen plötzlich stehen bleibt und sich zu mir herumdreht. Seine Augen weiten sich, als er mir richtig ins Gesicht sieht.
Er scheint mich zu erkennen und ich erkenne ihn.
Es ist einer der gebürtigen Ferox aus meiner Initationszeit. Der Junge, der einen blöden Spruch geklopft hat, wo ich in der Dusche war. An seinen Namen kann ich mich jedoch nicht erinnern.

Ehe sich auch nur einer von ihnen rühren kann, drücke ich mich von der Wand ab und rase los. Doch ich höre das sich die Verräter sich mir sofort anschließen. Mein Vorsprung ist zwar klein, aber wenigstens vorhanden, als ich um die Ecke stürme.
Adrenalin durchströmt meinen Körper und ich renne so schnell ich kann.

Mit einem Mal verliere ich das Gleichgewicht, werde am Bein zurückgerissen und lande mit einem harten und schmerzhaften Ruck auf dem Boden. Meine Handflächen reißen auf.

"Scheiße.", fluche ich, gefolgt von einem lauten, brennendem Husten.
Auch wenn mich schreckliche Schmerzen durchziehen, versuche ich mich aufzurichten und erneut zu fliehen, scheitere aber.

Ich wehre mich mit Händen und Füßen, während die Ferox-Verräter versuchen mich auf die Beine zuziehen. Wie eine Verrückte schlage und trete ich um mich, doch all mein Widerstand scheint zu nichts zu führen.
Denn nur wenige Minuten später haben sie mich fest im Griff. Sie sind in der Überzahl und egal wie sehr ich mich anstrenge; dafür bin ich nicht stark genug.

Mit dem Fuß trete ich dem einen vors Schienbein, aber das ändert nicht viel. Er wirft mir lediglich einen verärgerten Blick zu, bevor er seinen Griff um mich verstärkt.
"Lasst mich los!", blaffe ich und fuchtle heftig mit meinen Arm herum, um ihre Hände loszuwerden.
"Loslassen, habe ich gesagt.", knurre ich abermals und probiere verzweifelt loszukommen. Ich nehme all meine Kraft zusammen, aber es bringt nichts. Irgendwie schaffe ich es dem Einem einen Schlag zuverpassen, doch als der Dritte im Bunde seine Waffe umfasst und sie an die Stirn hält, scheine ich in meiner Bewegung einzufrieren.
"Hör' auf.", fordert er, funkelt mich dabei aus dunklen Augen an.

Er ist der jüngste von den Verrätern. Die Mündung der Waffe unablässig an meinen Kopf haltend, kommt er noch näher an mich heran.

Am liebsten würde ich ein paar Schritte zurückmachen, aber in der Lage in der ich mich gerade befinde, rühre ich mich lieber nicht. Schwerschluckend, erwidere ich seinen Blick.


"Wir- oder besser gesagt Jeanine- haben eine kleine Überraschung für dich.", erklärt er.
Das dreckige Lächeln auf seinen Lippen ist kaum zu übersehen und am liebsten würde ich es ihm aus dem Gesicht wischen. Mein Herz ist kurz davor aus meiner Brust zu springen.
"Du wirst dich bestimmt freuen."

Willenlos | Divergent / Die Bestimmung ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt