57. Kapitel ~ Sturheit, Wahrheit & ein Schuss

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57. Kapitel ~ Sturheit, Wahrheit & ein Schuss

Hundemüde und schlecht gelaunt schleppe ich mich zum Training. Eigentlich habe ich zwei Optionen.
Nummer eins: Ich gehe nicht hin und kriege riesen Ärger.

Nummer zwei: Scheiß drauf, wie schlecht es mir geht und gehe hin.

Wofür ich mich entschieden habe ist wohl klar. Ich ziehe die Ärmel meiner Jacke soweit nach unten wie nur möglich und stoße die Tür auf.

"Morgen.", murren ein paar der Initianten mit einem kurzen Blick auf mich. Ich antworte nichts, sondern nicke nur kurz in ihre Richtung.

Wie's aussieht war die Nacht für sie auch zu kurz. Ich beobachte, wie alle sich bei der Zielscheibe versammeln und kurze Blicke zu dem Tisch, auf denen die Messer zum Werfen liegen, werfen. Ich streiche mir mit der Hand über die Augen und gähne leise. Wieso kann man nicht durchgänig im Bett bleiben? Das wäre viel angenehmer.


Und dann mit dem perfekten Auftritt stürmt Eric herein. Seine Laune spiegelt sich in seinem Gesicht wieder. Bestimmt wäre er auch viel lieber woanders, aber hier kann er ja ein paar sechszehnjährige quälen.

Ich beiße wütend die Zähne aufeinander. Trotzdem nehme ich meinen Blick nicht von ihm.
Mit einer Handbewegung trommelt er alle zusammen. Auch ich gehe ein paar Schritte auf ihn und die Gruppe zu.
"Morgen ist der letzte Tag von Phase eins", sagt er. "Dann steht wieder Kampftraining auf dem Programm. Heute lernt ihr, wie man richtig zielt. Jeder nimmt sich drei Messer."

Irgendwie klingt seine Stimme heute noch schneidender und tiefer, als sonst. "Und gebt gut acht, wenn Four euch zeigt, wie man richtig wirft."
Ich betrachte ihn eindringlich, aber er sieht nicht mal annähernd in meine Nähe. Alles ist mucksmäuschenstill, niemand rührt sich von der Stelle.

"Wird's bald!" Und damit stürzen die Initianten auf den Tisch zu und schnappen sich wie befohlen drei Messer.
Ich kann mir gut vorstellen wieso er so schlecht gelaunt ist. Einerseits wegen der Niederlage und anderseits vielleicht wegen unseren Streits. Obwohl ich das nicht so richtig glauben kann. Eric ist zwar auch nur ein Mensch, mit Gefühlen (ob man es nun glauben will, oder nicht), aber das er sich wegen sowas schlecht fühlt, denke ich eher weniger. Ehrlich, wenn ich so darüber nachdenke ist das gerade zu lächerlich.

Während ich ein wenig umherschleiche beobachte ich die Initianten beim Werfen. Einige sind recht gut, andere verdammt grottig. Aber darüber werde ich nicht urteilen. Schließlich war ich selbst nicht gerade gut. Mein Blick bleibt an einem großen Jungen hängen, der einen ziemlich traurigen, aber auch netten Ausdruck im Gesicht trägt. Ich glaube, er war gestern in meinem Team. Ich suche in meinem Kopf verzweifelt nach einem Namen, aber er fällt mir nicht ein. Ein weiteres Mal holt er aus und das Messer prallt wieder von der Wand ab und fällt zu Boden.

Ich mache einen Schritt an ihn heran und überlege, ob ich ihm einen Tipp geben soll. Doch Eric kommt mir zu vor.
"Wie begriffsstutzig bist du eigentlich, Candor? Brauchst du eine Brille? Oder soll ich dir die Zielscheibe vor die Füße stellen?"

Kopfschüttlend sehe ich Eric böse an. Auch das bekommt er nicht mit, scheinbar macht es ihm zu viel Spaß auf dem Jungen herumzuhacken. Mit knallroten Wangen wirft er abermals, doch erneut klatscht das Messer einfach gegen die Wand und scheppert zu Boden.
"Was war das denn, du Strümper?"

"Es...es ist mir aus der Hand gerutscht.", stammelt er herum.

"Wenn das so ist, dann solltest du es dir schleunigst wieder holen."

Willenlos | Divergent / Die Bestimmung ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt