|40| Ich Falle

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Blake

"Weißt du noch, als du mit Nicklas ausgehen wolltest und mich erstmal zwei Wochen anbetteln musstest? Ich wollte damals nich wahrhaben, dass mein Mädchen schon 15 Jahre alt ist und selbst entscheiden kann."

Leicht lachte ich auf und musste wegen den Erinnerungen schmunzeln.

"Ich werde das Arschloch übrigens wieder eine aufs Maul geben, wenn ich ihn sehe. Niemand lässt meine Schwester sitzen! Aber es war ja dann doch ein sehr schöner Abend... Es ist zwar immer noch komisch, dass ich mein erstes Date mit meiner Schwester hatte, aber es war perfekt!"

Ich lächelte Rachel zu und wollte unbedingt weiter in den Erinnerungen mit ihr schwelgen.

"Du hast dann Jungs abgewiesen, nur weil sie nicht so waren wie ich. Du bist die beste Schwester die es gibt und ich hoffe, dass weißt du. Ich habe es dir viel zu selten gesagt"

Ich schniefte kurz und tatsächlich konnte ich immer noch weinen. Einige würden mich vermutlich auslachen und sagen ich sei ein Weichei, aber sie verstehen auch den Schmerz in mir drinnen nicht.

"Es ist so schade, dass du weder deinen ersten Kuss noch deinen ersten Freund hattest. Dein Leben war viel zu kurz und es ist meine Schuld!"

Ein Wimmern kam aus meinem Mund und die Tränen flossen weiter über mein Gesicht.

"Hätte ich früher angefangen dich zu reanimieren, dann hättest du vielleicht noch eine Chance gehabt. Aber ich war zu schwach! Zu schwach um mich aus dem Auto zu winden und zu dir zu gelangen. Zu schwach um dich zu retten, aber Rachel... Ich bin ebenfalls nicht stark genug um ohne dich zu leben!"

Ich musste schlucken und mit belegter Stimme fuhr ich fort.

"Ich kann einfach nicht ohne dich.
Ohne dein Lachen, welches meinen Tag erhellt.
Ohne deine strahlenden Augen, welche stärker leuchten als jeder Stern am Himmel.
Ohne dein Charakter, welcher mehr als nur Gold wert ist.
Ohne deine Gutmütigkeit, welche mir alle Dummheiten verzeiht.
Ohne deine Freude, welche mich zum strahlen brachte.
Ohne deine Offenheit, mit welcher du jedem einzelnen gegenüber trittst.
Ohne deinen Optimismus, welcher nicht zulässt, dass man negativ denkt.
Ohne deinen Sinn für Gerechtigkeit, welcher mich oft schon hat Taten beichten lassen... Verdammt Rachel was soll ich nur ohne dich tun?"

Meine Tränen fanden wieder kaum ein Ende und ich fühlte den Schmerz und die Leere in mir. Wieso konnte sie nicht einfach hier bei mir sein? Warum musste ausgerechnet sie von uns gehen?

"Man Rachel ich kann einfach nicht ohne dich! Siehst du nicht wie schwer es mir fällt? Ohne dich bin ich ein Nichts! Mit dir wusste ich immer wo ich hin gehöre aber ohne dich fühle ich mich kaputt und mein inneres ist in eine Milliarden Teile zersprungen. Immer frage ich mich 'was wäre wenn?'... Verdammt! Wieso könnten wir nicht einfach auf dem Sofa sitzen und unsere Lieblings Pizza verdrücken? Du bist doch mein Engel... Mein Leben... Mein ein und alles! Ohne dich weiter zu machen ist unmöglich, vorallem mit dem Wissen, dass es meine Schuld ist! Du bist meinetwegen nicht mehr hier bei mir und es zerreißt mich!"

Ich jaulte geradezu laut auf vor den Schmerzen, welche ich in mir trug und seit sieben Monaten versuchete zu verdrängen. Schmerzen die mich kaputt machen.

"Ich leide Rachel... Ich leide ohne dich... Wie konntest du mich nur alleine lassen? Wie Rachel? Und eigentlich stelle ich die falsche Frage... Die Frage sollte eher lauten, wie konnte ich dich nur gehen lassen?"

Ich blieb eine lange Zeit stumm und tatsächlich wünschte ich mir, dass sie mir antworten würden.

Doch das würde sie nicht. Nie wieder.

Ich musste schlucken und versuchte mir die Tränen weg zu streichen, aber es brachte kaum etwas.

"Ich frage mich immer wie schlimm es für die Menschen ist eine geliebte Person zu verlieren... Ich meine klar... Ich erlebe diesen Schmerz aber ich fühle noch so etwas, was mir einfach die Sache erschwert. Ich bin schuld, dass du weg bist"

Wieder schwieg ich und sah mit meinen Tränen gefüllten Augen gen Himmel. Es strahlte die Sonne auf mich hinab und mittlerweile war tatsächlich schon Dienstag. Den ganzen Sonntag hatte ich geweint und Rachel darum gebeten zu mir zu kommen.

Gestern hatte ich ihr vieles erzählt... Schöne Geschichten von damals.

Heute... Ja heute dachte ich viel nach und wusste nicht mehr so recht, was ich hier noch mache. Rachel war nicht hier und ob ich jetzt hier mit ihr rede oder wo anders ist ja eigentlich egal, aber hier hatte ich sie für mich. Für mich allein.

"Ohne dich ist meine Welt leer... Aber ich hab nun jemanden gefunden, der mir dieses Gefühl nehmen und mir wieder Farbe geben kann. Freya... Sie ist ein so unglaubliches Mädchen. Stark und tatsächlich erinnert sie mich an dich"

Ich musste schmunzeln, als ich an Momente mit meinem Mädchen dachte.

"Fre ist temperamentvoll, liebevoll und einfach voller Optimismus. In ihrer Gegenwart hab ich nicht mehr das Gefühl erdrückt zu werden von meinen Schuldgefühlen. Bei ihr schweigen die Stimmen in meinem Kopf und ich kann durch atmen"

Wieder schwieg ich und wollte meine nächsten Worte kaum aussprechen, aber ich musste es tun.

"Aber was ist wenn sie auch irgendwann geht? Und was ist wenn ich ebenfalls wieder die Schuld daran trage?"

Verzweiflung machte sich nun komplett in mir breit und ich raufte mir die Haare.

"Ich werde es nicht verkraften, wenn sie auch noch gehen würde. Daran würde ich ganz zu Boden gehen"

Ich musste Schlucken "Ich fühle mich wie in einem freien Fall. Wie von einem Hochhaus. Mit unendlich vielen Stockwerken. Ich wurde dort hinunter gestoßen, als man mir sagte, dass du nicht mehr lebst. Man hätte mich bestimmt auffangen können. Mich in ein Stockwerk ziehen. Als ich Paris vor mir sah, hatte ich genau dieses Gefühl. Das Gefühl der Rettung. Aber nein. Sie zog mich nur kurz aus dem Fall um mich in den Magen zu Boxen und dann wieder weiter zu schicken. Immer wieder wollte ich mich selbst, für dich, retten und weiter machen, aber nie habe ich es geschafft. Nicht einmal konnte ich mich in das scheiß Gebäude neben mir retten. Nicht eineinziges Mal. Immer weiter bin ich gefallen"

Ich sah auf und las erneut die Schrift auf ihrem Grabstein. Meine Tränen machten meine Sicht total unklar und ich konnte die Worte kaum lesen.

"... und ich falle immer noch"

Take My OnusWhere stories live. Discover now