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Mein erster Gedanke war, dass es vielleicht eine Lehrerin war, doch die Stimme war viel zu kindlich. Und trotzdem sehr rauchig.

Vorsichtig drehte ich mich um.

Neben der Toilettentür saß ein Mädchen, das ungefähr in meinem Alter sein musste.

Sie trug eine pinke Lederjacke über einem Netztop und verschiedenfarbige Sneaker. Der Rest ihres Outfits war ebenso farbenfroh, und jeder Teil ihres Äußeren biss sich mit etwas anderem.

Ich musste fast meine Augen zusammenkneifen.

Ihre Haare waren schwarz und darin befanden sich ein paar Rosa Strähnchen.

„Ich suche den Mathematikraum", beantwortete ich ihre Frage.

Sie musterte mich amüsiert und mir schoss sofort die Frage in den Kopf, ob irgendetwas falsch war. Vielleicht hatte ich beim Frühstück gekleckert, oder so? Doch ein Blick nach unten verriet mir, dass soweit alles in Ordnung schien.

„Ich kann dich hinbringen. Ich bin übrigens Evelyn", sagte sie und streckte mir die Hand hin.

Ich wusste nicht so recht, ob sie wollte, dass ich sie schüttelte oder sie hochzog. Für einen Moment arbeitete mein Gehirn fieberhaft, doch dann kniff sie die Augenbrauen zusammen und ich nahm ihre Hand.

Zum Glück zog sie sich selber hoch und ließ mich dann wieder los.

„Chloe", sagte ich, um mich vorzustellen. Die Frage, warum sie nicht im Unterricht war, verkniff ich mir.

Sie ging voran und ich folgte ihr, genau in die Richtung, aus der ich gekommen war. Na toll.

„Du bist süß - bist du neu?", fragte sie mich und ich nickte, bis ich begriff, dass sie hinten ja wahrscheinlich keine Augen im Kopf hatte.

„Ja. Ich bin erst vor kurzem hierher gezogen", sagte ich, da ich keine Ahnung hatte, wieviel sie wissen wollte.

„Ok. Ich wünsche dir viel Glück an deinem ersten Schultag. Du kannst nur hoffen, dass gewisse Zicken dir aus dem Weg gehen", deutete sie an, und ich fragte mich, ob sie damit wohl meine beiden Bekanntschaften von vorhin meinte. Denn in diesem Falle hatte ich wohl Pech gehabt.

Doch bevor ich nachfragen konnte, blieb sie stehen und zeigte auf eine Tür.

„Das ist es. Naja, viel Spaß dann noch. Man sieht sich", verabschiedete sie sich und ging wieder in die entgegengesetzte Richtung.

Ich atmete noch einmal tief durch und bearbeitete mit den Händen kurz meinen, vom Rennen zerzausten, Pony. Dann klopfte ich leise an die Tür.

„Ja?", rief eine Stimme und ich betrat den Raum.

„Du musst Chloe Waldorf sein. Fünf Minuten zu spät", kommentierte der Lehrer meinen Auftritt.

Dann schrieb er irgendwas an die Tafel. Ich wurde rot. Der ganze Kurs, also ungefähr 20 Augenpaare waren auf mich gerichtet, und ich stand wie eine Idiotin mitten in der Tür.

„Wo soll ich mich hinsetzten Mr...", mir fiel ein, dass ich noch nicht einmal seinen Namen kannte und ich stutzte.

„Also, erstens ist mir das völlig egal, und zweitens: Harret. Mr. Harret", sagte er, ohne mich anzuschauen.

Er war ein hochgewachsener Mann mit blonden Locken und einem zierlichen Körperbau, der aussah, als könnte er bei jeder Berührung in sich zusammen fallen.

Ich schaute mich in der Klasse um. Es waren noch viele Plätze frei, doch ich hatte keine Ahnung, neben wen ich mich setzten sollte.

„Wird das heute noch was?", fragte Mr. Harret, der mir nun liebenswürdigerweise wieder seine Aufmerksamkeit geschenkt hatte.

Langsam ging ich auf ein Mädchen in der zweiten Reihe zu. Sie lächelte mich freundlich an, also setzte ich mich neben sie.

Sie hatte einen blonden Kurzhaarschnitt und wirkte auf mich wie ein schüchternes Mädchen. Nicht wie eine Zicke oder ein Punk.

Ich legte mein Buch auf den Tisch und schaute bei ihr, welche Seite ich aufschlagen musste.

„Ich bin Alex", flüsterte sie mir zu. Meinen Namen wusste sie ja bereits, also nickte ich nur. Nach weniger als fünf Minuten beugte sie sich wieder zu meinem Ohr.

„Bist du echt die Tochter von Daniel Waldorf?", fragte sie und ich nickte wieder. „Wow, ist ja supercool. Ich wäre auch gerne seine Tochter", schwärmte sie und ich biss mir auf die Lippe.

„Weißt du, eigentlich ist er ein ganz normaler Dad. Durchschnittlich halt", sagte ich und kassierte einen warnenden Blick von Mr. Harret. Anscheinend hatte er mich irgendwie im Visier.

„Erzähl mir nachher mehr, ja?", fragte Alex neugierig und ich nickte wiederwillig - auch, wenn ich keine Ahnung hatte, wann "nachher" war.

Der erste Schultag fing ja super an: Erst lernte ich die Schulzicken kennen, dann einen Hippie und jetzt auch noch einen Fan von meinem Dad. Doch wie hieß es noch gleich? Man sollte den Tag nicht vor dem Abend loben.

In der Pause fand ich glücklicherweise den Weg zu meinem Spind zurück. Also holte ich mein Brot heraus, welches Dad mir heute morgen anscheinend in die Tasche gesteckt hatte. Der Rest des Schultages verlief ohne weitere Begegnungen. Niemand sprach mich an.

Bis zur Mittagspause.

Manchmal trägt das Glück Socken in SandalenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt