68. Kapitel ~ West, der sich irgendwie komisch benimmt.

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68. Kapitel ~ West, der sich irgendwie komisch benimmt.

Am nächsten Tag geht es mir schon wieder besser, als vorher. Die Schusswunden tun noch immer weh und es wird sicherlich noch eine ganze Weile dauern bis das wieder halbwegs geht, aber mein Körper fühlt sich nicht mehr völlig schlapp an.
Gestern Abend sollte ich mich auch zu ein paar anderen Fraktionslosen legen, da der Raum jetzt wieder für andere Dinge genutzt werden soll.
Alexia hat mir dabei geholfen meine Matratze neben ihre zu ziehen und so haben wir uns nebeneinander gelegt, auch wenn wir kaum gesprochen haben.

Und jetzt stehe ich in der kleinen Gasse, in der ich noch vor ein paar Tagen zusammen gebrochen bin, und sehe mich.

Ich warte auf West. Er meint, er will mir alles zeigen und deswegen sollte ich nach dem Aufstehen direkt hier her kommen.

Dabei gibt es hier gar nicht so viel zu sehen, denke ich zumindest. Aber vielleicht sollte ich den Fraktionslosen gegenüber nicht so voreingenommen sein.

"Miss Überpünktlich", spaßt West und ein Lächeln huscht über seine Lippen. "Ich hätte nicht gedacht, dass du schon hier bist."
Ich erwidere das Lächeln. "Wie du siehst bin ich es."
Wenn ich ehrlich bin hätte ich mir die Gesellschaft hier schlimmer vorgestellt. Die Fraktionslosen sind zwar oftmals grimmig und nicht die Gesprächigsten, aber man kann nicht sagen das sie einen schlecht behandeln.
Jeder hilft jedem, irgendwie...

"Kannst du dir vorstellen, dass die Welt hinter dem Zaun besser ist?"
Ich weiß nicht wieso diese Frage genau jetzt aus mir herausplatzt, aber es ist einfach passiert. Die letzten Tage habe ich viel darüber nachgedacht von hier zu verschwinden, die Stadt zu verlassen. Auch wenn ich keine Ahnung wie ich das machen soll. Es ist eher so eine bescheuerte Träumerei.
"Man sagt, dahinter sollen Dinge sein, die sich nie richtig vom Krieg erholt haben.", erklärt er mir. Doch das weiß ich selbst. Bei den Ken habe ich schon probiert mich darüber zu informieren, einfach aus reiner Wissbegierde.

Ich denke an die Farmen, der Amite, die ebenfalls hinter dem Zaun sind. Zwar nicht allzu weit dahinter, aber immerhin raus aus der Stadt.


West läuft nur ein paar Zentimeter neben mir. Aufmerksam sehe ich mich um. Der Geruch hier draußen ist nicht gerade angenehm. Es stinkt nach gammeligem Müll, aber dagegen kann mal wohl nichts machen.
Ich verstehe sowieso nicht wieso Menschen fraktionslos werden. Man sollte als Gesellschaft zusammen halten und sich nicht gegenseitig verstoßen. Meine Hände zu Fäusten ballend sehe ich mich um.

"Hast du eigentlich Angst?", fragt West mich. Wie angewurzelt bleibe ich stehen und sehe fragend in sein von Bartstoppeln übersähtes Gesicht.
"Wie meinst du das?"
Er zuckt die Schultern. "Na ja, du solltest eigentlich tot sein. Du könntest jeder Zeit auffliegen."
Ich presse die Lippen aufeinander. "Ich bezweifle, dass Jeanine den Fraktionslosen einen Besuch abstattet, dafür verachtet sie uns doch zu sehr."
Uns, denke ich. Also sehe ich mich selbst schon, als fraktionslos an. Aber es ist doch so. Ich bin eine von ihnen. Ob ich nun will, oder nicht.

West sagt nichts, sondern läuft weiter. Im relativ schnellem Tempo folge ich ihm. Der Pullover den ich trage ist so lang, das ich meine Fingerspitzen mit Leichtigkeit darin verschwinden lassen kann.
"Wenn ich ehrlich bin...", beginne ich zögerlich. "...dann habe ich schon Angst, ja. Ich möchte nicht sterben. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass es einen Krieg, oder sowas geben wird.

Willenlos | Divergent / Die Bestimmung ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt