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Nach der Pause gingen Nate und ich zusammen zum Kunstunterricht. Ich freute mich, da man beim Malen für gewöhnlich sein Gehirn ausschalten konnte und nicht so viel nachdenken musste. Mein Kopf war, aufgrund meines Schlafmangels, immer noch benebelt. Mrs. Keth meinte es jedoch anscheinend nicht gut mit mir. 

„Ihr arbeitet mit eurem Tischpartner zusammen", war das Erste, was sie sagte. Von anderen Lehrern kannte ich, dass sie immer versuchten, so verschiedene Leute wie möglich miteinander arbeiten zu lassen und die Arbeitspartner gelost oder gar zugewiesen wurden. Doch Mrs. Keth hielt davon anscheinend nichts. Oder sie hatte einfach nur keine Lust darauf, den Ärger diverser Schüler auf sich zu nehmen. 

Jedenfalls ließ sie uns meistens in Tischgruppen arbeiten. Heute ging es darum, dass wir rausgehen und uns etwas aus der Natur aussuchen sollten, um es dann abzuzeichnen. Ich fragte mich, ob Mrs. Keth dachte, wir wären noch in der fünften Klasse, denn so etwas hatte ich zuletzt dort gemacht.

Mrs. Keth sagte, wir sollten alle vor die Tür gehen und erst in einer viertel Stunde wiederkommen, damit wir alle genug Zeit hätten, etwas Gutes zum Abzeichnen zu finden. Brauchte man wirklich eine viertel Stunde, um etwas Zeichentaugliches in der Natur zu finden? Ich bezweifelte dies etwas. Doch es nützte nichts. 

Nate und ich beschlossen, etwas abseits von allen Anderen zu suchen, damit wir unsere Ruhe hatten. Ich suchte halbherzig den Boden ab. Dabei achtete ich darauf, dass wir möglichst im Schatten blieben. An meiner alten Schule hätten wir bei dem Wetter Hitzefrei bekommen. Hier waren solche Temperaturen offenbar normal.

„Ich kann nicht mehr", seufzte ich nach ein paar Minuten und ließ mich auf einen großen Stein fallen. Wir waren bisher noch nicht sehr weit gekommen und Nate sah mich fragend an.

„Ich glaube zwar nicht, dass es taktisch klug ist, dich darauf anzusprechen, da ich nicht weiß, ob du darüber reden willst, aber ich habe bemerkt, dass irgendetwas nicht stimmt. Ist alles okay?"

Nates Tonfall war sanft und ich schloss die Augen. Eigentlich wollte ich ihm nichts davon erzählen. Es war nichts Großes. Er konnte mir wahrscheinlich eh nicht weiterhelfen. Doch mein Gehirn war mittlerweile halb durchgebraten und so erzählte ich ihm von dem Zettel, den ich gefunden hatte und dem Gespräch, das ich gestern Nacht zufällig mit angehört hatte. Die Worte sprudelten aus mir heraus, oft zusammenhangslos und wirr, aber Nate verstand mich trotzdem. Das merkte ich.

„...es ist einfach so, dass es mich verrückt macht, wenn ich nicht Bescheid weiß. Die Gespräche von Catherine und meinem Dad, die ich mitbekommen habe. Das ist, als stünde ich in einem engen Raum vor einer verschlossenen Tür. Ich muss sie öffnen um zu sehen, was dahinter ist, sonst werde ich irre", beendete ich meine Erzählungen.

„Und was ist, wenn die Tür besser verschlossen bleibt? Weil dahinter womöglich etwas Schlimmes auf dich wartet?", fragte Nate.

„Dann muss ich sie trotzdem öffnen, denn die Wände kommen immer näher, je länger ich warte und ich werde immer unruhiger und unausgeglichener!"

„Das hört sich echt schlimm an, Chloe." Nate legte seine Hand auf meinen Arm und mich durchzuckte es warm, als würden lauter kleine Blitze durch meine Haut schießen. Aber nur für einen kurzen Moment.

„Das wird schon irgendwie. Ich mag Metaphern", murmelte ich , ohne jeglichen Zusammenhang, und Nate nickte.

„Merkt man. Aber wenn wir schon mal dabei sind, muss ich deine Tür-Metapher noch etwas vertiefen. Wo ist der Schlüssel zu dieser imaginären Tür?"

Ich überlegte. „Versteckt. Ich versuche ihn zu finden, aber weiß nicht, wo ich anfangen soll zu suchen."

„Aber was, wenn es gar keinen Schlüssel gibt? Und auch keine Tür? Wenn das alles nur eine Illusion ist, und der Brief gar nichts zu bedeuten hat. Du solltest erst mal davon ausgehen, dass es nichts Schlimmes bedeutet." Diese Worte kamen aus Nates Mund, doch sein besorgter blick sagte das Gegenteil.

Ich nehme meine Worte von vorhin zurück. Das mit dem „Man braucht keine viertel Stunde, um etwas zum Abzeichnen zu finden", meine ich. Als Nate und ich nach der vorgegebenen Zeit beide mit einem kleinen Ast in den Kunstraum kamen, war Mrs. Keth nicht sehr erfreut. Das sah man an ihrem Blick, so wie an ihrem verächtlichen Naserümpfen. Andere aus der Klasse hatten echt schöne Sachen gefunden, von denen ich nicht wusste, dass sie überhaupt auf dem Schulgelände existierten. Doch Mrs. Keth sagte nichts weiter zu unserer spärlichen Beute, was uns eine Blamage vor der gesamten Klasse ersparte, sondern bedeutete uns einfach, uns hinzusetzen. 

Manchmal trägt das Glück Socken in SandalenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt