Kapitel 1

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„Elisa?

Celina?

Mia?

Tabea?

Franziska?

Luisa?

Valerie?

Jana?

Dorothea?

Bianca?

Leona?" „Ja", antwortete ich.

Kira's Blick fiel zurück auf ihre Liste und sie setzte einen letzten Haken darauf. Dann sah sie uns wieder an. „Auf euren Kisten liegen eure heutigen Arbeitspläne. Das Mittagessen wird etwa um 13 Uhr fertig sein. Bis dahin, seid fleißig. Falls etwas ist, bin ich im Büro. Wir sehen uns später. Ich hab euch lieb." Sie schenkte uns noch ein Lächeln, doch schon im nächsten Moment war sie auf dem Weg zu ihrer Arbeit.

Ich lief zu der großen Kiste, die am Fußende meines Bettes stand und setzte mich auf ihre Kante. Dann nahm ich mir das Blatt, auf dem meine Aufgaben für den heutigen Tag aufgelistet waren und las es aufmerksam durch.

Aufgaben, LEONA:

-Betten machen

-Spiegel im Badezimmer putzen und Seife bei Bedarf auffüllen

-Tisch wischen und decken (Mittagessen)

-Vorhänge waschen (Speisesaal, Ballsaal)

-Fensterbänke wischen (Speisesaal, Ballsaal)

- Pflanzen gießen (Speisesaal, Ballsaal)

-Boden fegen (Speisesaal, Ballsaal)

- 1 Korb Feuerholz holen

Am besten fing ich gleich damit an, die Betten zu machen. In diesem Moment räusperte sich Jana und faltete ihren Arbeitsplan so, dass er genau in die Tasche ihres Kleides passte. „Gut, dann geh ich im Stall und schau nach den Pferden. Bis später!" „Bis dann, Jana!", rief ich ihr hinterher. Sie verließ unser Zimmer und ihre Kette rasselte leise auf dem Fußboden – die Kette, die sie an dieses Haus band. Nach und nach machten sich auch die anderen auf den Weg zu ihrer Arbeit und das Kettenrasseln verteilte sich immer weiter im Haus. Nun waren nur noch Bianca und ich im Zimmer. Sie war 13 und damit die jüngste meiner Schwestern. Sie kam zu mir und nahm mich in den Arm. „Ich muss dann auch los – Blumen gießen im Gewächshaus", erklärte sie schulterzuckend. „Hab dich lieb, Leo." „Ich hab dich auch lieb", erwiderte ich und strich ihr kurz übers Haar. Nun war ich allein.

Ich begann damit, meine Decke ordentlich zusammenzufalten und mein Kissen aufzuschütteln. Nun rasselte auch meine Kette auf dem Fußboden. Jede von uns hatte eine Kette. Diese war dünn und silbern, fast wie eine gewöhnliche Halskette – nur dass unsere Ketten um das rechte Fußgelenk führten. Das andere Ende der Kette verschwand in den Wänden des Hauses. Wir trugen sie immer. Wie winzige, silberne Schlangen kräuselten sie sich auf dem Boden. Jede Bewegung wurde von einem leisen metallischen Klirren, einem Rasseln, fast einem Zischen begleitet.  Wir konnten die Ketten nicht abnehmen, aber sie störten uns eigentlich auch nicht. Der Lichtpunkt, indem die Ketten in die Wand führten, wanderte immer mit uns und die Ketten wurden länger oder kürzer. Sie passten sich an uns an. Eigentlich sorgten sie dafür, dass wir nicht weglaufen konnten, aber das hatte sowieso noch nie jemand versucht.

Wir wohnten hier. Jeden Tag hatten wir ein paar Aufgaben und sobald diese erledigt waren, hatten wir Freizeit. Dies war unser Alltag. Das Haus, in dem wir lebten und das Gelände waren riesig und wir durften uns überall frei bewegen, solange die Ketten es zuließen. Hier gab es Pferde, ein Gewächshaus, einen Ballsaal, im Garten standen Schaukeln, natürlich hatten wir auch Bücher zum Lernen, aber am liebsten verbrachten wir die Zeit mit unseren Schwestern. Naja, genau genommen wussten wir nicht, ob wir Schwestern waren, aber wir waren zusammen aufgewachsen. Kira war die erste von uns, die hergebracht wurde – ins Haus des Herrn. Damals war sie sieben Jahre alt gewesen. Sie erzählte uns häufig, wie über die Jahre immer mehr von uns als Kinder am Eingang des Hauses aufgetaucht waren. Seit Bianca jedoch vor sechs Jahren hergebracht wurde, war niemand mehr aufgetaucht. Nun waren wir 12 Mädchen im Haus. Wir hatten alle lange, braune Haare und braune Augen. Außerdem mussten wir alle jeden Tag ein smaragdgrünes Kleid tragen, fast wie eine Art Uniform. Dies betonte unsere Ähnlichkeit nur noch mehr. Für mich waren diese Mädchen meine Schwestern und ich könnte mir nicht vorstellen, ohne sie zu leben. Ich liebte sie alle.

Die Geheimnisse des HerrnWhere stories live. Discover now