31. Kapitel

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Verzweiflung. Das ist wohl der Begriff, der Harrys Gemütszustand am besten beschreibt. Ihm ist kalt, die ganze Zeit, er hat keinen Appetit und seine Gedanken kreisen um den jungen Mann, den er so liebt. Er hat nie gedacht, dass er jemals für irgendjemanden dermaßen starke Gefühle entwickeln kann. Seitdem er klein ist, war seine Hochzeit vorher bestimmt, er wusste immer, nichts wird wirklich lange halten. Irgendwann kommt der Tag, an dem es Zeit wird, vor den Altar zu treten und ja, ich will zu sagen.

Er wusste immer, dass er danach Kinder zeugen muss, dass es seine Pflicht ist, für Nachkommen zu sorgen, die die Monarchie fortführen können. Die Monarchie, die eigentlich nichts mehr zu sagen hat und auf die trotzdem so viele Briten aufschauen und stolz sind. Harry hat es nie verstanden, er wurde nicht gewählt, nur seine Abstammung hat darüber entschieden, dass er in Saus und Braus leben kann, sich irgendwie die ganze Welt dafür interessiert, was er frühstückt und dass er vermutlich mal auf Geld und Briefmarken zu sehen sein wird.

Schwachsinn. Absoluter Schwachsinn.

Trotzdem hat er seit Jahren nicht mehr so richtig darüber nachgedacht. Eigentlich hat er das noch nie. Es war einfach immer so, er ist mit all der Aufmerksamkeit aufgewachsen, hat vom ersten Tag an gelernt, wie man mit Fotografen und der Presse umzugehen hat, an welche Regeln zu denken ist und wie er zu reden und zu artikulieren hat. Harry weiß im Schlaf, welche Wörter und Phrasen er niemals in der Öffentlichkeit von sich geben darf, wie er schauen muss, wenn ein Foto gemacht wird und was er nicht essen darf, bevor es nicht kontrolliert worden ist.

Es war alles so selbstverständlich, bis dieser junge Journalist sein ganzes Leben auf den Kopf gestellt hat. Im Adidas-Pullover sitzt er im Wintergarten und schaut auf den Park hinab. Die Bäume haben keine Blätter mehr, aber Schnee liegt auch noch nicht. Es regnet, es ist matschig und er kann sich nicht vorstellen, dass es jemanden gibt, der heute freiwillig das Haus verlässt.

Nachdem er sich gestern bei Gemma die Augen aus dem Kopf geweint hat, ist er in sein Gemach verschwunden, wo er bisher auch nicht wieder raus gekommen ist. Das Mittagessen steht auf dem Tisch, aber er hat es nicht angerührt. Er hat keinen Hunger. Ihm ist immer noch kalt, er weint nicht mehr, aber nun frisst sich dieses unerträgliche Gefühl in ihn hinein. Louis ist gegangen, hat die Beziehung beendet.

Harry hat es erst heute morgen begriffen, als er alleine aufgewacht ist, Louis schreiben wollte, es dann aber doch gelassen hat. Es tut verdammt weh. Noch nie hat er dermaßen gelitten. Aber gut, er hat sich auch vorher nie auf jemanden so eingelassen. Natürlich gab es hier und da mal ein paar lockere Affären, aber nichts, bei dem Harry behaupten könnte, dass es eine ernsthafte Beziehung wäre, die zu etwas führen konnte.

Die erste und einzige Beziehung vor Louis war mit Anny, aber auch da war es ein offenes Geheimnis, dass es bei einer Sommerromanze bleiben wird. Danach war Harry einige Monate in London und als er wieder gekommen ist, hat Anny ihm aufgeregt von dem neuen Stallburschen erzählt, der dort angefangen hat. Es wurde daraus leider nichts, denn es hat sich herausgestellt, dass er bereits vergeben war. Natürlich hätte Harry es ihr gegönnt, aber zumindest wusste er dann, dass Anny wirklich nichts für ihn fühlt und seitdem sind sie Freunde, sehr gute sogar.

Er ist ihr ja nicht einmal böse, dass sie ihn auf die Hochzeit angesprochen hat, wieso auch? Keiner der beiden wusste, dass Louis zuhört, es war ein blöder Zufall. Es war beschissenes Timing und Harry wünscht sich, dass es anders gelaufen wäre.

Aber hätte Louis wirklich anders reagiert, wenn er es ihm persönlich gesagt hätte? Verzweifelt schließt Harry die Augen und atmet tief ein und wieder aus. Vermutlich wäre das Ergebnis das gleiche geblieben. Wie auch nicht? Er hat Louis versprochen, dass es funktionieren wird und jedes einzelne Mal den Gedanken an die Hochzeit verdrängt. Verfluchter Mist. Es war nicht fair ihm gegenüber, das weiß Harry und er hat ein verdammt schlechtes Gewissen.

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