Kapitel 13

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Es war Mitternacht und wieder weckte mich die Uhr auf meinem Nachttisch. Hektisch schaltete ich sie aus, sodass keine meiner Schwestern davon geweckt wurde. Ich gähnte leise. Dann schlug ich meine Decke beiseite und setzte mich auf. Meine Kette rasselte leise über den Boden, als ich die Füße aufstellte. Ich musste in die Gemächer des Herrn. Nachdem ich meinen Schwestern das Buch vorgelesen hatte, war ich früh ins Bett gegangen, doch trotzdem überwältigte mich meine Müdigkeit beinahe. Seit Tagen hatte ich nur vereinzelt ein paar Stunden geschlafen. Tag und Nacht war ich auf den Beinen, was mich weit mehr auslaugte, als ich vermutet hatte. Aber es würde sich lohnen. Auf Zehenspitzen hatte ich schon die Hälfte des Schlafsaals durchquert. Es waren nur noch wenige Meter bis zur Tür, da hörte ich plötzlich ein Flüstern hinter mir: „Pass auf dich auf."
Ich erschrak. Plötzlich fuhr ich herum und meine Augen huschten hin und her. Mein Herz hämmerte schnell gegen meine Rippen und ich sah mich hektisch um. Meine Hände zitterten. Die Schatten der Fenster spielten mir fiese Streiche und mein Blick zuckte unruhig hin und her. Doch dann bemerkte ich sie. „Bianca?" Wie die anderen, lag sie ruhig in ihrem Bett, doch sie war hellwach. Bianca's Augen glitzerten im Mondlicht und sie sah mich fest an. Erneut flüsterte sie: „Pass auf dich auf. Versprich es mir." Ich ließ meinen Blick über meine restlichen Schwestern schweifen, doch diese schliefen tief und fest. Ich zögerte einen Moment, doch dann strich ich mir die Haare hinter die Ohren und schlich mich zu Bianca rüber. Diese setzte sich auf und sah mich noch immer mit ihren braunen Rehaugen an. Bei Nacht sah es beinahe aus, als seien sie schwarz. Leise setzte ich mich neben meiner kleinen Schwester auf ihr Bett. Es gab so viel, was ich ihr sagen wollte, doch ich hatte keine Ahnung, wo ich anfangen sollte. Ich öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch gleich darauf schloss ich ihn wieder. Ich brachte kein Wort heraus. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Stattdessen legte ich sanft meine Hand auf ihr Bein und sah sie an. Verständnisvoll legte sie ihre Hand auf meine und strich mit dem Daumen über meinen Handrücken. Ich schluckte und räusperte mich. Dann flüsterte ich: „Danke, Bianca." Sie lächelte und drückte meine Hand. Noch einmal schluckte ich und fuhr fort: „Danke, dass du meine Aufgaben übernommen hast. Und danke, dass du mich nicht verraten hast. Und danke, dass du immer auf mich aufpasst" Wortlos nahm meine Schwester mich in den Arm und drückte sich an mich. Ich legte meine Arme ebenfalls um sie. Da sprach sie leise in mein Ohr: Leo, ich werde immer für dich da sein, wenn du mich brauchst und ich werde dir immer helfen, wenn ich es kann, aber ich will nicht, dass dir etwas passiert." Sie löste sich von mir uns sah mir tief in die Augen. „Leo, bitte... was hast du vor?" Ich machte eine lange Pause, bevor ich antwortete. Ich dachte darüber nach, ob ich ihr mein Geheimnis anvertrauen konnte. Ich dachte darüber nach, ob es sie in Gefahr bringen könnte. Ich dachte darüber nach, wie sehr ich sie liebte und schließlich antwortete ich ihr flüsternd: „Ich finde heraus, was es mit dem Herrn und diesem Haus auf sich hat." Biancas Augen weiteten sich, doch sie sagte nichts. „Meine Kette ist kaputt. Sie lässt mich  die Gemächer des Herrn betreten und ich versuche, Antworten zu finden - Antworten, auf die Fragen, die ich mir schon so lange Zeit stelle. Verstehst du?" Bianca nickte, doch ich sah, dass sie sich Sorgen machte. „Hey", sagte ich und nahm ihre Hände fest in meine. „Ich passe auf mich auf. Versprochen! Du musst dir keine Sorgen machen!" Nun lächelte sie und drückte meine Hände fest. Ich zog sie an mich und noch einmal nahm ich sie in den Arm. „Ich muss jetzt in die Gemächer des Herrn. Vielleicht finde ich etwas Wichtiges heraus, aber morgen früh bin ich wieder da. Okay?" Beruhigt nickte Bianca und legte sich wieder hin. Ich deckte sie ordentlich zu und sie drückte den Kopf in ihr Kissen. „Gute Nacht, schlaf gut und träum' etwas Schönes,  Kleine." „Du auch, Große", murmelte sie unter der Decke. Ich stand auf und schlich erneut auf den Zehenspitzen durch den Schlafsaal. Mit schnellen Sprüngen hüpfte ich zur Tür, doch als ich diese einen Spalt weit öffnete, hörte ich erneut ein Flüstern. „Leo?" „Was ist, Bianca?" „Ich hab dich lieb." „Ich hab dich auch lieb." Mit diesen Worten verließ ich den Schlafsaal und auch die letzte meiner Schwestern versank in einem tiefen Schlaf.

Die Geheimnisse des HerrnWhere stories live. Discover now