21. Probleme

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Eragon lehnte sich zurück und atmete einige Male tief durch. Inzwischen war er in der Magie so geübt, dass sein Körper den Kraftverlust, den er hatte in Kauf nehmen müssen um Tar die Papiere zu schicken, schnell auszugleichen vermochte.
Als das kurze Gefühl von Schwäche sich völlig verflüchtigt hatte erhob sich der Anführer der Reiter und ging die Wendeltreppe seines Quartiers hinunter die den Arbeitsbereich mit dem Wohn- und Schlafzimmer verbannt. Bereits auf der Treppe stieg in der vertraute Duft von Tannennadeln in die Nase. Eragon lächelte. Er hatte gehofft seine Gefährtin anzutreffen. Es gab für ihn nichts Besseres um sich zu entspannen als einige Zeit mit der von ihm über alles geliebte Elfe zu verbringen.
Als er schließlich am Fuß der Wendeltreppe angekommen war und Arya in der Sitzgruppe entdeckte seufzte er einmal lautlos.
Seine langwierige Gefährtin war eine Meisterin darin ihre Gefühle zu verbergen aber ihm gelang es inzwischen recht gut zu erkennen wenn Arya etwas bewegte oder auf der Seele lag.
Leise trat er an die Elfe heran als diese gedankenverloren auf das Bild von Saphira starrte, welches die Drachenreiter bei ihrem Gespräch mit dem Heiler Venris verwendet hatten.
Als Eragon sich setzte blickte sie auf.
"Hat Tar die Dokumente erhalten?"
Eragon nickte und fügte hinzu:
"Gerade noch rechtzeitig bevor der junge Tanis vor Aufregung geplatzt wäre. Aroc wir ihn heute einigen wilden Artgenossen vorstellen. Zunächst natürlich nur junge Drachen in seinem Alter. Trotzdem bietet unser junger Schüler vor Aufregung."
Arya lächelte als sie das Bild von Saphira zusammenrollte und auf dem Tisch abgelegt. Das Lächeln allerdings erreichte ihre Augen nicht wirklich. Als sich die Blicke von Eragon und der Elfe wieder trafen brauchte diese nur einige Sekunden um zu erkennen, dass ihr Gefährte sie nicht aus den Augen gelassen hatte und dass ihm eine stumme Frage ins Gesicht geschrieben stand. Einen Augenblick lang überlegter Arya. Eragon gab sich alle Mühe nicht ungeduldig zu wirken oder sie zu bedrängen. Zwar versetzte es ihm einen kleinen Stich, dass Arya immer noch darüber nachdenken musste ob sie sich ihm anvertrauen konnte aber der Anführer der Reiter rief sich zu Ordnung. Es ging hier nicht darum auf seine Gefährtin im vertraute oder nicht. Aryas Leben war durch Selbstbeherrschung und Disziplinen geprägt. Die Entscheidung sich zu öffnen und Gefühle, vielleicht sogar Schwäche zuzulassen erforderte bei ihr nun mal einige Sekunden.
"Du liest mich wie ein offenes Buch oder?" erkundigte sie sich schließlich.
Eragon schmunzelte.
"Es bedürfte eines wesentlich weiseren Mannes als ich es bin um dich so sicher einschätzen zu können aber ich habe den Eindruck, dass sich etwas bedrückt."
Arya schlug kurz die Augen nieder und lächelte.
"Ich habe beaufsichtigt wie die Nichte der Königin ihre Tochter in Empfang genommen hat. Ein liebliches, wunderschönes kleines Mädchen. Mavascha war sehr glücklich. Leider gehörte die Heilerin, die das Kind bisher in ihrer Obhut hatte zu den Elfen, die immer noch der Meinung sind, dass sie etwas Gutes getan hätten indem sie missgebildete Kinder ins Exil geschickt hätten. Der glückliche Moment zwischen Mutter und Tochter wurde durch diese Frau getrübt. Sie nannte Mavascha selbstsüchtig. Selbstsüchtig und kurzsichtig."
Aryas Blick war ins Leere gewandert wärend sie sprach. Ihre Stimme war genau so emotionslos gewesen wie an dem Tag als sie vor dem Kronrat ihrer Mutter von ihrer Gefangenschaft berichtet hatte. Ärger über das ein sicheres Zeichen, dass seine Gefährtin sehr aufgewühlt war. Je stärker sie ihre Empfindungen unterdrückte, desto machtvoller waren sie.
Arya hatte sich inzwischen erhoben, die Arme vor der Brust verschränkt und ging langsam im Raum auf und ab.
"Es ist bereits indiskutabel eine Mutter, die Zeit mit ihrem Kind verbringen sie selbstsüchtig zu nennen. Ich glaube es gibt keiner türsicheres und ehrlicheres Gefühl als diesen Wunsch und das habe ich der Heilerin auch deutlich zu verstehen gegeben. Diese ließ sich jedoch nicht beirren. Sie hält unbeirrt an ihrem Standpunkt fest! Gegen jede Vernunft. Wir haben doch eindeutige Beweise vorgelegt. Wie kann sich jemand so fanatisch an einen Irrglauben klammern?"
Eragon war inzwischen ebenfalls aufgestanden. Er trat in den Weg von Aryas ruheloser Wanderung durch den Raum, legte einen Arm um sie und brachte die Elfe dazu sich wieder zu setzen.
"Ich denke dass es hier nicht um die Eindeutigkeit von Beweisen geht mein Stern. Es liegt in der Natur von Lebewesen manche Dinge die fremdartig sind oder schlichtweg anders zu fürchten. Eure Gelehrten sind der Meinung, dass sich alle Völker aus primitiveren Formen in ihre heutige entwickelt haben. Nicht immer waren wir so intelligent wie wir heute sind. Auch standen uns nicht immer Häuser, Waffen oder gar Magie zur Verfügung. Wenn wir uns nicht vor Raubtieren gefürchtet hätten, wäre die Geschichte unserer Rassen nicht besonders umfangreich geworden. Eine Missbildung bei unseren vorzeitlichen Vorfahren stellte vielleicht wirklich eine Bedrohung dar und daher stammt vielleicht eine instinktive Abneigung."
"Aber Eragon," unterbrach Arya nun. "Wir sind nicht mehr primitiv. Heute stehen und die Siedlungen der Zivilisation zur Verfügung. Es gibt keinen Grund mehr jemanden der eine Missbildung hat abzulehnen."
"Rational betrachtet hast Du völlig recht Arya. Aber es ist nun mal eine Tatsache, dass kein Wesen wie das andere ist. Damit meine ich nicht nur, dass wir äußerlich unterschiedlich sind. Auch in unserem Denken gibt es Unterschiede. Der eine empfindet ein bestimmtes Musikstück als den wundervollen Höhepunkt künstlerische Entwicklung. Ein anderer findet es vielleicht höchstens durchschnittlich und ein dritter mag es überhaupt nicht. Du mein Stern bis jemand der sehr klar denkt. Es fehlen Fakten für dich. Das ist eine nobler Einstellung ihre Stärke und ihre Schwächen hat. Es gibt aber auch Lebewesen, die sich weit mehr von ihren Gefühlen und Instinkten leiten lassen. So lässt sich vielleicht die Einstellung dieser Heilerin erklären."
Arya neigte den Kopf von einer Seite auf die andere wie ein Vogel der das Nahrungsangebot vor ihm betrachtete und versuchte zu entscheiden ob es genießbar war oder nicht.
"Du magst Recht haben Eragon. Das mag eine Erklärung für diese Einstellung sein aber keine Entschuldigung. Mein Volk hält sich für so hoch entwickelt und doch ergeben wir uns in einem so entscheidenden Punkt einem längst überholten Instinkt."
Arya unterbrach sich überrascht als sie Eragon lächeln sah und feststellte, dass ihr Gefährte offenes Lachen mühsam zurückhielt. Eine ihrer elegant geschwungenen Augenbrauen flog geradezu in die Höhe.
"Entschuldige bitte Arya." sagte der Anführer der Reiter. "Du hast natürlich mit deiner Einschätzung recht. Was mich aber sowohl lustig ist, dass du zwar nicht mehr die Königin deines Volkes bist aber dich noch immer für es als Ganzes verantwortlich fühlst. Du scheinst es geradezu als eine Beleidigung seiner eigenen Person zu sehen, dass jemand aus deinem Volk sich weigert einen Fehler einzugestehen und seine Einstellungen zu ändern. Gerade wenn es um fanatisch verteidigte Standpunkte geht braucht dass seine Zeit. Manche lernen es sogar nie. Ich möchte dich aber bitten folgendes in seine Überlegungen mit einzubeziehen. Ja, es gibt unter deinesgleichen einige, die eine falsche Einstellung haben aber diese wenigen sind doch nicht die Summe eures Volkes. Und sicherlich sagte nichts über deine Einstellung aus. Um nicht einmal wie ein naiver menschlicher Bauernjunge auszudrücken: wenn einer unbedingt einen Dickschädel haben will, dann soll er doch. Wir können den Leuten nicht vorschreiben was sie denken sollen. Was wir tun können ist dafür sorgen das die Mehrheit nicht unter dem Starrsinn einer Minderheit leiden muss. Und denke das ist uns gelungen."
Nach einigen Augenblicken des Nachdenkens lächelte Arya und nickte. Eragon wagte nur den Vorstoß und legte den Arm um sie. Dankbar stellte er fest, dass sich der schlanke Körper der Elfen entspannte und sie sich an ihn schmiegte.
"Du hast natürlich recht. Vielleicht habe ich das etwas zu persönlich genommen aber einen Punkt gibt es noch, den ich gern bereinigen würde. Die Heilerin hat nämlich ein Problem angesprochen, dem sich Mavascha als Mutter tatsächlich gegen übersehen wird. Im Augenblick ist ihre Tochter noch so jung, dass es nicht ins Gewicht fällt aber wie sollen sich die beiden verständigen. Das kleine Mädchen ist stumm. Und zwar in einer Form, die sich nicht nur auf das Fehlen von Stimmbändern bezieht sondern auch auf einen nicht ausgebildetes Gehör. Wie soll das bringt eine Ausbildung erhalten wenn es die Worte seines Lehrers nicht versteht und auch sich selbst nicht ausdrücken kann. Das ist nicht nur eine Herausforderung die sich der Mutter stellt sondern in allen möglichen Situationen des Lebens. Ich habe vorgeschlagen, dass Mavascha den Geist ihrer Tochter berühren soll und ihr beibringen soll dies auch bei anderen zu tun aber die besagte Heilerin hat uns widersprochen. Du musst wissen, Elfenkinder lernen erst ab einem bestimmten Alter den Geist anderer Lebewesen zu berühren. Die Fähigkeit entwickelt sich sogar erst ab einem gewissen Alter. Es hat damit zu tun, dass ich erst eine eigene Persönlichkeit festlegen muss. Deshalb ist es auch nicht gut wenn man in die Gedanken eines noch zu jungen Kindes eingreift. Die Entwicklung eines eigenständigen Wesens wird dadurch behindert. Ich befürchte dass er noch bei verschiedenen Gelegenheiten auf ähnliche Probleme stoßen werden. Die meisten meines Volkes wird davon ausgegangen, dass es bei uns keine Missbildungen gibt. Folglich man auch nichts entwickelt um diesen Problemen zu begegnen und die Heiler des Zirkels möchte ich in diesem Punkt nicht um Hilfe bitten. Zum einen halte ich es für wichtig, sie erst einmal von den Kindern fernzuhalten damit diese eine Beziehung ihren wirklichen Eltern aufbauen können. Außerdem waren ihre Techniken nur darauf ausgelegt die Kinder möglichst schnell eigenständig genug zu machen um sie ins Exil zuschicken. Sie waren nicht unbedingt dafür gedacht die Miss gebildeten auf die beste nur mögliche Weise zu fördern."
Aryas Ausführungen folgte ein Moment des Schweigens. Die Elfe hatte sich inzwischen auf der Sitzgruppe ausgestreckt und ihr Haupt ruhte auf Eragons Schoß. Dieser Strich gedankenverloren durch ihr seidiges Haar. Seine Gefährtin hatte nicht unrecht. Es mussten Mittel und Wege gefunden werden diese körperlich benachteiligten Kinder zu fördern und es war wohl die Aufgabe der Drachenreiter eine Lösung hierfür zu finden der sie es gewesen waren die diesen Stein ins Rollen gebracht hatten.
Der Anführer der Reiter überlegte noch einen Moment und musste dann wieder lächeln.
"Ist dir etwas eingefallen?"
Arya hatte seinen Stimmungsumschwung wohl bemerkt.
"Allerdings. Die Urgals"
"Die Urgals?" verwirrt richtete Aryas sich auf und blickte ihn an. "Was haben sie damit zu tun?"
"Es ist mir wohl deshalb gerade so lebendig im Gedächtnis weil ich mit Tar gesprochen habe. Elitekämpfer der Gehörnten haben für das Gefecht eine Möglichkeit entwickelt miteinander zu sprechen ohne auf Worte zurückzugreifen oder ihren Geist zu öffnen. Das wäre in einer großen Schlacht unter Umständen sogar gefährlich Reihe feindlicher Magier stets auf der Suche nach einem ungeschützten Geist sind. Es ist eine Art Zeichensprache. Gesprochene Worte werden durch Gesten ersetzen bei der auch die Anzahl der gehobenen Finger beispielsweise eine Rolle spielen. Vielleicht liegt dort die Lösung für das Problem unserer jungen Mutter."
Arya bewertete was sie gehört hatte und murmelte dann:" Das könnte funktionieren. Wir sollten uns auch mit den übrigen Miss gebildeten unterhalten wenn sie in Carvahall eintreffen. Jeder einzelne von ihnen hat gelernt mit seiner Einschränkung zu leben! Vielleicht können Sie uns Techniken zeigen oder uns zumindest helfen Techniken, wie die Zeichensprache der Urgals unseren Bedürfnissen anzupassen."
Die schöne Elfe schüttelte den Kopf.
"Jetzt habe ich den selben Fehler gemacht wie die engstirnigen Mitglieder meines Volkes. Ich habe mich dazu hinreißen lassen zu glauben, dass wir allein die Lösung für die Verstoßenen finden müssen. Wir sollten nicht über sie Entscheidungen fällen sondern sie einbinden. Dasselbe gilt auch für die anderen Völker. Als Tar zu uns gekommen ist es ihm gelungen einen Zauber zu wirken, den selbst die Magier meines Volkes nicht hätten ausführen können weil ihnen in einem bestimmten Punkt Wissen fehlt. Trotzdem bin ich nicht auf den Gedanken gekommen nach der Lösung für unser Problem in den anderen Kulturen von Alagaesia zu sorgen. Glaube ich etwa auch, dass wenn mein Volk die Antwort nicht kennt niemand sie kennen kann?"
Eragon ergriff Aryas Hände und streichelte mit den Daumen über ihre Handrücken.
"Du bist ganz sicher nicht engstirnig ich mein Stern. Schließlich willst Du nicht nur das fremde Wissen an sondern als meine Idee direkt durch eine eigene ergänzt. Ich denke es liegt daran, dass Galbatorix die Völker so lange getrennt gehalten hat. Das Wissen der einzelnen Rassen übereinander ist zum Teil ein ganzes Jahrhundert alt. Und über Jahrzehnte hinweg gab es einfach nicht die Möglichkeit solches Wissen auszutauschen."
"Du hast recht. Aber das muss sich ändern. Wir alle können wohl viel voneinander lernen. Und unserer heutigen Überlegungen beweisen dass mein Volk nicht nur geben kann sondern auch durchaus etwas zu gewinnen hat."
Eragon nickte.
"Wer wäre wohl besser geeignet zu den einzelnen Völkern zu reisen und auf die Suche nach solchen Wissen zu gehen als wir? Wer, wenn nicht die Drachenreiter? Ich denke unser Orden hat eine neue Aufgabe gefunden."

Eragon FF - Band 7- Ende, Epilog Band 7 und doe OS- Sammlung von TraeumerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt